Ort: Deutsches Rundfunkarchiv am Standort Frankfurt, Sitzungsraum: Hessischer Rundfunk, Konferenzraum 1, Bertramstraße 8, 60320 Frankfurt am Main
Datum: 22./23.März 2022
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges flohen viele deutschsprachige Autorinnen und Autoren aus dem östlichen Europa in die vier Besatzungszonen, aus denen 1949 die Bundesrepublik und die DDR entstanden. Mit ihrer literarischen und publizistischen Arbeit reagierten sie auf die Erfahrungen von Krieg und Flucht, von Verlust der Heimat und vom Start in einer neuen Umgebung. Der Arbeit für die Rundfunksender kam dabei eine besondere Bedeutung zu, bildeten diese doch sehr schnell zentrale Orte der Literaturproduktion und der Literaturvermittlung und übernahmen eine wichtige Rolle in den neu entstehenden Literaturbetrieben.
Diese rundfunkliterarische und rundfunkpublizistische Tätigkeit von Autorinnen und Autoren ‚aus dem Osten‘ ist insgesamt bislang wenig erforscht, auch wenn es Ausnahmen gibt, wie etwa die des in Estland geborenen Hörspielautors Fred von Hoerschelmann (1901-1976) oder die des in Schlesien geborenen Friedrich Bischoff (1896-1976). Er war Schriftsteller und vor 1933 Intendant der Schlesischen Funkstunde in Breslau; nach dem Krieg startete er eine zweite Rundfunk-Karriere beim Südwestfunk. Bis 1965 war er Intendant der Rundfunkanstalt und prägte mit den Redakteuren in Baden-Baden das Programm nachhaltig. Ein weiteres Beispiel verdeutlicht die verschlungenen Wege, die mitunter gegangen wurden. So arbeitete der in Prag in einer deutschsprachigen jüdischen Familie aufgewachsene Dr. Vilém Fuchs (1933-1990) zunächst bis 1965 als Chefredakteur der deutschsprachigen Sendungen von Radio Prag, bevor er 1971 Leiter der Abteilung Kultur und Gesellschaft bei Radio Bremen wurde. Schließlich kamen viele Schriftsteller*innen der sogenannten ‚jungen Generation‘ nach 1945 zum ersten Mal mit dem Rundfunk in Kontakt. Dies konnte wie im Fall des in Ostpreußen geborenen Siegfried Lenz zu einer lebenslangen Medienarbeit führen.
Diese Verbindungen von Literatur und Medien, von Autorinnen und Autoren aus dem östlichen Europa und der Rolle des Rundfunks nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in der Bundesrepublik und in der DDR sollen auf dem Workshop ausgelotet werden.
In den Archiven der ARD-Landesrundfunkanstalten und im Deutschen Rundfunkarchiv (DRA) gibt es Hörfunkaufnahmen von deutschsprachigen Autorinnen und Autoren aus dem östlichen Europa, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg „im Westen“ eine neue Existenz aufbauen mussten. Diese Stimmen im Rundfunk der ersten Nachkriegsjahrzehnte in der Bundesrepublik und in der DDR sollen wiederentdeckt und die Kontexte der Aufnahmen erforscht werden.
Dazu bringt der Workshop am Thema interessierte Nachwuchswissenschaftler*innen aus den Literatur- und Medienwissenschaften im Deutschen Rundfunkarchiv am Standort Frankfurt/Main mit Archivmitarbeiter*innen der Rundfunkanstalten und des DRA ins Gespräch. Die Teilnehmer*innen erhalten Gelegenheit, Skizzen mit Forschungsinteressen und geplanten Projekten vorzustellen und zu diskutieren sowie einen Einblick in vorhandene Archivbestände zu bekommen.
Ein damit verbundenes Ziel des Workshops ist es, Forschungen im Schnittfeld von Rundfunk- und Literaturgeschichte, von Programm- und Zeitgeschichte anzustoßen. Im Zusammenhang mit einem geplanten Forschungsprojekt der Veranstalter*innen besteht die Möglichkeit, eigene Fragestellungen aus diesem Themenfeld einzubringen und diese im Rahmen einer Dissertation und/oder eines Post-Doc-Projekts zu bearbeiten. Ein entsprechender Antrag kann gemeinsam mit den ausgewählten Nachwuchskräften entwickelt und eingereicht werden.
Der call for papers richtet sich an Masterabsolvent*innen mit Promotionswunsch, Doktorand*innen und Post-Docs. Sie sind eingeladen, laufende Arbeiten bzw. Projektideen zum oben genannten Themenfeld und den damit verknüpften Fragestellungen vorzustellen. Auf der Grundlage der eingegangenen Exposés werden die Archivar*innen gebeten, speziell zu den Themenvorschlägen eine kleine Auswahl von passenden Dokumentenbeispielen aus ihren jeweiligen Archiven zu präsentieren.
Fragestellungen
Im Fokus steht die Medienarbeit von Autor*innen aus dem östlichen Europa und speziell ihre Arbeit für die Radioprogramme in den ersten Nachkriegsjahrzehnten. Folgende Fragestellungen sollen angegangen werden:
- Wie gingen Literat*innen und Journalist*innen aus dem östlichen Europa mit dem Ankommen in einer neuen Umgebung/Region um?
- Wie gestalteten sie den beruflichen und literarischen Neubeginn in einer anders geprägten Kulturlandschaft?
- Wie verhielten sie sich zu Traumata der Kriegs- und Nachkriegszeit?
- Welche Themen wählten sie für ihr Schreiben?
- Welche medialen Strategien der Bewältigung ihrer neuen Situation entwickelten sie, und welche Rolle spielte dabei das Medium Rundfunk?
- Wie nahmen sie selbst und die neuen Zuhörer*innen ihre andere Sprachfärbung/ihren Dialekt wahr? Wie veränderte sich ihre Sprache?
- Wieviel „Osten“ steckte in ihrer neuen Tätigkeit im „Westen“ (Kontinuitäten, Brüche)?
- Gab es Unterschiede zwischen Westdeutschland und der DDR im medialen Umgang der Literaturschaffenden mit ihrer neuen Situation, bzw. in ihrer Rezeption durch die neue Umgebung?
Bitte senden Sie Ihr Exposé (ca. 2.500 Zeichen), einen kurzen Lebenslauf mit E-Mail- und Postanschrift (ca. 1.000 Zeichen) bis spätesten 15.12.2021 an:
Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut, Hamburg,
Dr. Hans-Ulrich Wagner: h.u.wagner@leibniz-hbi.de
Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa,
Maria Luft: maria.luft@bkge.uni-oldenburg.de
Die Fahrt- und Unterkunftskosten für die wissenschaftlichen Workshop-Teilnehmer*innen werden vorbehaltlich vorhandener Haushaltsmittel erstattet.
Projektpartner
- Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE), Oldenburg
- Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut, Hamburg
- Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv
- Historische Kommission der ARD
- Deutsches Kulturforum östliches Europa, Potsdam
https://www.bkge.de/Downloads/Veranstaltungen/Tagungen/CfP-Der-Osten-im-Westen-Maerz-2022.pdf