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Der Staatsanwalt und die Geschichte

Nach den amerikanischen Historikern, die sich beunruhigt über die Verabschiedung der Novelle zum Gesetz über das Institut für Nationales Gedenken (IPN) geäußert hatten, haben nun auch die deutschen Kollegen ihre Meinung zum Ausdruck gebracht. Bereits vor vier Jahren hatte der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands  in der Sache der immer wieder auftauchenden Bezeichnung „polnische Konzentrationslager“ entschieden das Wort ergriffen und an seine Mitglieder appelliert, größere Sensibilität in diesem Bereich zu zeigen. Heute sollte die Stimme der deutschen Historiker auch nicht ungehört verhallen.

© istock/querbeet

Eine kontroverse Vorschrift

Viele machen sich Gedanken über den Sinn der beschlossenen Gesetzesnovellierung zum Institut für Nationales Gedenken. Die Emotionen, die dieser Rechtsakt hervorgerufen hat, sind enorm. Sie kamen bereits lange vor der Verabschiedung dieser „Gedenkparagraphen“ hoch und nehmen auch nach deren Beschluss nicht ab. Bezeichnend ist, dass sich die kritischen Stimmen nicht nur auf die Opposition beschränken, sondern dass sich immer häufiger auch manche konservative Politiker oder prominente Befürworter des „guten Wandels“ in Polen ähnlich dazu äußern.

 

Beunruhigt hat auch das Ausland reagiert. Die polnische Regierung verwickelt sich bei den öffentlichen Begründungsversuchen der plötzlichen Notwendigkeit, das Gesetz zu beschließen, in Widersprüche. Auch die Opposition ist hier nicht ganz ohne Schuld. Ich kann mir nicht erklären, warum viele ihrer Abgeordneten sich bei der Abstimmung der Stimme enthalten hatten.  Auch deren Erklärungen wirken nicht überzeugend, und die Tatsache, dass sie eine Entscheidung vermeiden wollten, erweckt begründete Zweifel am Sinn dessen, dass diese Personen im Parlament sitzen.

© picture alliance/Bartlomiej Zborowski

In den letzten Jahren war es den polnischen diplomatischen Einrichtungen mit Erfolg gelungen, die Benutzung falscher Begrifflichkeiten zu brandmarken, und die über die Besatzung Polens während des zweiten Weltkrieges schreibenden oder sich dazu äußernden ausländischen Autoren auf den historischen Kontext zu sensibilisieren. Man hatte eine Diskussion über verschiedene Bildungsprogramme in Gang gesetzt. Das ist jedoch eine Arbeit, die auf lange Jahre angelegt und oft nicht besonders spektakulär ist. Es ist einfacher, mit strafrechtlichen Sanktionen zu drohen, ohne sich um die Möglichkeit der Strafverfolgung zu kümmern.

 

Der Protest der Historiker

Seit vielen Monaten betrachteten Historiker sowohl in Polen als auch im Ausland die Ideen der Politiker, Aussagen zur jüngsten Vergangenheit  zu bestrafen, äußerst  kritisch. Vor vier Jahren hatte der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands, bei dem es nicht wenige Mitglieder gibt, die sich mit dem Nationalsozialismus und den deutschen Verbrechen der Kriegszeit beschäftigen, deutlich das Wort ergriffen: es ging um die Benutzung falscher oder desorientierender, mit der Entstehung und dem Funktionieren von Konzentrations- und Vernichtungslagern im besetzten Polen verbundenen Begrifflichkeiten. Nun äußerte sich der Verein zur beschlossenen Änderung des Gesetzes über das Institut für Nationales Gedenken.

 

Dieses Mal geht es hier nicht mehr nur darum die Benutzung fehlerhafter Begriffe zu verurteilen, sondern um eine allgemeine Beunruhigung durch die Folgen des in Polen eingeführten Gesetzes für die Freiheit der Wissenschaft und Meinungsäußerung. Es lohnt sich, den Text in Ruhe und aufmerksam zu lesen. Er zeigt nämlich, wie das polnische Gesetz in einem Land aufgenommen wird, in dem die Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus und des deutschen Völkermordes das Fundament der gesellschaftlichen Debatte darstellt. Zum Schluss möchte ich nur den letzten Absatz daraus zitieren: „Ein sensibler Umgang mit Begriffen in der Öffentlichkeit und im Geschichtsunterricht ist die einzige Möglichkeit, vor ihrer falschen oder unangemessenen Verwendung zu schützen. Meinungsfreiheit bedeutet eben auch, gegensätzliche Ansichten auszuhalten. Sie gehört zusammen mit der Freiheit der Wissenschaft und dem Aushandeln von Geschichtsbildern zu den Grundpfeilern einer Demokratie. Selbstverständlich sind diese demokratischen Grundrechte nicht, sondern dafür müssen wir uns immer wieder einsetzen.“

 

Die Pressemitteilung können Sie hier in ganzer Länge lesen

 

Der Artikel erschien zuerst unter: http://krzysztofruchniewicz.eu/prokurator-i-historia/

 

Aus dem Polnischen von: Agnieszka Grzybkowska

Krzysztof Ruchniewicz

Historiker, Professor an der Universität Wrocław und Direktor des dortigen Willy-Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien.

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