Gut eineinhalb Jahre nach dem Start der Ampel-Regierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz ist vom anfänglichen Honeymoon der selbsternannten Fortschrittskoalition nichts mehr übrig: In der Regierung herrscht Hauen und Stechen und die Distanz der Bürgerinnen und Bürger zu „denen da oben in Berlin“ wird immer größer.
Einen Politiker allerdings hat es ganz besonders gebeutelt. Sein Name: Robert Habeck.
Dabei ist es nicht einmal ein Jahr her, da schwamm der neue Klima- und Wirtschaftsminister noch auf einer einzigen Welle der Begeisterung. Mit ihm schien regelrecht ein Politiker neuen Typs geboren, weniger autoritär, der Sprache in besonderer Weise mächtig und in der Lage, die Probleme zu erklären, ohne dabei den politischen Gegner in klassischer Manier zu diskreditieren.
Hinzu kam: Mit dem Beginn von Putins Angriffskrieg ließ Habeck nichts unversucht, das in seiner Energieversorgung radikal gefährdete Land gut durch den Winter zu bringen. Es war gerade sein hart an den wirtschaftlichen Notwendigkeiten orientierter Pragmatismus, der Habeck die Sympathien der Menschen einbrachte. Dabei schreckte der grüne Visionär nicht einmal vor einer tiefen Verbeugung vor dem Emir von Qatar zurück, was seine Werte trotzdem weiter in die Höhe trieb.
Doch tempi passati: Ein Jahr später ist von dieser Zuneigung nichts mehr zu sehen. Habecks Werte befinden sich, wie die der Grünen, im freien Fall, während die Prozente der eigentlichen grünen Anti-Partei, der AfD, in den Umfragen durch die Decke gehen.
Robert Habeck hingegen muss derzeit eine Lektion mit aller Härte lernen: Alle liebten damals den Wirtschaftsminister Habeck, der für den Wohlstand und die heimische Wärme der Deutschen kämpfte. Doch jetzt agiert er nicht mehr als Wirtschafts-, sondern als Klima-Minister. Und mit dem tatsächlich verheerend unausgegorenen Heizungsgesetz verkündet er vor allem das, was die Ampel-Koalition sich von Beginn an nicht zu sagen traute: Dass die eigentliche Jahrhundertaufgabe dieser Koalition, die Transformation der Gesellschaft von einer fossilistischen zu einer wirklich nachhaltigen eben keineswegs eine reine Gewinnangelegenheit für alle sein wird, sondern dass viele Bürgerinnen und Bürger erhebliche Opfer für das Gemeinwohl werden bringen müssen. Opfer, die nun ganz ausschließlich dem grünen Klima- und Wirtschaftsminister angelastet werden.
Die Konsequenz ist ein massiver Backlash – zulasten der ökologischen Anliegen wie auch der grünen Partei. Denn plötzlich scheint die angebliche grüne Ursünde wieder da zu sein: der grüne Dirigismus – und dazu ein grüner Filz im Klimaministerium, der in der Entlassung von Staatssekretär Patrick Graichen seinen bisherigen Höhepunkt gefunden hat.
Kurzum: Wenn eines Tages gefragt werden sollte, wann die große Krise der Grünen begann, dann werden diese fatalen Tage im Mai 2023 eine ganz entscheidende dabei Rolle spielen. Das eigentliche Problem liegt jedoch tiefer. Der Streit um das Heizungsgesetz verweist auf den fundamentalen Konstruktionsfehler dieser Koalition.
Die von der FDP kreierte Vorstellung, hier stünden zwei Linksparteien gegen sie, den letzten Hort der bürgerlichen Vernunft, entpuppt sich dieser Tage endgültig als Chimäre: Wer noch irgendeinen Zweifel daran hatte, wie die Machtverhältnisse in dieser Koalition wirklich aussehen, ist spätestens jetzt eines Schlechteren belehrt. Faktisch agieren zwei Parteien, nämlich FDP und SPD, strikt in Verteidigung der materiellen Gegenwartsinteressen, während die Grünen versuchen, auch die Interessen der zukünftigen Generationen zu vertreten – genau wie es das Bundesverfassungsgericht jeder Regierung mit seinem historischen Urteil vom März 2021 ins Stammbuch geschrieben hat.
Der anhaltende Koalitionsstreit zwischen FDP und Grünen verläuft nämlich vor allem entlang zweier großer Konfliktlinien: Gegenwart versus Zukunft, Individual- versus Gesellschaftsinteresse. Genau an dieser Stelle verläuft der eigentliche Riss zwischen FDP und Grünen als zwei Ausprägungen der Bürgerlichkeit, einer individual-egoistischen und einer gesellschaftlich-altruistischen – wobei sich die Scholz-SPD fatalerweise und aus ganz primär wahltaktischen Gründen fast immer auf die Seite der FDP schlägt.
Denn hier liegt die eigentliche Tragik der gegenwärtigen Lage: Die ganz jungen wie die kommenden Generationen haben bei Wahlen keine Stimme. Dadurch gibt es eine strukturelle Dominanz der Älteren und ihrer gegenwartfixierten Interessen. Deshalb wedelt in dieser Koalition der Schwanz mit dem Hund. Obwohl die FDP prozentual klar der schwächste Koalitionspartner ist, gibt sie in der Regierung allzu oft den Ton an. Faktisch agiert sie als Opposition in der Regierung gegen die Regierung, genauer gegen die grünen Vorhaben – und zwar dank bewusster Duldung des Kanzlers und seiner SPD.
Aus rein parteitaktischer Perspektive ist dies auch durchaus logisch: Olaf Scholz braucht aus zwei Gründen eine starke FDP – erstens, um damit CDU/CSU zu schwächen, und zweitens, weil nur eine zufriedene FDP ihm 2025 die Chance auf eine zweite Ampel-Legislatur eröffnet. Dagegen hat er weit weniger Interesse an starken Grünen, die ihm als Führungspartei der linken Mitte Konkurrenz machen könnten.
Doch nach dieser ur-neoliberalen Devise – „Wenn nur jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“ – kann keine Koalition auf Dauer funktionieren. Ja mehr noch: Das, was eine Koalition ausmacht, wird regelrecht in sein Gegenteil verkehrt.
Zu koalieren bedeutet im lateinischen Wortsinn zusammen-wachsen. Das heißt, man wächst an der gemeinsamen Sache. Für die Ampel heißt das: Man wächst an der im Koalitionsvertrag vereinbarten zentralen Zukunftsaufgabe, der sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft. Davon kann in der Ampel jedoch keine Rede sein. Es existiert nicht einmal eine Vorstellung davon, wie sich die Zukunft gemeinsam gestalten lässt.
Und, fataler noch: Nach ihren herben Niederlagen bei den vier Landtagswahlen des vergangenen Jahres sieht sich die FDP durch den jüngsten, für sie etwas positiveren Wahlausgang in Bremen in ihrer rein destruktiven Logik noch bestärkt. „Die Zeit des Appeasements gegenüber den Grünen ist vorbei“, lautet denn auch die unsägliche Ansage von FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der nicht einmal davor zurückschreckte, Robert Habeck mit Wladimir Putin zu vergleichen.
Massiv unterstützt wird die FDP bei alledem durch eine seit Monaten anhaltende Kampagne der stärksten medialen Kraft im Land, des Springer-Verlags. Tag für den Tag treibt speziell die „Bild“-Zeitung den Klimaminister wie eine Sau durchs mediale Dorf – offenbar nicht zuletzt auf Weisung von Springer-Chef Mathias Döpfner höchstpersönlich, dessen Geisteshaltung unlängst von der „Zeit“ offengelegt wurde.
„Umweltpolitik – ich bin sehr für den Klimawandel“, so Döpfner in einer Mail an seine führenden Mitarbeiter. „Zivilisationsphasen der Wärme waren immer erfolgreicher als solche der Kälte. Wir sollten den Klimawandel nicht bekämpfen, sondern uns darauf einstellen.“ Wenn es eines gebe, was er hasse, so der Springer-Chef, dann seien es Windräder.
Die einzige Kraft zur Zurückdrängung des ökologischen Ungeistes sind für ihn die Liberalen. „Unsere letzte Hoffnung ist die FDP. Nur wenn die sehr stark wird – und das kann sein – wird das grün rote Desaster vermieden. Können wir für die nicht mehr tun. […] It’s a patriotic duty“, so Döpfner bereits im Wahlkampf 2021. Noch zwei Tage vor der Wahl schrieb er seinem damaligen „Bild“–Chef Julian Reichelt: „Please Stärke die FDP. Wenn die sehr stark sind können sie in Ampel so autoritär auftreten dass die platzt.“
Auch wenn Reichelt inzwischen unehrenhaft entlassen wurde, könnte das Boulevard-Blatt möglicherweise schon bald Vollzug melden. Tatsächlich kann von einer Koalition im soeben beschriebenen Sinne als einem zusammengewachsenen Bündnis keine Rede sein. Sollten die nächsten Konflikte weiter so selbstzerstörerisch ausgefochten werden, wie es die FDP bereits verspricht, dürfte die angebliche Zukunftskoalition inhaltlich keine große Zukunft mehr haben.
Und dennoch hat die Koalition vermutlich noch endlose zweieinhalb Jahre vor sich. Denn das verweist auf die zweite Dimension einer Koalition: Im besten Falle sorgt eine solche dafür, dass die Parteien nicht nur über die gemeinsame Aufgabe zusammenwachsen, sondern auch, dass sie zusammenwachsen, also jede Partei für sich von der Koalition prozentual profitiert.
In dieser Ampel ziehen sich die Parteien dagegen wechselseitig immer mehr nach unten. Aber genau dieses Versagen, so die Ironie der Geschichte, könnte die Koalition bis zum bitteren Ende der Legislaturperiode im Herbst 2025 zusammenschweißen. Denn bis dahin hält voraussichtlich der Kitt der Macht, sprich: der Umstand, dass alle drei Parteien bei Neuwahlen massiv verlieren würden. Für das Land jedoch wären zwei derart verlorene Jahre verheerend.
Wenn aber die versprochene sozial-ökologische Transformation doch noch gelingen soll, dann braucht es eine fundamentale Wende, oder um mit Olaf Scholz zu sprechen, eine ökologische Zeitenwende – in der Koalition, aber auch in der Gesellschaft insgesamt. Dann gilt es, von der rein individual-egoistischen Haltung Abschied zu nehmen, die die letzten Jahrzehnte dominiert hat.
„Wer behauptet, wirksamer Umweltschutz sei zum Nulltarif zu haben, gaukelt den Menschen etwas vor. International wird es nur möglich sein, andere Länder zum Handeln zu bewegen, wenn wir in den Industrieländern wirklich an unserem Lebensstil etwas ändern“, das erkannte bereits vor bald 30 Jahren die damalige Umweltministerin Angela Merkel. Doch fatalerweise hat die spätere Kanzlerin aus dieser Erkenntnis nie die erforderlichen Konsequenzen gezogen, schon um ihre eigenen Wahlchancen nicht zu gefährden.
Das ist das eigentliche Kardinalproblem der Ampel wie des gesamten Landes: Nach sechzehn klimapolitisch verlorenen Jahren unter der Kanzlerin Merkel muss die Regierung Scholz nun sehr rasch auch schmerzhafte Maßnahmen beschließen und die Bevölkerung dabei mitnehmen. Andernfalls wird aus der Krise der Ampel eine noch fundamentalere ökologische Krise unserer gesamten Gesellschaft, die dann kaum mehr zu beheben sein wird.
Dieser Beitrag erschien zuerst in Blätter für deutsche und internationale Politik 5´23 und wurde zwecks Veröffentlichung beim DIALOG FORUM vom Autor überarbeitet.
Eine Bestandsaufnahme, der wohl die meisten zustimmen würden. So auch ich: Es ist ein Absturz der Grünen, er ist irgendwie unverständlich, widersinnig und in jedem Fall zukunftsgefährdend für Deutschland. Und Europa.
Die Erklärung, dass sich hier die individual-egoistische Perspektive in Ausprägung von FDP (und nicht widersprechender SPD) durchsetzt: Plausibel.
Aber eine Frage bleibt offen: Die meisten Menschen wollen sich gut verhalten. Die meisten Menschen wollen etwas gegen den Klimawandel tun. Die meisten Menschen denken gesellschaftlich-altruistisch (oder wollen es zumindest). Warum gelingt es nicht, die Menschen unter der Perspektive auch manche unbequemere (schmerzhaft finde ich, ist mit Blick auf die Schmerzen in der Zukunft der falsche Begriff) Maßnahme zuzumuten. Was müsste wie passieren, um die Menschen mitzunehmen? Ich bin ratlos. Sie, Herr von Lucke, auch? Wer hat Ideen?