Meinungsumfragen zeigen, dass die rechtsgerichtete polnische Partei Konfederacja (Konföderation) bei den Sejmwahlen im Herbst mit einem Ergebnis von über 10 Prozent rechnen kann.
„Wir wollen keine Juden, Homosexuellen, Steuern und Europäische Union. Diese Botschaft kommt am besten bei unseren Wählern an, deshalb mögen unsere Wähler uns zuhören, und deshalb wollen uns die Wähler ihre Stimme geben“, so äußerte sich Sławomir Mentzen von der Parteiführung der Konfederacja vor den Wahlen zum Europaparlament von 2019. Seine Worte sind nach wie vor aktuell. Mit dem Zusatz, dass in Polen Immigranten genauso wenig beliebt sind wie LGBTQ+. Offenbar stößt diese Rhetorik besonders bei jungen Männern, aber auch bei jungen Frauen auf offene Ohren.
Den größten Anteil erzielt die Konfederacja bei den jüngsten Wählern der Altersgruppe von 18 bis 39 Jahren. Von diesen erklären 27 Prozent, für die Partei stimmen zu wollen. In der Altersgruppe von 40 bis 49 Jahren erzielt die Konfederacja nur acht Prozent, in der Altersgruppe ab sechzig Jahren kaum noch zwei Prozent. Wenn das so bleibt, kann sie ab Herbst zusammen mit „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) eine Koalitionsregierung bilden, vorausgesetzt, Jarosław Kaczyńskis Partei gewinnt die Wahlen ein weiteres Mal.
Outsider im kontrollierten Chaos
Adam, der seinen wahren Namen nicht zu nennen bittet, Chef einer Consultingfirma, ist nach Großbritannien ausgewandert und hat keinen Zweifel daran, dass er seine Stimme der Konfederacja geben wird.
„Ich bin kein Fan von Sławomir Mentzen, seiner immer peinlicheren Witze auf Incel-Niveau und seiner Alkohol-Sketche für Quartalssäufer. Von Steuern hat er sicher Ahnung, aber bei der Makroökonomie sieht es schon schlechter aus, was die Debatten mit seriösen Ökonomen immer schon haben deutlich werden lassen, besonders im Fernsehen, wo er eine viel schlechtere Figur abgibt als auf TikTok. Andererseits ist die Intelligenz und Gewitztheit von Krzysztof Bosak nicht zu unterschätzen, aber noch so ein Typ von der Konfederacja, Dobromir Sośnierz, ist wieder ganz anders gestrickt, der hat doch glatt behauptet, Tiere seien Maschinen und spürten keinen Schmerz. Dann finde ich Grzegorz Braun noch ziemlich überzeugend, aber ich schätze ihn eher als Filmemacher und historischen Publizisten denn als Politiker. Folglich wähle ich Konfederacja nicht wegen ihres Führungspersonals.“
Wieso setzt er dann auf die Partei? Adam erzählt, er sei seit über zwanzig Jahren als freiberuflicher Firmenberater im Geschäft. Seine Ambitionen seien nicht darüber hinausgegangen, ein erfolgreicher Outsider im kontrollierten Chaos zu sein. Anders gesagt ein Kleinunternehmer, der bis 2010 in Polen sein Ein-Mann-Unternehmen betrieb. Wie er sagt, hatte es für ihn keinen Zweck mehr, so weiterzumachen, mit all den Sozialabgaben, den ständig neuen versteckten Steuern, monatlichen Berichten, repressiven Kontrollen usw. Er wählte also London, gründete eine limited company, was in Polen einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung entspricht. Diese Firma leitet er nun seit fast zehn Jahren.
„Meine Buchhalterin habe ich nie persönlich getroffen, und sie kostet mich im Monat vierzig Pfund“, erklärt er die Vorzüge eines Unternehmens in England, von denen in Polen nicht die Rede sein kann. „Das Finanzamt verlangt nur einmal im Jahr eine Rechenschaftslegung, und weil es für die Umsatzsteuer eine hohe Schwelle gibt, zahlt meine Firma keine, was die Buchführung erleichtert. Wenn Mentzen sagt, in den Müll mit dem ganzen Umsatzsteuergesetz, und Sozialleistungen werden für Unternehmer freiwillig sein, dann hoffe ich, dass es in Warschau wie in London sein wird. Ehrlich gesagt, hätte ich bei einer Alleinregierung der Konfederacja so meine Befürchtungen, aber wenn sie in einer Koalitionsregierung wäre oder zumindest wirklichen Einfluss auf die Gesetzgebung hätte, wäre das für die polnischen Unternehmen eine Wohltat. Außerdem braucht die polnische Politik neue Leute an der Spitze, Vierzig‑ und Fünfzigjährige, die nicht aus den üblichen politischen Lagern kommen. Ich sehe die Konfederacja als politisches Buffet, was offenkundig damit zu tun hat, dass sie organisatorisch und daher auch ideologisch eklektizistisch ist, um nicht zu sagen exotisch. Man kann von einer Speise kosten, die man mag, und schon ist man ein Konföderierter. Mehr werde ich niemals von der Partei erwarten.“
In Bezug auf die Polen aufwühlenden Konflikte in der Abtreibungsfrage ist Adam der Meinung, die männlichen Anhänger der Konfederacja gehörten zu jener bigotten, nicht unbedingt katholischen Mehrheit von Männern in Polen, die sich gleichzeitig eine Ehefrau und mehr als eine Geliebte leisten.
„Also legt er was für die Pille danach dazu, und die Abtreibung bezahlt er auch. Aber natürlich geht er damit nicht hausieren. Und wenn er ein außereheliches Kind hat, dann kümmert er sich durchaus darum. Ich glaube nicht, dass irgendjemand für dergleichen oder wegen homosexueller Neigungen aus der Konfederacja ausgeschlossen wird.“
Adam gehört zur Generation der Fünfzigjährigen, aber seine Auffassungen werden von vielen jungen Anhängern der Partei geteilt. Freie Lebensgestaltung, wenig Stress, sichere Finanzen und Unabhängigkeit. Was für sie zählt, ist besonders weniger Amtsschimmel. Überall sonst kommen sie nach ihrer Überzeugung klar, weil sie über das nötige Kleingeld verfügen.
Dr. Paweł Modrzyński, Ökonom am J.-J.-Śniadecki-Politechnikum Bydgoszcz, ist der Meinung, es gebe mehrere Ursachen für den Erfolg der Konfederacja bei der jungen Generation.
„Erstens verstehen die jungen Leute nicht, und wichtiger noch, interessieren sich nicht dafür, welche Konflikte die Polen untereinander austragen, also die Auseinandersetzungen zwischen PiS und PO [Bürgerplattform]. Solange Verfassungsbruch oder Beschneidung der Entscheidungsfreiheit, wie im Falle des Zugangs zur Abtreibung, den jungen Wähler nicht persönlich betreffen, verschließt er die Augen vor den anstehenden Problemen. Zweitens hat die Konfederacja eine einfache und eingängliche Botschaft. Jeder will in einem Land mit übersichtlichen und niedrigen Steuern leben, doch leider macht sich niemand Gedanken, wie das zu erreichen sei und welche seiner öffentlichen Funktionen der Staat einstellen sollte, z.B. kostenfreie Bildung. In ihrem wirtschaftspolitischen Programm zeigt die Konfederacja nur eine Seite der Medaille, nämlich ganz einfach – lasst uns weniger Steuern zahlen. Von der anderen Seite dagegen schweigt sie, nämlich, lasst uns alles aus eigener Tasche bezahlen. Ein dritter, gleichfalls wichtiger Aspekt ist die Art, in der sie ihre Botschaft verbreitet. Die sozialen Medien wie TikTok, in denen die Konfederacja mit großem Geschick agiert, zeigen dem Wähler Filmchen mit einer einfachen Botschaft und einer Länge von wenigen Sekunden bis drei Minuten. Leider erwarten die meisten keine tiefschürfende, substantielle Diskussion von Fragen der Gesellschaft oder Wirtschaft. Wie heute Informationen gestreamt werden, soll ganz kurz und in der Form interessant sein, nicht unbedingt aber aufrichtig im Inhalt.“
Schluckauf nach der Doppelherrschaft
Professor Dariusz Dąbrowski, Historiker an der Kasimir-der-Große-Universität Bydgoszcz, wundert sich nicht über den Erfolg der Konfederacja bei den Wählern, nimmt ihn aber mit Unbehagen zur Kenntnis. Er verweist auf die Popularität der Partei besonders bei der jungen Generation und meint, die Gründe dafür seien zweifelsohne im schlechten Zustand des Bildungswesens in Polen zu suchen. Nach Meinungsumfragen würden etwa dreißig Prozent der 18- bis 39jährigen für die Partei stimmen. Solche Ergebnisse erzielen im Allgemeinen nur die größten Parteien.
„Das Land hat einen Schluckauf nach der langjährigen ,Doppelherrschaft‘ von PiS und KO [Bürgerkomitee], wenn wir einmal die zahlreichen Namenswechsel der Parteien in Rechnung stellen. Viele assoziieren diese Parteien mit dem System, das im Ergebnis der Verhandlungen am Runden Tisch [von 1989] erzielt wurde,“ sagt Dąbrowski. „Besonders für die jungen Leute ist das alles ein Phänomen der ,alten Knacker‘, die endlich einmal den Platz räumen sollten. Für jemand neuen. Dieser Forderung entspricht zum Beispiel ein Parteimann wie Sławomir Mentzen, der Jahrgang 1986 ist.“
Der Historiker meint festzustellen, in der visuell dominierten Kultur entstehe eine immer deutlichere Kluft zwischen den von den Parteien verkündeten Parolen und ihren Programmen. Er behauptet nicht, dass es das früher nicht gegeben habe. Doch nicht in dieser Größenordnung. Nur wenige machten sich heute noch die Mühe, Parteiprogramme zu lesen. Daher reicht es den Parteien, wenn sie die Wähler mit hochtrabenden Parolen erreichen können. Es genüge, sich anzuschauen, was Sławomir Mentzen so treibt. Es sei kein Zufall, dass er unter allen Politikern der unbestrittene Spitzenreiter auf TikTok ist.
„Ich bin ziemlich sicher, dass die allermeisten Anhänger der Konfederacja das Programm der Partei gar nicht mal kennen,“ sagt Dąbrowski. „Schlimmer noch, der Abwechslung halber stimmt ein Großteil den von den Wahlkampfparolen vermittelten Botschaften zu, die sich im Programm selbst kaum widerspiegeln; zum Beispiel gibt es keine genauen Angaben, wie die vorgegebenen Ziele eigentlich erreicht werden sollen. Ich wäre zum Beispiel neugierig, wie die Konfederacja-Wähler es fertigbringen wollen, zugleich aus der EU auszutreten und in der Schengenzone und im Europäischen Binnenmarkt zu bleiben. Ein Teil lässt sich von der in Großbuchstaben verkündeten liberalen Forderung nach Steuersenkungen ansprechen, die übrigens nicht dumm ist, aber auch hier wieder die Frage, wie sie umzusetzen wäre. Anderen gefallen die konservative Parole vom Schutz der ,Staatsräson‘ und das propagierte Modell einer patriarchalen Gesellschaft. Es ist halt so: Sehr viele Polen sind immer noch fremdenfeindlich, patriarchalisch und provinziell eingestellt. Was die Popularität der Konfederacja gerade bei jungen Männern angeht, so glaube ich, dass hier ein bestimmter mentaler Mechanismus zum Zuge kommt. Wie die Geschichte vielfach belegt, haben männliche Jungtiere einen ausgeprägten Herdentrieb. Die Konfederacja schafft es, ein solches Gemeinschaftsgefühl zu wecken. Nicht allein handelt es sich um eine nach dem Führerprinzip aufgebaute Partei – es geht nicht nur um die Außenwirkung, wenn sich die einzelnen Gruppierungen, aus denen sich die Konfederacja zusammensetzt, mit den Namen ihrer jeweiligen Führer präsentieren und das in den Medien auch so herausgestellt wird –, sondern diese Neigung ihres Wählerpotentials wird anscheinend ganz gezielt instrumentalisiert.“
An dieser Stelle drängt sich als Argument erneut auf, wie sich Sławomir Mentzen verhält, ein offenkundig intelligenter, gewandter und befähigter Mann, promovierter Wirtschaftswissenschaftler mit einem Abschluss in Physik und einer Abstammung aus einer Akademikerfamilie. Für Dąbrowski ist klar, dass die polenweit organisierten Wahlstände „Auf ein Bier mit Mentzen“ vor allem bei jungen Männern gut ankommen. Das vermittelt ihnen ein Gefühl der Nähe zum Führer. So meinen sie, derselben Gang anzugehören.
„Natürlich ist das eine komplette Irreführung“, wie Dąbrowski meint. „Dieser eine, bestimmte Führer (allerdings die anderen auch, vielleicht noch am wenigsten Grzegorz Braun, der ein echter Fanatiker zu sein scheint), spielt hier in zynischer Weise, aber erfolgreich mit seinen Soldaten. Aber die sind ganz und gar nicht fähig, das zu begreifen, weil sie entweder dazu zu dumm sind oder verblendet von der Propaganda. Sehen wir uns nur einmal an, aus welchen Milieus diese Leute regelmäßig kommen und was ihr Bildungsniveau ist. Ich spreche nicht von den Parteioffizieren, das sind meist intelligente und gebildete Leute, die aber leider aus Machtgier äußerst zynisch agieren.“
Natürlich stecken hinter der Popularität der Konfederacja mehr oder minder berechtigte Existenzängste vieler, insbesondere junger Polen. Die Angst vor dem sozialen Abstieg, vor dem Andrang von Immigranten von außerhalb Europas, vor der Perspektivlosigkeit. Es ist leicht, diese Ängste anzustacheln, indem man den altbekannten Mechanismus ausnutzt, die Verantwortung für die schlimme, angsterregende Realität dem Feind zuzuschreiben. Dazu bietet sich die Europäische Union förmlich an. Es reicht, auf die astronomischen Gratifikationen der Eurokraten zu verweisen (an denen sich die Europaabgeordneten der Konfederacja selbstverständlich nicht stören), sowie auf eine Reihe von dummen, auf die Interessen von bestimmten Kräften und Staaten zugeschnittenen Vorschriften. Dazu noch die gelegentliche Lüge über EU-Direktiven zur Verteilung von Migranten in den Mitgliedsstaaten, und dann alles im Kontrast mit dem Einkommen eines Dreißigjährigen in Polen, der bei seinen Eltern wohnt und in einem Bauunternehmen oder auf einer Tankstelle arbeitet. „Die Konfederacja nutzt die Schwächen der Demokratie perfekt aus, nämlich das Recht, die eigenen, sehr polarisierenden und de facto demokratiefeindlichen Parolen verbreiten zu dürfen“, fasst Dąbrowski zusammen. „Dieses Recht wird auch von PiS genutzt, aber das ist ja auch eine Führerpartei, die mit ihrer Politik die Erlaubnis gegeben hat, demokratische Spielregeln zu umgehen oder zu brechen. Leider wird die Popularität der Konfederacja auch durch einen gering ausgeprägten Bürgersinn befördert, besonders bei der jungen Generation, denn schließlich spricht es kaum von bürgerschaftlichem Engagement, den lieben langen Tag ins Handy zu starren. Dahinter steckt jedoch ein immer schlechteres Bildungsniveau. Jan Zamoyski [1542–1605] hatte Recht, als er in der Gründungsurkunde der Zamoyski-Akademie [gegründet 1595; A.d.Ü.] schrieb: ,Die Republiken werden so sein, wie die Erziehung ihrer Jugend.‘ Ich fürchte, wir entwickeln uns in Richtung auf eine konföderierte Republik [Anspielung auf die „Konföderationen“ des polnischen Adels, insbesondere die Konföderation von Bar (1768), in denen sich der Adel gegen den Verlust seiner Privilegien durch die angestrebten Staatsreformen wandte; A.d.Ü.]. Hoffentlich wird es nicht so kommen, aber vieles deutet darauf hin.“
Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann
„Outsider im kontrollierten Chaos“ und als nächstes Wort -> „Adam“
Chaos und Adam passen perfekt zusammen. Da war gerade aus dem Chaos heraus Ordnung erschaffen und Adam war mit seiner Eva im Garten Eden. Nun kam die Schlange und überredete Eva, von der verbotenen Frucht zu essen. Dennoch wurde davon gegessen und Adam und Eva wurden ins Chaos gestürzt und mussten fortan selber arbeiten. Sie erschufen aus diesem erneuten Chaos wieder eine neue Ordnung. Immer wieder muss aus dem Chaos heraus Ordnung erschaffen werden -> https://www.mythologie-antike.com/t289-chaos-in-der-griechischen-mythologie-und-allgemein-betrachtet