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Russlands Informationskrieg

Gespräch mit Pawlo Kost, Mitglied des Expertenrats des Zentrums für Armee‑, Konversions‑ und Abrüstungsstudien in Kiew

 

Zum jetzigen Zeitpunkt fordert der Krieg im Donbass weniger Opfer, weshalb sich die Aufmerksamkeit auf andere Aspekte des Konflikts richtet. Einer davon ist der Informationskrieg. An welchen Fronten wird er zur Zeit ausgetragen?

 

Zuerst einmal an der innerrussischen Front. Die Ukraine kommt dabei gar nicht vor, und es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass sich das ändern könnte. Die zweite Front befindet sich in den besetzten Gebieten – auf der Krim und in einem Teil des Donezreviers.

 

Hat Kiew noch aus der Vorkriegszeit irgendeine Art von Einfluss im Donezrevier aufrechterhalten können?

 

Keinen großen, und er geht ständig zurück. Das hängt zusammen mit der feindlichen Propaganda, damit, dass ukrainische Medien dort nicht senden können, und mit der Abwanderung von 1,6 Millionen der wahrscheinlich am stärksten proukrainischen Einwohner der Gebiete.

Die dritte Front verläuft innerhalb der Ukraine, und dort hat die Ukraine immer größere Erfolge. Kiew wird in seiner Informationspolitik immer offensiver, aber prinzipiell bleibt auch dort Russland der Aggressor. Solche Angriffe wie zum Beispiel die Verbreitung von fake news durch den Kreml sind in den letzten Jahren immer weniger wirkungsvoll.

 

Was hat dazu geführt, dass Kiew in seinem Kampf gegen die Propagandamacht Moskaus immer besser dasteht?

 

Kiew ist zu einer teils sehr grobschlächtigen Handlungsstrategie übergegangen. Es wurde ein Ministerium für Informationspolitik eingerichtet. Die Informationspolitik als solche findet heute mehr Aufmerksamkeit als noch vor drei-vier Jahren. Damit beschäftigen sich aktiv der Rat für Nationale Sicherheit und das Nationale Institut für Strategische Studien, also eine staatliche Analyseeinrichtung. Ein unterschätztes, aber wichtiges Faktum ist die Zusammenarbeit zwischen Staat und drittem Sektor, also Nichtregierungsorganisationen, und den Medien. Diese Zusammenarbeit erfolgt immer systematischer und professioneller. Das ist ungeheuer wichtig, da in der Ukraine, im Gegensatz zu Russland, die wichtigsten Medien nicht staatlich sind. Die zehn populärsten Fernsehkanäle befinden sich in privaten Händen.

 

Aber diese Kanäle gehören Oligarchen, und jeder von ihnen verfolgt seine eigenen Interessen, einige pflegen enge Verbindungen nach Russland. Der Staat ist nicht in der Lage zu kontrollieren, was ihre Sender verbreiten, und in der Ukraine ist das Fernsehen die wichtigste Informationsquelle.

 

Heute machen die Sender von Wiktor Pintschuk, Ihor Kolomejskyj und sogar des mit dem prorussischen post-Janukowitsch-Block verbundenen Rinat Achmetow Programme, die der ukrainischen Staatsraison entsprechen. Es ist auch zu erkennen, dass Gesellschaft, Aktivisten und Journalisten sich nach und nach gegen Propaganda immunisieren.

 

Kiew bedient sich auch legislativer Instrumente, um den Einfluss der russischen Propaganda einzudämmen. Unter anderem werden das russische soziale Netzwerk Vkontakte und auch TV-Sender aus Russland blockiert. Erfüllen diese Maßnahmen ihren Zweck?

 

© istock/theasis

Was das Fernsehen angeht, sind sie ziemlich erfolgreich. Natürlich kann man trotzdem noch russische Kanäle per Satellit oder über das Internet empfangen, aber am wichtigsten ist, ihnen das Massenpublikum zu nehmen, das doch erfahrungsgemäß am empfänglichsten für Propaganda ist.

 

Verhält es sich damit nicht aber so, dass die Russischsprachigen in der Ukraine ausgeschlossen werden und ihnen das Recht genommen wird, Fernsehen in ihrer Sprache zu schauen?

 

Das ist ein Mythos. Untersuchungen haben vor etwa zwei Jahren erbracht, dass es für niemanden ein Problem ist, Fernsehen auf Ukrainisch zu schauen, auch nicht in den südöstlichen Regionen.

 

Kommen wir nochmals auf die Blockierung des Internets und des „russischen Facebook“ zu sprechen, wie Vkontakte auch genannt wird.

 

Die neusten Untersuchungen zeigen, dass sich VK immer noch auf Platz vier der populärsten Internetportale in der Ukraine befindet.

 

Die Ukrainer umgehen ohnehin die Sperrung und öffnen diese Seiten.

 

Ja. Ich würde aber den Einfluss von VK nicht dämonisieren – seine Bedeutung liegt eher im Geselligen als im Informationsbereich. Wer hunderte Bekannte auf VK hat, will nicht plötzlich zu Facebook wechseln. Übrigens werden die Russen auf Facebook immer aktiver: Es werden immer mehr russische Gruppen gebildet, die Menge der Trolle und der fake news nimmt zu, mir und meinen Bekannten werden zahlreiche Werbungen für russische Portale angezeigt.

 

Und welche Lücken in der Informationssicherheitspolitik Kiews siehst du?

 

© istock/matejmo

Die Ukraine sollte sich nicht auf das grobschlächtige Niveau herabbegeben, auf dem Russland das Spiel betreibt und in dem es Meister ist. Sollte Moskau seine Propagandamaßnahmen eskalieren lassen, sollte Kiew entweder die Angriffe ignorieren oder trocken und ironisch darauf antworten. Eine aktive Verteidigung ist ein Muss. Die Ukraine muss ihre Schwächen kennen, muss wissen, wo die Russen zuschlagen können, und präventiv angreifen, sie muss auch über die russischen Probleme sprechen. Außerdem müssen die Ukrainer technisch und inhaltlich bessere Informationsdienste anbieten können. Heute schießen auch ukrainische Filme und Serien aus dem Boden wie Pilze nach dem Regen; sie sind ein Gegenangebot zu den russischen Produktionen, lassen aber immer noch viel zu wünschen übrig – sie erinnern mich an polnische Produktionen vor fünfundzwanzig Jahren.

 

Ist für Russland der Informationskrieg gegen die Ukraine überhaupt wichtig?

 

Die Russen sind in diesem Bereich wesentlich weniger aktiv als noch vor einigen Jahren, doch ist die Ukraine für sie in dieser Hinsicht immer noch wichtig. Erstens ist in den russischen Nachrichten viel von den Ukrainern die Rede, das hat aber in erster Linie den Zweck, von den eigenen Problemen abzulenken. Zweitens will sich der Kreml ein Türchen offenhalten: Wenn es auf irgendeiner Front zu einer Eskalation kommt, sei es bei der Energie oder militärisch, kann es noch einmal die antiukrainische Hysterie befeuern.

 

Das gilt für die innerrussische Öffentlichkeit. Aber wie führen die Russen heute ihre Angriffe auf die Ukraine selbst?

 

Der Kreml setzt jetzt auf den Oppositionellen Block, und sein Instrument zur Beeinflussung der ukrainischen Öffentlichkeit sind die von dessen Politikern kontrollierten Medien. Unter den ersten zehn einflussreichsten meinungsbildenden TV-Kanälen befindet sich „Kanal 112“, der vermutlich unlängst unter die Kontrolle von Wiktor Medwedtschuk gelangt ist, eines prorussischen Oligarchen, oder auch die Fernsehstation „Inter“, auf dem dritten Platz bei den meinungsbildenden Kanälen. Auf diesen Kanälen gibt es eine starke prorussische Tendenz.

 

Und wie steht es mit dem reichsten Ukrainer, Achmetow, der Verbindungen zum Oppositionellen Block hat, während du doch sagtest, seine Medien würden die ukrainische Regierung unterstützen?

 

Er wird einen raschen Frontwechsel vollziehen, wenn er erkennt, dass Poroschenko untergeht.

 

Welches ist die russische Hauptangriffsrichtung des gegen Kiew geführten Informationskrieges an dieser Front?

 

Russland beabsichtigt nicht mehr, mit der gegenwärtigen ukrainischen Regierung ins Gespräch zu kommen. Die Russen behaupten, sie könnten sich nicht mit Petro Poroschenko verständigen. Ihr wichtigstes Ziel ist jetzt der Machtwechsel in der Ukraine nach den Präsidentschafts‑ und Parlamentswahlen, die 2019 anstehen. Das ist die Hauptstoßrichtung nicht nur ihrer Propaganda, sondern überhaupt aller gegenwärtig aktiv betriebenen Maßnahmen Russlands.

Ich habe den Verdacht, dass auch Konfessionsfragen immer stärker einbezogen werden. Die Russen sind von der Entscheidung Konstantinopels überrascht und denken sicher gerade über eine Strategie für ihre Reaktion nach.

 

Bartholomäus, der Patriarch von Konstantinopel hat zugestimmt, dass sich die Ukrainische Orthodoxe Kriche von der russischen Kirche unabhängig macht – das ist ein weiterer Schritt Kiews zur Beseitigung des Moskauer Einflusses und ein Tiefschlag für den Kreml. Vor einigen Tagen hat die Russische Orthodoxe Kirche ihre Beziehungen zu Konstantinopel ausgesetzt. Benutzt der Kreml, der, wie du sagst, Poroschenko schon abgeschrieben hat, in seinem Propagandakrieg das Thema eines „dritten Majdan“?

 

Nicht allzu zielstrebig, denn die Chancen für einen weiteren Majdan innerhalb der nächsten ein oder zwei Jahre sind nahezu null. Erstens gibt es zwar eine sehr große Unzufriedenheit in der Ukraine, doch tritt diese nur punktuell in Erscheinung – es kommen im allgemeinen nur ortsweise Proteste vor. Zweitens würde es den Protestierern auch schwerfallen, sich selbst ein konkretes Ziel zu setzen.

Dagegen ist die Frage der Gefangenen sehr wichtig.

 

Nach Schätzungen der Crimean Human Rights Group befanden sich von Februar 2014 bis Januar 2018 mindestens sechsundsechzig ukrainische Staatsangehörige in russischem Polizeiarrest oder in russischen Gefängnissen.

Medwedtschuk gab vor kurzem ein ausführliches Interview beim Sender „112“, in dem er erkennen ließ, dass er sich gern selbst in die ukrainisch-russischen Gespräche über den Gefangenenaustausch einschalten würde. Ich vermute, kurz vor den Präsidentschaftswahlen wird groß in Szene gesetzt werden, wie Medwedtschuk zum Retter von Oleh Senzow oder jemand anderem wird.

 

So würde der Kreml seinem Mann in der Ukraine den Rücken stärken – wir sollten nicht vergessen, Putin ist Taufpate von Medwedtschuks Tochter.

 

Und er wird zeigen, dass man sich mit Moskau verständigen kann, dass die Russen gesprächsbereit sind.

 

Gibt es eine Chance, dass sie Senzow lebend herauslassen?

 

Ich denke schon. Aber es muss etwas für den Kreml dabei herausspringen, so oder anders. Es ist doch klar, dass Russland die Gefangenen als politisches Faustpfand einsetzt, dass es sie für seine eigenen politischen oder propagandistischen Zwecke benutzt. Der Preis für Senzow wird hoch sein.

Ein weiteres in Moskau beliebtes Thema ist die Wirtschaft. Gerade werden die Gespräche der Ukraine mit dem Internationalen Währungsfonds über den Gaspreis zu Ende gebracht, diese werden ziemlich sicher erhöht, schätzungsweise um 15 bis 20 Prozent. Das wird der Kreml mittels der genannten prorussischen Politiker instrumentalisieren. Außerdem wird die Hrywna über den Winter an Wert verlieren, wir werden sehen, um wieviel. Das Problem ist, dass die Ukraine bis Ende Oktober den nächsten Zahlungstermin zur Abzahlung seiner Auslandsschulden hat, was den Kurs ihrer Währung beeinträchtigt und sich auf das Einkommen ihrer Bürger niederschlägt. Im nächsten Jahr wird es noch schlimmer, weil 2019 das Gros der Schuldentilgung geleistet werden soll.

 

Wie wird Moskau das ausnutzen?

 

Es wird behaupten, die Ukraine unter Poroschenko sei nicht leistungsfähig, sie gehe den Berg hinunter, es wird auch den prowestlichen Kurs diskreditieren.

Es gibt da noch ein Thema, nämlich die Verkehrsunfälle. Sie sind häufig in der Ukraine, verlaufen oft tödlich, es ist ein Skandal. Dazu kommt die Ineffizienz der Gerichte, die es fertigbringen, die Verursacher tödlicher Unfälle einfach davonkommen zu lassen. Das verdient natürlich die Beachtung von Regierung und Öffentlichkeit, aber die Russen setzen die Sache in ein besonders grelles Licht. Und das ist ein gesellschaftlich heikles Thema.

 

Wir kennen die Besonderheiten der russischen antiukrainischen Propaganda in Polen. Dort spielen Themen eine Rolle wie die Geschichte, die Grenzrevision, in jüngster Zeit auch die Einwanderung aus der Ukraine. Und welche Themen schneiden die Russen in ihrer auf Kiew abzielenden Propaganda im Westen an? Dort haben die Ukrainer weniger gute Möglichkeiten, darauf zu reagieren, sie haben keine eigenen Medien oder starke Lobby.

 

International geht Moskau nicht so sehr auf die Einzelheiten ein, von denen wir jetzt sprechen – im Westen wird sich die Öffentlichkeit nicht sonderlich für den Hrywnakurs interessieren. Die wichtigste thematisierte Frage ist der Krieg, der dort als Bürgerkrieg hingestellt wird. Den Russen ist es dabei schon weitgehend gelungen, den Westen zu überzeugen, es sei tatsächlich ein Bürgerkrieg: achte einmal darauf, dass in Westeuropa selten vom russisch-ukrainischen Krieg die Rede ist und öfter vom ukrainischen Konflikt oder der Krise in der Ukraine. Moskau erreicht das vermittels seiner Botschaften, Experten und Journalisten. Es ist auch eine Folge der Bequemlichkeit des Westens, der sich nicht näher damit befassen will, was am Dnjepr vor sich geht.

 

Und die Ukraine ist zu schwach, um ihre Perspektive dagegenzusetzen.

 

Sie hat dazu nicht die Mittel: die Botschaften sind unterfinanziert, Institutionen analog zum Polnischen Institut oder Goethe-Institut sind in sehr beschränktem Umfang tätig, ihre Diplomaten stammen häufig noch aus der Sowjetzeit.

Es geht auch das Thema um, die Ukraine als failed state wahrzunehmen – so möchten die Russen sie gern gegenüber Dritten hinstellen. Es ist die Rede vom angeblich völligen Versagen bei der Umsetzung von Reformen. Der Kreml gibt die Ukraine als korrupten Staat aus, in dem sich nichts ändert. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit.

 

Das Gespräch mit Pawlo Kost führte Zbigniew Rokita.

 

 

Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann

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