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Ein Denkmal für Władysław Bartoszewski in Zoppot

„Menschen benehmen sich entweder anständig oder unanständig. Und das ist eine kategoriale Unterteilung.“

Wer auf dem Bahnhof von Sopot/Zoppot aussteigt, wird seit dem 5. Juli vom Standbild eines Mannes begrüßt, der sich seinem Gegenüber im Gespräch zuneigt. Dies ist landesweit das erste Denkmal für Władysław Bartoszewski, einen Menschen, in dem sich die Geschichte des 20. Jahrhunderts wie in einem Brennglas fokussierte. Bartoszewski, Jahrgang 1922, Warschauer, Historiker und Publizist, Schriftsteller und Aktivist, Politiker und Diplomat, aber auch Auschwitz-Häftling, Ratsmitglied der polnischen Judenhilfsorganisation „Żegota“, Offizier der polnischen Heimatarmee (AK), Widerstandskämpfer im Polnischen Untergrundstaat und Teilnehmer des Warschauer Aufstands von 1944. Träger des Weißen-Adler-Ordens und ausgezeichnet von Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“. Als erster und bislang einziger Pole hielt er eine Rede vor vereinigtem Bundestag und Bundesrat aus Anlass des 50. Jahrestags des Endes des Zweiten Weltkriegs. Und wenn er auch schon seit fünf Jahren nicht mehr unter uns weilt, ist Professor Bartoszewski immer noch eine der beiderseits der Oder bekanntesten Persönlichkeiten der Zeitgeschichte.

Zoppot war Bartoszewskis liebster Ferienort; er kam jedes Jahr hierher. Der Stadtrat verlieh ihm 2007 den Ehrenbürgertitel; die Begründung führte an, seine Haltung, sein Patriotismus, seine Besonnenheit und seine Gesprächsbereitschaft hätten ihn zum Vorbild für alle gemacht, und die Aufnahme einer solchen großen Persönlichkeit in die Reihe der Ehrenbürger von Zoppot sei für künftige Generationen der Stadt Auszeichnung und Inspiration. Daher überrascht es kaum, dass es eine Initiative aus der Bürgerschaft zur Aufstellung des Denkmals gerade an diesem Ort gab.

Dem Denkmal fehlt jedes Pathos, doch ist es voller Ernst, wie es dem Staatsmann nur angemessen ist, und auch voller Empathie, die Zuneigung und Zuspruch des Betrachters zu wecken geeignet ist. Dem Schöpfer der Skulptur, dem Bildhauer Jacek Kiciński, ging es bei seinem Werk darum, „ein psychologisches Porträt Władysław Bartoszewskis zu zeigen, des Staatsmanns, des positiven Mystikers, des mit großer Empathie ausgestatteten Mentors.“

So entstand ein Denkmal für einen offenen und freundlichen Menschen, einen Gesinnungsgrenzen überwindenden Diplomaten, der sich ganz und gar den Ideen von Verständigung und Versöhnung verschrieben hatte. Denn diese waren für Bartoszewski Grundwerte. Die Geste der ausgestreckten, offenen Hand ist ein Symbol des Dialogs. Bartoszewski spricht sein Motto „Es lohnt sich, anständig zu sein“, und hält den Passanten zum Nachdenken an.

Das Zoppoter Bartoszewski-Denkmal entstand auf Anregung des Vereins „Es lohnt sich, anständig zu sein“, der vor zwei Jahren zu diesem Zweck eine Spendensammelaktion begann. Ihr Vorsitzender Krzysztof Kolarz sagte bei der Denkmalseröffnung, das Denkmal solle nicht nur die außerordentlichen Verdienste eines hervorragenden Staatsmannes würdigen, sondern auch symbolisieren, dass sich an dieser Stelle von jetzt an das demokratische Herz der Dreistad (Zopot, Gdańsk/Danzig und Gdynia/Gdingen) befindet.

Bartoszewskis Sohn Władysław Teofil erinnerte anschließend an die Worte seines Vaters von 1943, als er in seiner Eigenschaft als 21-jähriger Redakteur der Untergrundzeitschrift „Prawda Młodych“ (Wahrheit der Jungen) der katholischen Organisation Front der Wiedergeburt Polens für sich und seine Landsleute ein Programm formulierte: „Bekämpfe die Atomisierung unserer Gesellschaft. Begreife selbst und vermittle anderen die Einsicht, dass Polen nicht aus einigen zig Millionen Einzelwesen besteht, sondern eine große Nation ist, die gemeinsame Ziele und Pflichten gegenüber der Geschichte hat […]. Gib in der Gesellschaft dem Verstand sein Recht […]. Sei ein Förderer des Einverständnisses, ein Förderer des guten Kompromisses. Verwechsle nicht Starrsinn […] mit Charakterfestigkeit […]. Halte dich mit Vorwürfen zurück, denn sonst handelst du ungerecht und machst dich lächerlich und klein.“ Diese Worte gelten immer noch nicht allein für die Polen, sondern alle Europäer.

Enthüllung des Denkmals für Władysław Bartoszewski in Sopot/Zoppot 2020
Fot. Grzegorz Mehring / www.gdansk.pl

Der Jurist Jacek Taylor, Oppositionspolitiker und langjähriger Freund Bartoszewskis, sagte, das Denkmal sei „einem der Väter unserer Unabhängigkeit“ gewidmet. Hinter der Initiative zur Ehrung Bartoszewskis stehe vor allem lautere Zuneigung, nämlich zu einem großartigen, guten Menschen. Er erinnerte auch an die Worte der vormaligen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth nach Bartoszewskis Tod: „Meiner Meinung nach wäre ohne ihn die deutsch-polnische Versöhnung nicht möglich gewesen. Ich vermisse ihn. Es gibt Menschen, die sich nicht einfach ersetzen lassen. Sie leben, arbeiten und wirken selbst nach dem Tode weiter. Er hat uns allen ein großartiges Beispiel zur Nachahmung gegeben. Er war groß. Er war in seiner Art einzig. Er setzte sich im Leben für die Dinge ein, von denen andere nur sprachen. Bartoszewski war einzigartig und unnachahmlich. Er repräsentierte eine unnachahmliche Haltung, verbreitete eine unnachahmliche Aura, besaß eine unnachahmliche, charismatische Schaffenskraft. Er wird in Erinnerung bleiben als Beispiel für einen Menschen der Versöhnung, der sich auf den kritischen Blick, genaue Beobachtung und Verbindung versteht.“

Zur Denkmalsenthüllung kamen zahlreiche Einwohner der Dreistadt und Vertreter der städtischen und staatlichen Behörden. Anwesend waren die vormaligen polnischen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski und Bronisław Komorowski, der vormalige Ministerpräsident und Präsident des Europäischen Rats Donald Tusk, die Stadtpräsidenten von Zoppot und Danzig Jacek Karnowski und Aleksandra Dulkiewicz sowie die stellvertretende Sejmmarschallin Małgorzata Kidawa-Błońska, Senatsmarschall Tomasz Grodzki, stellvertretender Senatsmarschall Bogdan Borusewicz, der Beauftragte für Bürgerrechte Adam Bodnar und Cornelia Pieper, deutsche Generalkonsulin in Danzig.

Die Stadt Zoppot und die Gesellschaft „Es lohnt sich, anständig zu sein“ organisierten vor der Enthüllung eine Reihe von Begleitveranstaltungen, so auch eine Open-Air-Ausstellung zu Bartoszewskis Persönlichkeit. Daneben fand eine Diskussion zum Anstand oder seiner Abwesenheit in der polnischen Politik statt, an der Komorowski, Kwaśniewski und Kidawa-Błońska teilnahmen.

Władysław Bartoszewski wird Deutschen und Polen als Mitbegründer des Dialogs zwischen beiden Nationen in Erinnerung bleiben. Gegen Ende seines Lebens entwickelte er die Idee eines Denkmals in Berlin, mit dem an die grausame Besatzung Polens durch Deutschland erinnert werden soll. Bartoszewskis Ideen werden heute in Deutschland von der „Bartoszewski-Initiative“ propagiert, einem Projekt der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Berlin; sie organisiert Ausstellungen und weitere Veranstaltungen zur Erinnerung an die Entwicklung der deutsch-polnischen Versöhnung.

Erteilen wir zum Ende nochmals dem Geehrten der Feier in Zoppot das Wort. Dieser eine Satz fasst seinen reichen und verwickelten Lebenslauf hervorragend zusammen: „Wenn jemand mir vor sechzig Jahren, als ich zusammengekrümmt auf dem Appellplatz des KL Auschwitz stand, gesagt hätte, ich würde einmal deutsche Freunde haben, Einwohner eines demokratischen und befreundeten Landes, hätte ich gesagt, der ist verrückt.“

 

Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann

 

Bildergalerie

Enthüllung des Denkmals für Władysław Bartoszewski in Sopot/Zoppot 2020
Fot. Grzegorz Mehring / www.gdansk.pl
Enthüllung des Denkmals für Władysław Bartoszewski in Sopot/Zoppot 2020
Władysław Teofil Bartoszewski. Fot. Grzegorz Mehring / www.gdansk.pl
Enthüllung des Denkmals für Władysław Bartoszewski in Sopot/Zoppot 2020
Donald Tusk und Władysław Teofil Bartoszewski. Fot. Grzegorz Mehring / www.gdansk.pl
Enthüllung des Denkmals für Władysław Bartoszewski in Sopot/Zoppot 2020
Fot. Grzegorz Mehring / www.gdansk.pl
Piotr Leszczyński

Piotr Leszczyński

Piotr Leszczyński - Redakteur (DIALOG FORUM, Deutsch-Polnisches Magazin DIALOG), Redaktionssekretär der Danziger Zeitschrift "Przegląd Polityczny".

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