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Jordan B. Peterson und Co: Orbáns Proud Boys

Die Vernetzungsstrategie des ungarischen Regierungschefs umfasst Fürsprecher Russlands, sogenannte „Intellektuelle“ und Medienschaffende. Ziel ist die Bildung einer europäischen Trump-Rechten. Der autokratische Fundamentalismus soll so normalisiert werden.

Viktor Orbáns Stellung im internationalen Feld der radikalen Rechten ist durch die Wahlniederlage von Donald Trump gestärkt worden. Der offensichtliche Faschist Bolsonaro war in Europa nie vermittelbar und Giorgia Meloni agiert seit ihrem Wahlsieg abwartend. Offensichtlich geht es ihr erst einmal um allgemeine Reputation. Marine Le Pen spricht kein Englisch. Somit kommt dem langjährigen ungarischen Regierungschef Orbán im Kreis der äußeren Rechten eine potentielle Führungsrolle zu, die er gerne ausfüllt. Schon seit längerem betreibt Orbán eine Internationalisierungsstrategie. Diese ist ganz darauf ausgerichtet, ein breites Netzwerk aus Höflingen, Think Tanks und Claqueuren zu bilden.

Der Ressourceneinsatz der ungarischen Regierung ist immens. Man errichtet Institute, veranstaltet große Konferenzen und wirbt ausländische Personen an, von denen öffentliche Strahlkraft ausgehen soll. Orbáns Vorgehen basiert auf dem ambitionierten Ziel, den Diskursraum nachhaltig zu verändern. Es soll eine europäische Szene aus Medien und Institutionen geschaffen werden, die die Grenzen zwischen antidemokratischem Rechtsextremismus, grundsätzlichem Systemwiderstand und schlichtem oppositionellen Konservatismus verwischt – analog zum Lager aus republikanischer Partei, Fox-News und Alt-Right in den USA. Außerdem soll dieses Feld über eigene „Experten“ und „Expertinnen“ verfügen, damit das Ganze eine intellektuelle und professionelle Fassade erhält. Wenn der emeritierte deutsche Politikprofessor Werner Patzelt im Fernsehsender WeltTV den migrations- und diversitätskritischen Populisten Boris Palmer verteidigt, tut er das als Angestellter der Brüsseler Abteilung des ungarischen Think Tanks Mathias Corvinus Collegium (MCC). In der Budapester Zentrale des MCC, die unter der Leitung des engen Orbán-Mitarbeiters Balázs Orbán (nicht verwandt mit Viktor) steht, laufen viele Fäden zusammen. WeltTV nennt die Position Patzelts nicht, womit Viktor Orbáns Kalkül im Kleinen aufgeht.

Der seriöse Anstrich ist wichtig, denn die USA zeigen, dass zum rechten Lager auch ein militanter, unappetitlicher Straßenmob gehört, der schon mal das Parlament stürmt. Wahlniederlagen werden nicht akzeptiert. Das verwundert nicht, denn die Gewaltenteilung (insbesondere in Bezug auf Presse und Justiz) sowie Minderheitenrechte (vor allem in Bezug auf Migranten und sexuelle Minderheiten) werden von der äußeren Rechten nicht als genuiner Bestandteil politischer Ordnung angesehen. Deshalb handelt es sich um eine autokratische Bewegung.

Natürlich agiert Viktor Orbán nicht alleine, sondern als Teil eines internationalen Feldes. Er ist jedoch für die antidemokratische Rechte das, was Macron gerne für das liberaldemokratische Lager gewesen wäre. Orbán erfüllt Erwartungen in Bezug auf ein verklärtes Bild von Führerschaft, so wie es autoritären Milieus zu eigen ist. Pluralistisch ausgerichtete Wählerinnen und Wähler sind hier naturgemäß misstrauischer, was für sie spricht. Orbáns Strategie zielt deshalb darauf ab, selbst auf den pluralistischen Wert Meinungsfreiheit, zu verweisen, um breitere Schichten ansprechen zu können. Folgerichtig inszeniert sich das Geflecht der Unterstützerinnen und Unterstützer permanent als Opfer einer angeblichen Cancel Culture.

Jordan B. Peterson in Budapest

Damit neben verbitterten Rentner-Konservativen auch Medienstars zum Propagandanetzwerk stoßen, muss man sie umschmeicheln. Bei dem ehemaligen Fox-News-Moderator Tucker Carlson genügten dazu Einzeltermine mit Viktor Orbán. Auch Orden gehören zum Anwerberepertoire. Ein solches Beispiel für das Vorgehen des ungarischen Regimes bildet der Umgang mit dem bekannten kanadischen Psychologen und Bestsellerautor Jordan B. Peterson. Man möchte dessen große Fanbasis eingemeinden.

Peterson füllt eine Leerstelle im ungarischen Ideologiekosmos, da er zwar zuverlässig Feindbildnarrative wie „Gender“ und „Woke“ bedient, dabei aber auch individualistisch und oft nebulös argumentiert. Der offen reaktionäre Gott-Familie-Nation-Kollektivismus der äußeren Rechten wird so um einen medialen Selbstvermarkter und Vortragsreisenden ergänzt, der seine Bücher als Individualratgeber zur Lebensführung aufmacht und dabei gerne auf ebenso allgemeingültige wie abstrakte Werte verweist – etwa auf die individuelle Verantwortlichkeit (responsibility). Dieser zur Schau gestellte Individualismus und die präsentierte Nachdenklichkeit sind wichtige Instrumente zur Gewinnung gerade junger Menschen. Peterson betont gerne seine liberalen Wurzeln. In seinem „Konservativem Manifest“ (2022) werden deshalb die Werte „Autonomie“, „Identität“ und „Freiheit“ postuliert. Daneben stehen freilich „Tradition“ und „Gemeinschaft“. So ist scheinbar für jeden etwas dabei. Jedoch reduziert sich das Angebot bei näherer Betrachtung auf Menschen, die eine heterosexuelle Familie und geschlossene Gemeinschaften anstreben.

2019 war Peterson zu Gast in Budapest. Seine Open-Air-Show zeigte ihn als verletzlichen Prediger, der auf den Wert des Christentums und der Wahrheit rekurriert. Bei Ausführungen zum Totalitarismus des 20. Jahrhunderts weinte er und verkaufte sich als „wachen“ Kämpfer gegen die Versuchung des „Bösen“. Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine psychologische Blitzberatung von Einzelpersonen. Peterson schaffte sieben Analysen in 20 Minuten.

Bei diesem Besuch in Budapest erhielt Peterson auch einen Privattermin mit Viktor Orbán, dessen Kalkül darin besteht, seinen nationalistischen Kollektivismus um atypische Aspekte zu erweitern. Gerne verweist er zum Beispiel auf seine Leseleidenschaft. Auch die Bücher der Gegenseite müsse man kennen. Peterson personifiziert solche manipulativen Irritationen angestammter Vorstellungen. Inhaltlich präsentiert der Kanadier zwar reaktionäres Denken, aber er weicht dabei vom klassischen Bild des starken Mannes ab und argumentiert individualistisch-antitotalitär.

Im Juni 2022 war Peterson dann sogar als Ehrengast geladen. Diesmal übereichte ihm die Staatspräsidentin Katalin Novák einen Verdienstorden. An ihrem Amtssitz durfte er einen Vortrag halten, der von der Präsidentin via Facebook bilderreich vermarktet wurde. Im November 2022 besuchte Novák den Kanadier Peterson dann in dessen Haus in Toronto. Peterson sei ein „liberaler Denker im klassischen Sinne“, der lediglich für die Meinungsfreiheit eintrete und sich gegen die „Woke-Ideologie“ wende, schrieb Novák auf Facebook.

Um zu dieser falschen Einschätzung zu kommen, muss man viele Aussagen Petersons ignorieren. Er stützt jene Agenda, die Orbán selbst „illiberal“ nennt. Den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bringt er mit einem angeblichen Bürgerkrieg im Westen in Verbindung. In einem langen Video dazu legt er nahe, Russland reagiere in Notwehr auf einen Kulturkampf im „pathologischen Westen“, wobei die Krankheit im „woken Triumvirat aus Diversität, Inklusivität und Gerechtigkeit [equity]“ bestehe. Im Gespräch mit der Politikerin Tulsi Gabbard stimmt Peterson der These zu, der Westen verhindere den Friedensschluss in der Ukraine. Klaus Schwab vom Weltwirtschaftsforum bezeichnet er auf Twitter als „Dr. Evil“. An selber Stelle wendet er sich regelmäßig gegen die „globalistische Elite“ bzw. „globalistische Utopisten“. Peterson, der stets feinen Zwirn trägt, beherrscht den Wortschatz des Bodenpersonals der äußeren Rechten. Die ständige Verhöhnung von Transpersonen über Social Media ist seine Reminiszenz an die Bedürfnisse des Mobs.

Im Mai 2023 trat Peterson wieder in Budapest auf. Die Veranstaltung vor tausenden Fans wurde vom MCC mitorganisiert und am Tag danach gab es den mittlerweile obligatorischen Termin bei Staatspräsidentin Novák. Sie empfängt den seriös auftretenden Promi-Redner, der Ungarn im Gegenzug als gallisches Dorf im Widerstand gegen ein „wokes“ Imperium verkauft. Demgegenüber scheut sich Viktor Orbán nicht, offen rechtsextremistisch zu reden, etwa wenn er erklärt, „gemischtrassige“ Paarungen seien abzulehnen. Auch Antichrist-Verschwörungstheorien bedient Orbán, z.B. durch die explizite Gleichsetzung von „Wokeness“ mit dem „Antichristen“ oder dadurch, dass er die „Globalisten“ zur „Hölle“ wünscht. Seine Anti-Soros-Kampagnen sind bewusst antisemitisch konnotiert. Da macht es sich gut, wenn ein anzugtragender Kanadier das Image des Staates mit Rhetorik und guter Mine aufpoliert. Dass Jordan B. Petersons Freiheitsbegriff weder Angehörige der LGBTQ-Community noch den ukrainischen Staat umfasst, macht ihn zum Verbündeten des neoautokratischen Ungarns.

Eine typische Gruppenaudienz und die CPAC

Novák ist nicht nur für Peterson zuständig, sondern hat im März auch bekannte christliche Fundamentalisten in New York getroffen. Darunter war etwa der Rechtsprofessor Adrian Vermeule. Sie ergänzt damit das Vorgehen Viktor Orbáns, der sich regelmäßig Zeit für „exklusive“ Audienzen nimmt.

Ein solches Treffen fand im Januar 2023 anlässlich der MCC-Konferenz „The Future of Publishing“ in Budapest statt. Am Tischgespräch mit Viktor Orbán, das von seinem Mitarbeiter und Namensvetter Balázs fotographisch verbreitet wurde, nahmen Medienschaffende aus verschiedenen Ländern teil. Der in der rechten Szene bekannte US-amerikanische Autor Rod Dreher saß gegenüber von Viktor Orbán. In seinen Texten fabuliert Dreher schon einmal über das beginnende „Zeitalter des Antichristen“. Er lebt nun als Leiter eines ungarischen „Netzwerk-Projekts“ in Budapest. Außerdem saßen mit Gladden Pappin und Sohrab Ahmari zwei weitere US-Amerikaner am Tisch, die zuverlässig Orbáns Ideologie verbreiten. Pappin, der mit Adrian Vermeule und Patrick J. Deneen zur Wissenschaftlergruppe der selbsternannten „Postliberals“ gehört, ist mittlerweile ebenfalls in Ungarn angestellt. Er ist seit April Präsident des neu geschaffenen „Hungarian Institute of Foreign Affairs“. Ahmari arbeitet als Journalist vor allem für das von ihm mitgegründete US-amerikanische Onlinemagazin Compact Mag.

Ahmari selbst gehört zum Neuen Christlichen Fundamentalismus, Compact Mag bedient aber ein weites Feld und publiziert auch von links kommende Autoren, solange es nur möglichst schrill zugeht, wie der Untertitel „A radical American journal“ zeigt. Man richtet sich nach eigener Aussage gegen „die Ideologie des Liberalismus“. Orbán weiß, dass sich internationale Mehrheiten besser gewinnen lassen, wenn eine demokratiekritische Querfront angesprochen wird und Lobpreisungen des Rechtsradikalismus neben Aufsätzen von – beispielsweise – Slavoj Žižek stehen.

Auch deutsche Akteure nahmen am Orbán-Tischgespräch im Januar und an der rechten Medientagung des MCC teil: der ehemalige Bild-Mann Ralf Schuler, Roland Tichy und Alexander Marguier. Letzterer ist Chefredakteur des Magazins Cicero, das eigentlich zum qualitativen Teil der konservativen Medienszene gehört. Im Oktober 2022 leitete Marguier aber zusammen mit Holger Friedrich von der Berliner Zeitung ein kritikloses Gespräch mit Orbán in Berlin. Friedrich war jüngst als Gast in der Russischen Botschaft in Berlin. Wie sich Cicero entwickelt, bleibt abzuwarten.

In Roland Tichys Publikation Tichys Einblick sind regelmäßig Verteidigungsreden Ungarns zu lesen. Sie werden häufig vom ehemaligen Welt-Journalisten Boris Kálnoky verfasst, der ebenfalls am Tischgespräch mit Orbán teilnahm und praktischerweise beim MCC arbeitet. Schuler wiederum ist Teil des rechten Medienprojekts um den Ex-Bild-Chef Julian Reichelt, der sich gerne als deutscher Tucker Carlson etablieren möchte. Kurzum: Orbán versammelte die ganze Bandbreite eines medialen Spektrums um sich, das vom gediegenen Liberalkonservatismus über den christlichen Fundamentalismus bis zur Krawallhetze reicht.

Auch auf der zweiten CPAC-Hungary, dem Ableger eines großen US-amerikanischen Konferenzformats von Trumpisten, ging es Anfang Mai nicht zimperlich zu. Aus Deutschland war der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maßen nach Budapest angereist. Er verbreitete dort die rechtsextreme Verschwörungstheorie, die derzeitige Migrationspolitik werde betrieben, um europäische Demokratien absichtlich zu destabilisieren. Roger Köppel von der Schweizer Weltwoche durfte ebenfalls auftreten. Er ist seit langem als Fürsprecher Russlands bekannt, sendete jüngst sogar aus Moskau und ließ sich dort mit dem Goebbels-gleichen Hetzer Wladimir Solowjow lächelnd ablichten. Dieser sei „blitzgescheit“ und „lustig“, so Köppel. Auf der Konferenz, die von Orbán eröffnet wurde, sprach auch die amerikanische Trump-Anhängerin Kari Lake. Ihre These: Der Krieg in der Ukraine würde enden, wenn man sofort aufhöre, ihn aus Amerika mit Geld zu unterstützen. Lake postulierte also die Kapitulation der Ukraine. Das hinderte den Chef der regierungsnahen polnischen Organisation Ordo Iuris nicht daran, auf der CPAC-Hungary aufzutreten.

Das Redemanuskript von Jerzy Kwaśniewski steht in der Tradition der reaktionären und gegen Individualrechte gerichteten Rhetorik von Andrzej Duda, der Angehörigen von LGBT-Gruppen im Präsidentschaftswahlkampf 2020 explizit die Menschlichkeit absprach, da es sich um eine „Ideologie“ handle. Kwaśniewski beschwor in Budapest Werte des Mittelalters. Die Religion müsse wieder die Grundlage des Staatswesens bilden, der Säkularismus zurückgedrängt werden. Nur so sei das „woke Imperium“ zu besiegen. Derartige theokratische Töne erinnern an die afghanischen Taliban oder das iranische Regime. Nur die Religion wird von Kwaśniewski ausgetauscht. Die „säkulare Vernunft“ habe zu „neototalitären Woke-Staaten“ geführt, so seine These. Der Think-Tank-Leiter forderte, den „Sumpf“ aus Vereinten Nationen und Weltgesundheitsorganisation „trockenzulegen“. Auch das Weltwirtschaftsforum müsse geschlossen werden.

Mit Arendt auf Orbán geblickt

All die im Text skizzierten Facetten antidemokratischen Denkens vereinigt Orbáns Programm der Diskursverschiebung: den Christlichen Fundamentalismus, den Völkischen Nationalismus, die Verschwörungstheorie, die Ablehnung individueller Rechte, die als Souveränität getarnte Abschaffung der Gewaltenteilung sowie die Akzeptanz totalitären Großraumdenkens durch Russland. Die Vernetzungsstrategie des ungarischen Regierungschefs läuft darauf hinaus, diese Ideologie international zu normalisieren. Ihre Umsetzung stünde für das Ende der liberalen westlichen Demokratie, über deren Gegenmodelle ein Blick in Hannah Arendts Klassiker „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ (1951) informiert.

In Arendts Buch steht auch, dass totalitär gesinnte Machthaber ihr Land gerne als geschütztes „Laboratorium“ darstellen, welches sie einer „gegebene[n] Welt“ gegenüberstellen, die als Feindbild fungiert. So soll das radikaloppositionelle „Ressentiment der Massen“ auch nach der Machtübernahme aufrechterhalten werden. Demnach ist die Fiktion eines „Woke Globalist Goliath“, von dem Viktor Orbán auf der CPAC 2022 in Dallas sprach, konstitutiv für den Machtanspruch der rechtsextremen Bewegung. Sie stellt sich immer als „im Werden“ dar, selbst wenn man Regierungschef ist, und benötigt deshalb mächtige Feindbilder. Das Geschäft brummt.

 

 

Markus Linden

Markus Linden

außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier, zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u.a. Theorie und Empirie der Demokratie, Parteien- und Parteiensysteme, die Neue Rechte und Rechtspopulismus.

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