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Wagenknecht ante portas?

Einen Namen hat Sahra Wagenknechts angekündigte Partei noch nicht. Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck hält es trotzdem für ausgemacht, dass sie vor allem in Ostdeutschland „kräftig absahnen“ wird. Auch Umfragen bescheinigen der angestrebten Neugründung mitunter ein erhebliches Potential. Dabei wurde im Oktober nur ein Verein ins Leben gerufen, der die Parteigründung vorbereiten soll. Er heißt, wenig originell, „Bündnis Sahra Wagenknecht“. Mit Amira Mohamed Ali fungiert eine zwar bekannte, aber wenig populäre Ex-Linke als Vorsitzende. Mohamed Ali hat dafür ihre alten migrationspolitischen Positionen ad acta gelegt. Sie plädiert nun für einen restriktiven Kurs.

Die Wendehals-Kritik dürfte auch andere Mitstreiter des neuen Parteiprojekts treffen, weshalb der Fokus der Kampagnen auf Wagenknechts Person und ihren rhetorischen Künsten liegen wird. Eine solche Einpersonen-Partei schaffte es einmal zu kurzzeitiger Regierungsbeteiligung im Stadtstaat Hamburg (die sogenannte „Schill-Partei“), ist jedoch für die Bundesrepublik atypisch. Selbst die rechtsextreme AfD mit ihrem heimlichen Anführer Björn Höcke ist multipersonal aufgestellt. Wie realistisch sind also die Erfolgsaussichten von Wagenknechts personalisiertem Parteiprojekt?

Aus Europa für die nationale Souveränität?

Zu gewinnen gäbe es jedenfalls einiges: Im nächsten Jahr stehen bereits am 9. Juni Europawahlen an. Es gibt keine Sperrklausel, was Wagenknecht ein fünfjähriges Mandat sichern würde. Im Fernsehinterview hat sie bereits ausgeführt, dass sie hier wahrscheinlich als Spitzenkandidatin ihrer Partei antreten wird. Wagenknecht orientiert sich dabei an Vorbildern wie Marine Le Pen oder Nigel Farage, die lange das Parlament der von beiden abgelehnten Europäischen Union nutzten, um die nationale Bühne zu bespielen. Auch Wagenknecht möchte, wie sie in ihrem jüngsten Buch schreibt, eine „Konföderation souveräner Demokratien. In einer solchen EU verhandeln gewählte Regierungen über gemeinsame Lösungen und in den einzelnen Ländern gilt nur, was von den Parlamenten dieser Länder auch tatsächlich beschlossen wird.“ Mithin plant Wagenknecht die Kandidatur für ein Parlament, das nach ihrem eigenen Politikmodell überflüssig ist und im Buch als lobbygesteuert charakterisiert wird. Es garantiert aber individuelle Ressourcen.

Im September 2024 stehen dann drei ostdeutsche Landtagswahlen an (in Thüringen, Sachsen und Brandenburg). Außerdem finden zuvor zeitgleich mit der Europawahl Kommunalwahlen in neun Bundesländern statt. Mit den Fristen und dem Organisationsaufbau dürfte es also knapp werden. Sahra Wagenknecht versucht auf den letzten Drücker eine eigene Partei an den Start zu bringen, die inhaltlich ein buntes Potpourri bereithält. Sie soll neomarxistischen Linkspopulismus, antiuniversalistische Migrationskritik, nationalstaatliches Souveränitätsdenken, russlandfreundliche Friedensrhetorik und demonstrativen Anti-„Wokismus“ vereinen. Es ist Wagenknechts zweiter Versuch. Die 2018 gegründete Sammlungsbewegung „Aufstehen“ scheiterte, ohne jemals zu Wahlen angetreten zu sein. Auch dabei handelte es sich um einen Verein, der freilich noch nicht nach Wagenknecht benannt und zudem rein sozialpolitisch ausgerichtet war.

In der postkommunistischen PDS und ihrer Nachfolgepartei, Die Linke, zeigte sich Wagenknecht lange Zeit erfolgreicher. Sie war das prominente Gesicht der sektiererischen Kommunistischen Plattform – und schaffte es trotzdem bis zum Co-Fraktionsvorsitz der Linkspartei im Deutschen Bundestag (2015-2019). Diese Karriere hätte man ihr in den 1990ern kaum zugetraut. Zu offen zeigte Wagenknecht Sympathie für die kommunistische DDR, inklusive des Stalinismus. Doch vor allem der Parteiikone Gregor Gysi, einem redegewandten Spezialisten im doppeldeutigen Winden und allseitigen Verbünden, gelang die Integration. Nach 2019 blieb Wagenknecht das prominenteste Gesicht der Linken. Auch ihre Bücher verkauften sich sehr gut. Davon zeugt unter anderem die auffällig üppige Honorarangabe der Autorin für das Jahr 2022. Sie gibt an, 720.868,99 € (Brutto) vom Campus-Verlag erhalten zu haben. In Talkshows fungiert Wagenknecht als Dauergast. Man scheint in ihr eine Quotengarantin entdeckt zu haben, was allerdings auch auf seichte Schmonzetten von der englischen Küste zutrifft.

Von der Marxistin zur Querfront-Populistin

Wagenknecht definiert sich nicht nur als Politikerin, sondern auch als Publizistin. Deshalb ist ein Blick in ihre Bücher aufschlussreich. Die Betrachtung zeigt, dass vor einigen Jahren, gipfelnd in dem Buch „Die Selbstgerechten“ (2021), ein harscher Bruch erfolgte, dem mehrere Anpassungs- und Neuerfindungsversuche vorausgingen.

Die älteren Sachbücher trugen Titel wie „Wahnsinn mit Methode – Finanzcrash und Weltwirtschaft“ (2008), „Freiheit statt Kapitalismus“ (2012) oder „Reichtum ohne Gier“ (2016). Als promovierte Ökonomin beschäftigte sich die Autorin vor allem mit wirtschaftspolitischen Themen und mit der ebenso verstandenen Ungleichheit. Der Kampf gegen Freihandel und Supranationalismus wurde links-orthodox begründet, als Kapitalismuskritik, und damit im Einklang mit dem Programm der Linkspartei. Im Buch aus dem Jahr 2012 öffnete sie sich für einen „kreativen Sozialismus“, der Freiheit, „Leistung und Wettbewerb hochhält“. Sie bezog sich auf Ludwig Erhard und Joseph Alois Schumpeter. Das war ein intellektuelles Koalitionsangebot an liberale und konservative Kreise, verbunden mit einem positiven Bezug auf Ideen wie „Wohlstand für alle“ (Erhard) und Unternehmertum (Schumpeter). Die einstige Kommunistin, die in den 1990ern wie keine Zweite für eine antireformistische Ausrichtung der PDS stand, gab sich nun konziliant.

In einem Interviewband aus dem Jahr 2017 („Couragiert gegen den Strom“) präsentiert sich Wagenknecht dann als moderate Linkspopulistin, die nach dem Vorbild von Jean-Luc Mélenchon, Jeremy Corbyn oder Bernie Sanders vor allem die klassische Arbeiterschicht adressiert. Nach dem Scheitern des daran ausgerichteten Aufstehen-Projekts hat Wagenknecht den Schluss gezogen, dass eine breitere und radikalere Aufstellung von Nöten ist.

Jetzt geht sie weit über die ökonomische Fokussierung und das pflichtschuldige Ablehnen von Rüstungsexporten hinaus. Der Bruch besteht darin, dass gruppenemanzipatorische Politiken von links nunmehr prinzipiell als elitäre Identitätspolitik gegeißelt werden. Sie übernimmt das grobschlächtige Feindframing des neuen Rechtsradikalismus um Trump, Orbán oder deutsche Hasser der Partei „Bündnis 90/Die Grünen“. Als Antipode fungiert eine imaginierte linksliberale Elite, die Wagenknecht im gleichnamigen Buch als „Die Selbstgerechten“ bezeichnet. Reale Kritikpunkte an der partiellen Allianz zwischen Kapital und Diversity-Rhetorik werden von ihr maßlos überzeichnet. Zumeist genügen dafür entsprechende Schlagwörter. Gleichzeitig beschwert sich der Talkshow-Dauergast über die Einschränkung des Meinungskorridors Schließlich, und hier nimmt die realitätsverweigernde Radikalität groteske Formen an, gibt sich Wagenknecht als Friedensaktivistin und kritisiert im Bundestag (08.09.2022) den angeblich „beispiellosen Wirtschaftskrieg“ gegen Russland. Ebenso wie die AfD verweist sie regelmäßig auf eine westliche Mitverantwortung für den Krieg in der Ukraine und verbreitet das absurde russische Narrativ vom dialogbereiten Putin.

Das Vorfeld der Partei

Zu den Fallstricken der anvisierten Partei gehört, dass, sofern auch Wählerschaft jenseits des radikalen und postfaktischen Lagers angesprochen werden soll, ein erhebliches Maß an rhetorischem Geschick gefragt ist. Anders lassen sich die Widersprüche der einzelnen Argumentationen kaum erklären (es sei denn, man greift auf Zynismus und Dauerlüge à la Trump zurück). Wagenknecht steht mit ihren Künsten aber bislang alleine da. Um sie herum sammeln sich andere Personen, die das Projekt eher gefährden als voranbringen können. Sevim Dagdelen wirkt ideologisiert und Amira Mohamed Ali wenig prinzipientreu. Sollten irrlichternde Gestalten aus der systemoppositionellen Szene auf die Listen gelangen, was angesichts der Personalnot wahrscheinlich ist, wird jeder Pressetermin ohne die Gallionsfigur zum Wagnis. Eine mögliche Kandidatin für die Europawahl, Ulrike Guérot, fabulierte jüngst über angebliche polnische Pläne zur Übernahme der Westukraine und der ukrainischen Landwirtschaft. Assistiert wurde sie dabei von Sandra Kostner, Vorsitzende des „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“, die Teilen der polnischen Politik unterstellt, sich aus der künftigen „Konkursmasse“ der Ukraine bedienen zu wollen. Derartigen Unsinn erzählt auch Putin.

Das Vor- und Umfeld der neuen Wagenknecht-Partei bildet dementsprechend einen weiteren Risikofaktor. Zwar bündeln sogenannte „Alternativmedien“ faktenemanzipierten Furor und haben eine beachtliche Reichweite erlangt. Dafür gibt es jedoch schon eine Partei. Jenseits der AfD dürfte das postfaktische Milieu zwar vorhanden, aber begrenzt sein. Teile aus den Überresten der westdeutschen Friedensbewegung oder Anhänger der esoterisch-verschwörungstheoretischen Kleinpartei Die Basis gehören sicherlich zum Wählerpotential. Darüber hinaus bildet das 2003 gegründete Onlineportal Nachdenkseiten einen relevanten Faktor. Gestartet als keynesianische Opposition zur marktliberalen Politik Gerhard Schröders hat sich das Portal mittlerweile zu einem zentralen Akteur linkslastiger Putin-Apologetik gewandelt. Das russische Narrativ vom provozierenden Westen und der sich notgedrungen wehrenden Russischen Föderation wird hier besonders eifrig bedient.

Jährlich veranstalten die Nachdenkseiten eine Vortragsveranstaltung. Dazu war im Sommer 2023 der ehemalige Schweizer Geheimdienstoffizier Jacques Baud zu Gast. Das angebliche Aufklärungsmedium lässt ihn unwidersprochen seine These wiederholen, Russland sei den Menschen in der Ostukraine zu Hilfe gekommen. Zitat Baud: „Dann haben die Russen gesehen, jetzt gibt es eine Offensive und jetzt müssen wir die Bevölkerung schützen.“ Zum 20-jährigen Jubiläum der Nachdenkseiten spricht am 09. Dezember Sahra Wagenknecht.

Unklare Chancen und alte Denkmuster

Mithin hängt der Erfolg der Wagenknecht-Partei von mehreren unsicheren Faktoren ab. Die These von Joachim Gauck muss sich nicht bestätigen. Ein Scheitern der Partei ist ebenso möglich. Die Zuspitzung auf nur eine Person, das heterogene Programm, die organisatorische Herausforderung und die Konkurrenz durch die rechtsextreme AfD bilden Hemmnisse. Entscheidend wird sein, wieviel Postfaktizität und Destruktion die anvisierten Bevölkerungsteile mittlerweile akzeptieren, um ihrem Protest gegen eine angebliche Postdemokratie Ausdruck zu verleihen. Die Affinität zur Übernahme sinnentleerter Narrative könnte eine zweite Putin-Partei in Deutschland zur Folge haben. Mindestens ebenso wahrscheinlich ist jedoch die frühzeitige Entzauberung des Projekts, denn die Parteinahme für einen neototalitären Aggressor hat mit der von Wagenknecht bemühten Vernunft wenig zu tun. Eine von links kommende Partei sollte sich zumindest den Anschein geben können, auf der Seite der Schwachen zu stehen.

Vielleicht sind es aber auch alte Denkmuster, die bei Wagenknecht durchschlagen. Dann hätte sie sich im Kreis gedreht und wäre wieder an ihren Ausgangspunkt zurückgekehrt: einer von Fakten losgelösten Fundamentalopposition, die im Autoritären ein Heilsversprechen sieht und selbst das Offensichtliche negiert. Im Jahr 1992 veröffentlichte sie als 23-jährige und Mitglied des PDS-Parteivorstands einen Aufsatz („Marxismus und Opportunismus“) im ehemaligen DDR-Regime-Organ Weißenseer Blätter. Darin lobte sie Stalins Regierungszeit und die DDR unter Ulbricht. Danach sei man vom Weg abgekommen, was die „Gegenrevolution“ von 1989 erst ermöglicht habe. Einen kompromissbereiten Reformismus lehnte die Kommunistin Wagenknecht deshalb auch für das politische Handeln in der Bundesrepublik ab. Es ging ihr um die „Überwindung dieser Gesellschaftsordnung“.

Markus Linden

Markus Linden

außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier, zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u.a. Theorie und Empirie der Demokratie, Parteien- und Parteiensysteme, die Neue Rechte und Rechtspopulismus.

2 Gedanken zu „Wagenknecht ante portas?“

  1. Sehr geehrte Damen und Herren,

    ehrlich gesagt, verstehe ich nicht, warum Sie der irrlichternden Putinistin Sarah Wagenknecht auch noch auf einem DEUTSCH-POLNISCHEN Portal diese unverdiente Aufmerksamkeit schenken – zusätzlich zu dem ganzen Rummel, den die deutschen Medien schon um ihre überschätzte Person herum veranstalten. Sarah Wagenknecht hat Deutschland, Polen oder Europa insgesamt nichts, aber auch gar nichts Konstruktives zu bieten. Bitte verschwenden Sie den Platz auf Ihrem ansonsten hervorragenden Portal nicht für den Hype um Leute wie sie.

    Dr. Lorenz Barth
    Berlin

  2. Wird dieses Vorhaben mit so viel Beachtung nicht viel zu relevant gemacht? Fallen wir mit so viel Auseinandersetzung mit einer Person nicht auf die Ziele hinein, die einfach mediale Reichweite heißen?

    Keine Kritik, Herr Linden, am Inhalt. Aber vorsichtige Kritik am Stellenwert des Themas.

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