Zum Inhalt springen

Schwarze Wolken über „Karta“

Aureliusz M. Pędziwol spricht mit dem Verleger und NGO-Leiter Zbigniew Gluza

Eine der wichtigsten und originellsten historischen Zeitschriften in Polen ist „Karta“, so auch der Name der um die Zeitschrift herum entstandenen Nichtregierungsorganisation. Doch beide stehen nunmehr vor der Pleite. „Wir sind außerstande, uns selbst aus dieser Lage zu befreien“, sagt der Gründer und Leiter der NGO „Karta“ Zbigniew Gluza.

Aureliusz M. Pędziwol: Was ist „Karta“?

 Zbigniew Gluza: Es handelt sich um eine aus der Gesellschaft heraus entstandene Organisation, die sich mit der Zeitgeschichte Polens und seiner geopolitischen Umgebung befasst, insbesondere mit Osteuropa. Wir begannen mit dem Thema Repressionen, denn „Karta“ entstand in Reaktion auf die Einführung des Kriegszustands in Polen [am 13. Dezember 1981; A.d.Ü.], drei Wochen danach, als Untergrunddruck, als auf der Schreibmaschine abgeschriebenes Blatt. In der Folgezeit ist „Karta“ gewachsen. Am Anfang war die Publikation ein antikommunistischer Akt, eine Reaktion auf die Maßnahmen des Regimes. Wir begannen das zu ändern, als klar wurde, dass der Kriegszustand nicht Monate, sondern Jahre andauern würde.

Als euch Zweifel an der Parole kamen „Der Winter gehört euch, der Frühling uns“?

Solange wir an diese Parole glaubten, gaben wir ein Blatt heraus, dass sich auf die aktuellen Ereignisse konzentrierte. Damit hörten wir nach der Niederlage vom 31. August 1982 auf [an diesem zweiten Jahrestag der Augustvereinbarungen zur Gründung der Solidarność von 1980 fand in Wrocław eine Massendemonstration statt, die zu Barrikadenkämpfen eskalierte und von den Sicherheitskräften blutig unterdrückt wurde; in weiteren Städten kam es zu ähnlichen Auseinandersetzungen; A.d.Ü.]. Damals gingen wir in Warschau auf die Straße. Wir waren überzeugt, es würde einen entscheidenden Zusammenstoß geben; wir riefen dazu auf, sich nicht auseinanderjagen zu lassen, sondern sich zu schlagen. Wir verloren, daher änderten wir unsere Taktik. Seither machten wir einen Almanach in Buchform, der in großen Zeitabständen erschien. Wir bezogen darin Stellung gegen die Diktaturen, sei es nun die volkspolnische, die sowjetische oder andere.

Doch weiterhin setzten wir keinen besonderen historischen Schwerpunkt. Erst unsere späteren Erfahrungen brachten uns dazu. In meinem Fall war das, als ich 1985 nach halbjähriger Haft wieder aus dem Gefängnis kam. Erst dort war mir klar geworden, dass ich mich mit der Zeitgeschichte nicht sonderlich gut auskannte, und das steht einem politischen Gefangen im Verhältnis zu den Kriminellen nicht gut zu Gesicht. Erst motivierte mich das, dann auch „Karta“.

In den Jahren danach verwandelte sich die Zeitschrift schrittweise in ein historisches Periodikum. Wir druckten erste Zeitzeugnisse ab. Und als wir im Frühjahr 1987 begriffen, dass die sowjetischen Repressionen von polnischen Bürgern in Volkspolen das am stärksten ignorierte Thema war und in der Öffentlichkeit praktisch nicht in Erscheinung traten, beschlossen wir, uns mit dieser kollektiven Erfahrung mit dem Osten zu befassen. Unter dem Namen „Archiwum Wschodnie“ (Ostarchiv) riefen wir eine landesweit eine Bewegung aus der Gesellschaft ins Leben. Zum Höhepunkt ihrer Aktivitäten zeichneten zweihundert Mitglieder die Berichte von ehemaligen Lagerinsassen und Verbannten mit dem Tonband auf, protokollierten die Aufnahmen und sammelten Dokumente.

Das waren die Anfänge des Archivs der „Karta“?

Das war überhaupt der Anfang eines systematischeren Umgangs mit der Geschichte unsererseits. Wir taten das mit immer größerem Bewusstsein, wir hatten Historiker mit Professorentiteln als Berater. Auf den gesellschaftspolitischen Umbruch waren wir in zweifacher Hinsicht vorbereitet: in verlegerischer wie dokumentarischer. Wir zögerten einen kurzen Moment, ob wir weitermachen sollten. Die Untergrundorganisationen gaben damals meist ihre bisherigen Aktivitäten auf und gingen in die verschiedenen Sphären der neuen gesellschaftlichen Realitäten ein.

Euch gibt es immer noch.

Und uns gibt es immer noch. Wir begriffen damals, als wir uns noch kaum wussten, wohin die Veränderungen gehen würden, dass der polnische Staat auf seinem Weg zur Demokratie keine überzeugenden Signale aussandte, dass er verstehe, welche gewaltige Aufgabe darin besteht, die von Volkspolen komplett verfälschte Vergangenheit aufzuarbeiten. Die Dritte Republik begann in dieser Hinsicht in den gesamten 1990er Jahren keine systematischen Projekte. In diesem Jahrzehnt waren wir mit allen unseren Aktivitäten praktisch Vorreiter und hatten keine Konkurrenz.

Wir ließen uns im Februar 1990 als Stiftung registrieren, und seither sind wir eine Nichtregierungsorganisation, die sich beharrlich mit der jüngsten Geschichte befasst, seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Wir haben das stark ausgeweitet, als wir feststellen mussten, dass es endlose Lücken im kulturellen Gedächtnis und in den Aufzeichnungen gibt, was für alle Abschnitte dieser anderthalb Jahrhunderte gilt.

Betreibt die Organisation „Karta“ nach wie vor Aktivitäten in beide Richtungen, nämlich den Verlag und das Archiv?

Nachdem die Organisation legalisiert worden war, wurde das dauerhaft zu ihrem Markenzeichen. Aus der Redaktion ist das Archiv gleichsam organisch hervorgegangen. Beide Bereiche sind seither eng miteinander verzahnt. Aus dem Archiv schöpfen wir die Materialien für die Zeitschrift und die Bücher, die mit Zeitzeugnissen als Quellen gefüllt sind. Dann wiederum reagieren die Leser auf diese Publikationen und erweitern unsere Archivbestände.

Wann begann „Karta“ sich mit Deutschland zu befassen?

Von Anfang an, denn wir beschäftigten uns hauptsächlich mit den polnischen Traumata des 20. Jahrhunderts, zwangsläufig also auch mit dem Zweiten Weltkrieg. Allerdings vor allem im Hinblick auf dessen sowjetischen Aspekte, die unserer Auffassung nach fast nicht untersucht worden waren. Wir stellten aber rasch fest, dass auch die deutsche Okkupation nicht gut erforscht und ihre Opfer nicht dokumentiert worden waren. Wir gewannen ein immer besseres Verständnis davon, dass wir es mit einer ganz und gar geklitterten Geschichte zu tun hatten, nicht nur mit einer Verzerrung einzelner historischer Episoden. Und dass wir international kooperieren mussten, um uns damit auseinanderzusetzen.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion arbeiteten wir mit allen Nachbarn im Osten zusammen, also mit Litauern, Belarusen, Ukrainern und auch mit Russland selbst – dort mit der Organisation „Memorial“. Dank finanzieller Unterstützung aus den USA konnten wir grenzüberschreitende Projekte umsetzen. Wir aktivierten gesellschaftliche Gruppen in verschiedenen Ländern. So entstand der Index der Repressierten, eine große Datenbank mit den Namen polnischer Bürger, die von den Sowjets verfolgt wurden. Daneben der „Słownik dysydentów“ (Wörterbuch der Dissidenten), der 24 vormals kommunistische Länder erfasst. Wir hatten in jedem dieser Länder Partner. Damals arbeiteten wir schließlich auch zur Deutschen Demokratischen Republik, denn für den „Słownik“ kooperierten wir mit früheren Oppositionellen der DDR.

Mit wem genau?

Unsere wichtigsten Partner aus der vormaligen DDR waren die Robert-Havemann-Gesellschaft und das dieser angeschlossene Thüringer Archiv für Zeitgeschichte „Matthias Domaschk“, ein Dokumentationszentrum für die DDR-Opposition. Dank dieser Zusammenarbeit hatte die DDR im „Słownik“ eine angemessene Repräsentation ihrer systemkritischen Bewegung.

Daneben konnten wir die Hamburger Körber-Stiftung bald als Partner gewinnen. Das war 1996, als wir den polenweiten Wettbewerb „Historia Bliska“ (Nahe Geschichte) für Schüler weiterführender Schulen initiierten, bei dem es um die Dokumentation der Geschichte der eigenen Umgebung ging.

Hat das mit oral history zu tun?

Nicht in erster Linie. Das Prinzip war, dass die Schüler keine Ausarbeitungen schreiben sollten, sondern die Geschichte ihrer näheren Umgebung dokumentieren. Wir hatten uns den Wettbewerb selbstständig ausgedacht, aber dann erfuhren wir, dass die Körber-Stiftung seit Jahrzehnten etwas Ähnliches in Deutschland veranstaltet. Wir folgten also gewissermaßen auf ihren Spuren.

Dagegen gründeten wir kooperativ EUSTORY, ein Netzwerk der Veranstalter von Wettbewerben dieser Art. EUSTORY schlossen sich Organisationen aus mehr als zwanzig europäischen Ländern an, aber wir waren neben der Körber-Stiftung die ersten, die das initiierten. Uns ging es darum, dass möglichst überall Schüler Recherchen zur Vergangenheit anstellten, zur eigenen, zu der der Familie, ihres Wohnortes, dass sie selbst auf eine historische Entdeckungsreise gingen.

Dass sie sich also nicht anhand von Schulbüchern an die Arbeit machten?

Nicht ausschließlich anhand von Schulbüchern, nicht nur aufgrund schon fertiger Geschichtsschreibung. Das war eine einzigartige soziale Erfahrung. Allein in Polen durchliefen 14.000 Schüler bei vierzehn Ausschreibungen den Wettbewerb! Viele von ihnen haben später ein geisteswissenschaftliches Studium absolviert.

Ein besonderes Ereignis war das von der Körber-Stiftung finanzierte Projekt „Grenzerfahrung“, in das Beiträge zu zwei parallelen Wettbewerben in Polen und Deutschland eingingen. Es zeigte sich, mit wie viel Begeisterung viele dieser Arbeiten entstanden. Im Endergebnis gab es eine in polnischer und in deutscher Sprache vorgelegte Publikation mit Berichten von Deutschen über Polen und von Polen über Deutschland.

Wie haben die Schüler diese Arbeiten erstellt, was mussten sie dafür tun?

Sie mussten Quellen sammeln, das heißt Aussagen ihrer Eltern, Großeltern oder Nachbarn aufnehmen. Informationen zum Beispiel über die Geschichte ihrer Schule sammeln. Also mit der Schulchronik arbeiten, Fotos finden, die Berichte der ältesten Zeitzeugen dessen aufnehmen, was sie untersuchten.

In jedem Jahr schrieben wir ein anderes Thema aus. Den größten Rückhall fand „Die Familie in den Wirbeln der Geschichte“. Es gingen mehr als eintausend Beiträge ein! Unter dieser Arbeitsbelastung gingen wir in die Knie. Einfach unglaublich: tausend Beiträge! Manchmal dicke Wälzer, denn damals waren das meist schriftliche Arbeiten.

Das machten wir zwanzig Jahre lang, solange, bis die Nichtregierungsorganisationen aus den Schulen geworfen wurden. Gegen Ende waren die Arbeiten entweder Rundfunkbeiträge, Dokumentarfilme oder multimediale Präsentationen. Immer weniger auf Papier geschriebene Texte. Auf diese Weise entstand ein gigantisches Archiv der Lokalgeschichte ganz Polens. Und einen Partner besaßen wir eben gerade in den Deutschen.

Gab es noch weitere Gemeinschaftsprojekte?

Im Frühjahr 1997 veranstalteten wir das Finale des Wettbewerbs „Vertreibung aus dem Osten (1939–1959) in den Erinnerungen von Polen, Deutschen und anderen Enterbten“.

Von polnischen Vertriebenen aus den Gebieten jenseits der heutigen polnischen Ostgrenze und von Deutschen, die aus dem heutigen Polen vertrieben worden waren?

Ja. Ideengeberin war Renate Stößinger, die Gründerin der Gesellschaft der Freunde Polens in Karlsruhe. Wir hielten es für besonders wichtig, außer den beiden parallel erfolgenden „Verschiebungen des Vaterlandes“ die Zeit zu beschreiben, in der beide Gruppen in den neuen polnischen Nord‑ und Westgebieten aufeinandertrafen. Es wurden über einhundert polnische und fast einhundert deutsche Arbeiten eingesandt. Das Wettbewerbsfinale fand am 24. Mai 1997 in Warschau statt. Einige Dutzend Teilnehmer reisten aus teils ziemlich entlegenen Regionen in Polen und Deutschland an, um Schicksalsgenossen zu begegnen, die erst die Geschichte, dann die Propaganda in einander feindliche Positionen gebracht hatte. In Anwesenheit von Johannes Bauch, damals deutscher Botschafter in Polen, machten wir den ersten Schritt zum Dialog dieser Gruppen.

Bevor wir unser Gespräch begannen, hast du dich erinnert, dass auch Herbert Hupka dabei war, den die kommunistische Propaganda immer zusammen mit Herbert Czaja als die beiden größten „Polenfresser“ unter den deutschen Landsmannschaftlern hinstellte, also den Vertriebenen.

Hupka nahm an dem Wettbewerb nicht teil und schrieb damals keine Erinnerungen. Eine Delegation der Vertriebenen unter seiner Leitung als Vorsitzender des Bunds der Vertriebenen (BdV) besuchte uns, eben weil wir uns mit den Vertriebenen befassten. Wir erörterten eine Zusammenarbeit und sprachen davon, wie wichtig wir es fanden zu dokumentieren, was den Deutschen unter polnischer Verwaltung geschah, insbesondere die Todesopfer der Zeit, und den deutschen Familien die ermittelten Informationen uneingeschränkt zur Verfügung zu stellen.

Und ist das passiert?

Bis zum heutigen Tag nicht. Das liegt an der polnischen Politik. Wir haben uns sehr dafür eingesetzt, dass die Dritte Republik dieses Entgegenkommen zeigen sollte. Umso mehr, als wir das Programm „Personenverluste und Opfer der Repressionen unter deutscher Okkupation“ initiierten. Man hätte solche Informationen in zivilisierter Weise austauschen können. Aber auf polnischer Seite fehlte dazu der gute Wille.

Heute wäre das wohl noch schwieriger, nach den Erfahrungen der letzten acht Jahre?

Diese monströse, toxische, deutschenfeindliche Propaganda richtete sich eigentlich nicht gegen die Deutschen. Es handelte sich um eine verbale Aggression gegen die Deutschen, die sich an das eigene Land richtete. Es war ein Akt innenpolitischer Destruktion. Ein schrecklicher Akt, weil er Polen polarisierte und zugleich das Land den Deutschen widerwärtig machte.

Acht Jahre lang waren wir überzeugt, sobald wir zu einer neuen, demokratischen Politik gelangen würden, würde das aufzuarbeiten sein. Als sich im Herbst 2023 die neue Regierung bildete, schlugen wir vor, zum 20. Jahrestag des polnischen EU-Beitritts zu zeigen, wie wir die Grenzen verwischen und wie in den zwanzig Jahren seither sich eine zivilisierte Entwicklung zwischen Polen und Deutschland vollzogen habe. Bereits zuvor hatten wir die Arbeit an dem Buch „Die Öffnung der Grenzen. Der deutsch-polnische Dialog 1984 – 2004 – 2024“ [Otwarcie granic. Dialog polsko-niemiecki 1984–2004–2024] aufgenommen. Wir wollten so dem Jahrestag zuvorkommen, aber wir erhielten für das Projekt keine Unterstützung.

Wann wird das Buch erscheinen?

Am 18. Dezember dieses Jahres. Für diesen Tag planen wir im Museum der Geschichte Polens eine deutsch-polnische Debatte, die alles betreffen sollte, was wir hinter uns haben. Es geht darum, unsere Beziehungen in Zukunft zivilisierter zu gestalten. Beide Länder sind sehr darauf angewiesen. Polen wird bereits besser behandelt, weil wahrgenommen wird, dass seine Politik humaner geworden ist. Andererseits kann jedoch das Gefühl aufkommen, dass das Verhältnis zu Deutschland immer noch nicht geregelt und fast alles mit Problemen behaftet ist. Seien es die Kriegsreparationen, sei es die Röhre in der Ostsee, seien es wiederum die aggressive nationalistische Krakeelerei…

In all den 35 Jahren der Dritten Republik habe ich behauptet, Polen brauche eine Geschichtspolitik, die demokratisch und nicht nationalistisch ist. Die sich auf die Bedürfnisse der Geschichte, nicht der Politik orientiert. Doch bis heute hat es eine solche Geschichtspolitik auch nicht einen Augenblick lang gegeben.

Wie war die Reaktion der neuen Regierung auf diese Ideen?

Wir stießen vorwiegend auf völlige Gleichgültigkeit der Idee gegenüber, eine Geschichtspolitik im Sinne von Gemeinschaft anstatt Polarisierung auch nur anzukündigen. Wie sich zeigte, sind die jetzigen Regierungsparteien allein schon durch den Begriff der „Geschichtspolitik“ schwer irritiert, so als ob der Staat überhaupt keinerlei Geschichtspolitik betreiben sollte.

Und deswegen wird es in Polen keinerlei Geschichtspolitik geben?

Es wird immer Geschichtspolitik betrieben, es ist nur bedrückend, dass sie in Polen entweder nationalistisch oder gänzlich konturenlos und ohne bestimmte Richtung betrieben wird. Daher werden wird den geplanten deutsch-polnischen Dialog eher von unten und ohne Beteiligung der großen Politik initiieren.

Doch unterdessen ziehen sich über „Karta“ schwarze Wolken zusammen.

Sie ziehen sich auch deswegen zusammen, weil für uns als politisch neutrale NGO das letzte Jahr dramatisch verlaufen ist. Wegen des Wahlkampfs flossen alle Mittel in die Politik, und unsere Projekte blieben im luftleeren Raum hängen. Dieses Jahr begannen wir in der Hoffnung, dass sich das grundsätzlich ändern würde. Doch das ist nicht eingetreten.

Wir sind zahlungsunfähig. In den letzten Wochen erfolgte der Bankrott, die Verschuldung stieg derart an, dass sie alle Aktivitäten lahmlegt. Ohne ständige Zuwendungen und Eigenkapital sind wir selbst nicht in der Lage, damit fertigzuwerden. Wir haben uns an die Öffentlichkeit gewandt: Wenn wir eine Chance auf Fortbestand haben sollen, brauchen wir Hilfe aus der Gesellschaft.

Und jetzt sammelt ihr Spendengelder ein.

Es ging sofort mit einer intensiven Spendengeldsammlung los. Die Reaktionen waren tatsächlich sehr lebhaft. Diese unsere 42 Jahre ständiger Arbeit waren doch ein in der Öffentlichkeit spürbarer Beitrag. Und in Reaktion auf die Welle der Medienberichte, die wir in Gang setzen konnten, gibt es bereits Stimmen auch seitens der Politik, dass unsere Situation durch nichts zu rechtfertigen sei. Denn die Aufarbeitung der Vergangenheit, die der gesamten Gesellschaft dienen und darüber hinaus die Absicht der Regierung unterstützen würde, die historischen Aufrechnungen im Innern und mit den Nachbarländern zu beenden, die also ein Gegenmittel zum ständigen Aufreißen der Wunden im Sinne der nationalistischen Politik wäre, sollte eine systemische Aufgabe des erneut zur Demokratie zurückkehrenden Staates sein. Leider trifft das nicht zu.

Polen hat übrigens nicht nur im Innern unerledigte Aufgaben. Wir haben auch unsere Konflikte mit Juden, Deutschen, Ukrainern und Litauern nicht abgeschlossen. Das sind alles sehr schmerzliche, durch historische Propaganda geklitterte Themen, die in einer dem tatsächlichen Verlauf der Dinge widersprechenden Weise betrieben wurde. Und das muss aufgearbeitet werden. Wir setzen fest darauf, dass sich der polnische Staat dieser Aufgabe gewachsen zeigen wird. Und wir werden dazu einen aktiven Beitrag leisten und nicht zusätzliche Probleme verursachen.

Ich danke dir sehr.

Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann

Das Gespräch wurde am 4. September 2024 während des Wirtschaftsforums in Karpacz (Krummhübel in Niederschlesien) geführt.


Zbigniew Gluza

Geboren 1955. Angehöriger der Oppositionsbewegung zur Zeit Volkspolens, Herausgeber und Verleger, Gründer und Vorsitzender der Organisation „Karta“, Leiter des Verlags und der historischen Vierteljahrschrift „Karta“, die 1991 aus einem im Untergrund publizierten Periodikum hervorging.

 

Aureliusz M. Pędziwol Autor bei DIALOG FORUMAureliusz M. Pędziwol, Journalist, arbeitet mit der polnischen Redaktion der Deutschen Welle zusammen. Er war 20 Jahre lang Korrespondent des Wiener WirtschaftsBlattes und für zahlreiche andere Medien tätig, darunter für die polnischen Redaktionen des BBC und RFI.

 

Gespräch

Gespräch

2 Gedanken zu „Schwarze Wolken über „Karta““

  1. Liebe Karta-Leute,

    sind außer den drei Karta-Ausgaben, die auch auf deutsch erschienen sind
    1 (1-30) 2000
    2 (1-31) 2001
    3 (1-34) 2002
    noch weitere Ausgaben auf deutsch erschienen?

    Ich wäre sehr an ihnen interessiert! Wo können sie erworben werden?

    Freundliche Grüße
    Rüdiger Hentschel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Symbol News-Alert

Bleiben Sie informiert!

Mit dem kostenlosen Bestellen unseres Newsletters willigen Sie in unsere Datenschutzerklärung ein. Sie können sich jederzeit austragen.