„Wir müssen laut bleiben“

Interview mit Beata Klimek

Beata Klimek ist Kommunalpolitikerin in Polen, seit 2014 ist sie Bürgermeisterin in Ostrów Wielkopolski. Für ihren Beitrag zur Lokalgesellschaft wurde sie 2016 mit dem Silbernen Verdienstkreuz der Republik Polen ausgezeichnet.

Anna Stahl-Czechowska: Was hat Sie dazu bewogen, sich auf der kommunalen Ebene zu engagieren?

Beata Klimek: Die Kommunalverwaltung ist ein sehr dankbarer Raum, der die Möglichkeit bietet, in unserer nächsten Umgebung etwas zum Besseren hin zu verändern. Es ist eine Arbeit, bei der man den Menschen nahe kommt, ihren verschiedenen Bedürfnissen, Problemen, oft auch Ideen, die es wert sind, z.B. im Rahmen des Bürgerhaushalts genutzt zu werden. Bevor ich zur Stadtpräsidentin gewählt wurde, war ich Stadträtin und hatte auch in der Kommunalverwaltung gearbeitet. Damals wurde ich in meiner Überzeugung bestärkt, dass das, was ich tue, sehr sinnvoll ist, da es konkrete Ergebnisse bringt.

Aufgrund dieser Erfahrungen, aber auch auf Anregung von außen, traf ich die Entscheidung, für den Posten der Stadtpräsidentin zu kandidieren. Dann bin ich mit meinem Wahlprogramm und meiner Vision unserer Stadt, die sich im Sinne der Stadtbewohner zum Besseren verändern sollte, angetreten.

Der Erfolg gibt mir Recht: Dank der Unterstützung der Bürger*innen arbeite ich bereits in der zweiten Amtszeit für die Stadt und kann die von mir begonnenen wichtigen, oft ganz innovativen Projekte fortsetzen. Es freut mich enorm, wenn wir eine neue Kinderkrippe, einen Kindergarten, eine Sporthalle und Elektrobusse, die mit „grünem Strom” aus Biomasse betrieben werden, in Betrieb nehmen, oder weitere Flächen für Investitionen erschließen und neue Arbeitsplätze schaffen können.

Welchen Rat würden Sie jungen Frauen geben wollen, die sich in der Kommunalpolitik engagieren wollen?

Vor allem sollten sie als Frauen keine Angst davor haben und den Mut besitzen, sich ehrgeizige Ziele zu setzen. Man muss in der Lage sein, für die Themen zu kämpfen, die für die Stadtbewohner*innen wichtig sind. Frauen müssen wirklich anfangen, daran zu glauben, dass ihre Ära angebrochen ist. Es ist die Ära der bewussten, starken, motivierten Frauen, die wissen, wie sie ihre Ziele erreichen können.

Außerdem halte ich es für äußerst wichtig, anderen Menschen gegenüber offen zu sein, auf ihre Probleme oder Ideen einzugehen und eine dauerhafte Bindung zu ihnen aufzubauen. Es sind die Bürger*innen und das Wohl der gesamten Kommune, die im Mittelpunkt stehen sollten in allen Bestrebungen und Funktionen in der kommunalen Selbstverwaltung oder allgemein in der gesamten staatlichen Verwaltung.

Welche Projekte zur Unterstützung von Frauen sind für Sie jetzt besonders wichtig?

Es kann nie zu viele gute Projekte geben, deshalb schätze ich jede Initiative, die Frauen bei ihrer Entwicklung, ihrem Selbstwertgefühl, ihrem Unternehmertum, ihrer Unabhängigkeit, der Überwindung von Stereotypen, der Schaffung von Chancengleichheit und der Durchsetzung ihrer Rechte hilft. Der Bedarf an dieser Art von Unterstützung ist immer noch groß und jetzt noch schwieriger zu erfüllen, weil unser tägliches Leben von der Sars-CoV2-Pandemie und deren Auswirkungen, etwa auf die Wirtschaft, beherrscht wird.

Doch wir müssen laut bleiben, wenn wir wollen, dass die Welt unsere Anliegen zur Verbesserung der Lage der Frauen im Staat, im Beruf oder in der Familie nicht vergisst. Das gilt besonders, wenn wir uns die Folgen des umstrittenen Urteils des Verfassungsgerichts zur Abtreibung und die brutale Behandlung von Frauen anschauen, die gegen das Urteil auf die Straße gegangen sind.

Was können Stadtpräsidentinnen und Bürgermeisterinnen in der Europäischen Union gemeinsam für Gleichberechtigung und gemeinsame europäische Werte tun?

Allein die Tatsache, dass Frauen diese Positionen innehaben, ist symbolisch und durchbricht das bestehende Stereotyp, das höhere Positionen eher mit Männern als mit Frauen assoziiert. Die Wahl von Frauen in verschiedene öffentliche Funktionen ist daher ein positives Zeichen für die Veränderungen, die sich in den einzelnen Gemeinschaften vollziehen. Dabei ist die Rolle von Frauen enorm; ich bin überhaupt der Meinung, dass diese jetzt schon sehr wichtig ist.

Es gibt aber immer noch viel zu tun, deshalb denke ich, dass wir mehr Frauen in Positionen brauchen, die mit gutem Beispiel vorangehen, indem sie ihre professionellen Managementfähigkeiten mit Qualitäten verbinden. Das wären zum Beispiel ein größeres Einfühlungsvermögen, Sensibilität, Konzilianz oder die Fähigkeit, Kompromisse zu schließen. Daher glaube ich, es wäre sehr wünschenswert, dass Frauen mehr an öffentlichen Aktivitäten teilnehmen, damit wir eine sanftere Seite der Politik zeigen können, die heute oft mit brutalen Spielen und Kämpfen zwischen verschiedenen Konfliktparteien assoziiert wird. Wir sollten immer nach dem suchen, was uns verbindet, und nicht nach dem, was uns trennt, und uns gegenseitig in unseren besten Eigenschaften, Begabungen und Fertigkeiten ergänzen.

 


Beata Klimek

Beata Klimek wurde 1962 in Ostrów Wielkopolski geboren. In Poznań studierte sie Politikwissenschaft mit einer Spezialisierung auf Kommunalverwaltung. Seit 2014 ist sie die Bürgermeisterin ihrer Heimatstadt und hat diese Funktion als erste Frau in der Geschichte der Stadt inne. Im Jahr 2018 kandidierte sie erfolgreich zur Wiederwahl. Für ihren Beitrag zur Lokalgesellschaft wurde sie 2016 mit dem Silbernen Verdienstkreuz der Republik Polen ausgezeichnet.


Anna Stahl-Czechowska arbeitet in der EAF Berlin als Expert mit den Schwerpunkten Gender, Migration und Politik. Zu ihren aktuellen Projekten zählen MAYORESS, ein EU-Projekt über Bürgermeisterinnen in Polen, Österreich, Frankreich und Deutschland


Das Gespräch entstand im Rahmen des Projekts “Mayoress – Promoting Women in Local Leadership” der EUROPÄISCHEN AKADEMIE FÜR FRAUEN IN POLITIK UND WIRTSCHAFT BERLIN E.V.  (EAF) Das Gespräch erschien zuerst unter: www.mayoress.org

 

Gespräch

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