Nachdem im Dezember 2016 Alexander Van der Bellen, der Kandidat der österreichischen Grünen und ihr ehemaliger Vorsitzender, bei den Präsidentschaftswahlen siegte, indem er gegen den Kandidaten der rechtsextremen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) gewann, atmeten viele europäische Kommentatoren erleichtert auf. Manche schrieben sogar, dass der sich auf dem Vormarsch befindende rechte Populismus aufgehalten wurde, der nach dem Sieg Donald Trumps in den USA und des antieuropäischen Lagers in Großbritannien die Zukunft der westlichen liberalen Demokratien zu sein schien.
Knapp ein Jahr nach dem Triumph Van der Bellens fanden in Österreich vorzeitige Parlamentswahlen statt. Die politische Landschaft danach sieht aber an der Donau nun komplett anders aus, als es sich jene erhofften, die das Ende des Rechtsrucks in der europäischen Politik schon kommen sahen: Die FPÖ bekam 26% der Wählerstimmen und führt zurzeit Koalitionsverhandlungen mit der siegreichen Österreichischen Volkspartei (ÖVP), die Sozialdemokraten gingen in die Opposition und die Grünen, die noch vor kurzem den Sieg „ihres“ Präsidenten gefeiert hatten, kamen gar nicht erst ins Parlament.
Was passierte denn in der österreichischen Politik zwischen Dezember 2016 und Oktober 2017, dass unmittelbar auf den Triumph der demokratischen, proeuropäischen Linken der Sieg der Rechten folgte, die einer Zusammenarbeit mit populistischen Euroskeptikern offen gegenübersteht?
Zwei Strategien
Der Sieg Alexander Van der Bellens war nicht einfach. Anfangs, im ersten Wahlgang, bekam er nur dreißigtausend Stimmen mehr als Norbert Hofer. Die FPÖ focht das Ergebnis mit der Begründung an, es habe Unstimmigkeiten bei den Wahlen gegeben, die das Resultat hätten beeinflussen können – denn nur unter dieser Voraussetzung durfte der österreichische Verfassungsgerichtshof die Wahlwiederholung anordnen. Und so entschied er auch. Nach der Urteilsverkündung kamen viele Kommentatoren zu dem Schluss, Hofer habe den Sieg bereits in der Tasche. Viel jünger als Van der Bellen, sei er auf die andauernde, ermüdende und immer teurere Wahlkampagne angeblich besser vorbereitet. Außerdem sei er von einer machthungrigen Partei aufgestellt worden, die nach der Blamage aus der Haider-Zeit konsequent versucht habe, sich als Vertreterin von Durchschnittsösterreichern darzustellen und deren Umfragewerte nach dem Ausbruch der „Flüchtlingskrise“ in die Höhe schossen.
Van der Bellen war der Herausforderung gewachsen. Die wahlbedingte Debatte lenkte er auf europäische Bahnen, das heißt auf die Themen, auf die ein österreichischer Präsident verfassungsgemäß tatsächlich Einfluss nehmen kann. Seine Position war entschieden proeuropäisch, wobei er gleichzeitig die nationale Symbolik wie die Nationalfahne, das Staatswappen sowie Berglandschaften für jene Wähler bemühte, die ein für Europa und die Welt offenes Österreich befürworteten. Unermüdlich reiste er durchs Land, um für seine Vision der österreichischen Außenpolitik zu werben und verteidigte diese unabhängig von der besuchten Region oder Stadt. Diese Mühe wurde von den Wählern auch belohnt: Bei der wiederholten Stichwahl wuchs sein Vorsprung gegenüber Hofer um das Zehnfache, er verbesserte sein Ergebnis in 2053 von 2100 österreichischen Gemeinden und in 280 Gemeinden gab die Mehrheit der Wähler ihre Stimme für den Kandidaten der Grünen ab, obwohl dort Hofer vorher geführt hatte. Van der Bellens Strategie würde ich mit folgenden Worten zusammenfassen: „Suche nach Kompromissen, aber bleib dir selbst dabei treu.“
Der Sieger bei den Parlamentswahlen, der junge Chef der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) Sebastian Kurz, ging komplett anders vor. Der Politiker mit der schwindelerregenden Karriere, der vom Posten des jüngsten Außenministers in Europa rasch zum Posten des Parteichefs überging und sich nun darauf vorbereitet, den Kanzlersessel einzunehmen, verdankt seine große Beliebtheit der Schließung der sogenannten „Balkanroute“, auf der Flüchtlinge nach Österreich gelangten. Obwohl Kurz nicht der einzige Architekt dieses Abkommens oder, genauer gesagt, sogar einer Reihe von Vereinbarungen zwischen Österreich und ausgewählten Balkan-Staaten war, so gelang es ihm dennoch, es erfolgreich fast ausschließlich als seinen persönlichen Erfolg zu vermarkten. Kurz nutzte das Problem, um seine Haltung gegenüber Masseneinwanderung als eine vernünftige Alternative sowohl gegenüber der Politik der offenen Grenzen von Angela Merkel als auch gegenüber dem Stacheldraht von Viktor Orbán zu präsentieren.
Nachdem der beliebte Außenminister die Führung der in den Umfragen sinkenden ÖVP übernommen hatte, wurde die Partei gleich zum Favoriten für die anstehenden Parlamentswahlen. Kurz wollte sich die Chance nicht entgehen lassen und schürte konsequent Animositäten und Konflikte mit dem sozialdemokratischen Kanzler Christian Kern, um diesen zu vorzeitigen Wahlen zu zwingen. Manche Kommentatoren begrüßten sein politisches Spiel mit Enthusiasmus, da sie annahmen, das Weiterbestehen der immer unbeliebteren sowie zerstrittenen Koalition wäre Wasser auf die Mühlen der extremen Rechten. Folgt man dieser Logik, hätte nur eine entschlossenere, in der Migrationsfrage und bei der Integration von Migranten etwas mehr nach rechts gerichtete ÖVP eine Chance, der FPÖ die Wähler wegzunehmen.
Diese Spekulationen stellten sich jedoch als komplett falsch heraus. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen bekam die rechtsextreme FPÖ 26 % der Wählerstimmen: 6 % mehr als noch vor vier Jahren. Zwar verlor sie 168.000 Stimmen zugunsten der ÖVP, aber fast genauso viele (155.000) nahm sie den Sozialdemokraten weg und weitere 96.000 der ÖVP. Die Strategie, den Rechtsextremen ähnlicher zu werden und deren Forderungen und Lösungen in abgemilderter Form zu präsentieren, stellte sich am Ende als erfolglos heraus. Anstatt dass sie Kurz einen eindeutigen Sieg einbrachte und es ihm ermöglichte, dem Koalitionspartner seine Bedingungen zu diktieren, stellte sie ihn vor eine nicht gerade schmackhafte Alternative: entweder musste er lange und schwierige Koalitionsverhandlungen mit der extremen Rechten führen oder eine Minderheitsregierung akzeptieren. Vorerst entschied sich Kurz für die erste Option die Gespräche dauern noch an, aber bleiben bisher ohne Ergebnisse und immer häufiger ist von der zweiten Variante die Rede.
Fremdenfeindlichkeit statt sozialer Politik
Gleich nach dem Wahlsieg bekam Sebastian Kurz offizielle Gratulationen vom ungarischen Außenminister Péter Szijjártó. Er sagte, der Sieg seiner Schwesterpartei sei erfreulich (die ÖVP und Fidesz gehören zur selben Fraktion im EU-Parlament), die in mehreren Fragen, u.a. in der Frage der Migration, eine ähnliche Position einnimmt wie die ungarische Regierung. Seine Worte klingen nicht überraschend. Die Regierungen in Budapest und auch in Warschau bekamen durch Kurz‘ Sieg und seine Bereitschaft, mit der FPÖ zu koalieren, eine weitere symbolische Bestätigung, dass manche Staaten mit einer längeren EU-Mitgliedschaft und einem höheren Pro-Kopf-Einkommen der deutschen Migrationspolitik ebenfalls mit Skepsis begegnen und nicht vorhaben, diese auch bei sich zu Hause zu praktizieren.
An dieser Stelle darf nicht vergessen werden, dass Österreich – ähnlich wie Ungarn und Polen – im Rahmen des EU-Umverteilungsprogramms keinen einzigen Flüchtling aufgenommen hat. Die Österreicher mögen damit argumentieren, dass sie auch so genug Asylbewerber aufgenommen hätten (allein in Wien sind 2016 20.000 aufgenommen worden), aber das gleiche kann die ungarische Regierung behaupten. Unabhängig von den unwürdigen Bedingungen, in denen Asylbewerber in Ungarn leben müssen, belegte Ungarn nach dem Ausbruch der Flüchtlingskrise 2015 unter den europäischen Staaten den ersten Platz hinsichtlich der Anzahl von Flüchtlingen pro tausend Einwohnern.
Polen darf dieses Argument nicht anbringen und die Versuche der PiS-Regierung, die Lage der Migranten aus der Ukraine mit den Flüchtlingen aus Syrien gleichzusetzen, überstehen die Konfrontation mit den Fakten nicht. Die Ankömmlinge aus dem Land hinter der polnischen Ostgrenze bekommen fast nie einen Flüchtlingsstatus und stellen nur selten einen Asylantrag – in der Regel kommen sie nach Polen, um dort zu arbeiten oder zu studieren. Sie sorgen selbst für ihren Unterhalt und haben kein Anrecht auf auch nur minimale Sozialleistungen, die mit der österreichischen „Mindestsicherung“ vergleichbar wären (also eine minimale Summe zur Absicherung, die eine nicht arbeitende Person mit Aufenthaltsrecht in Österreich bekommt).
Die Vorschläge der österreichischen Rechten, die auch bei einigen Sozialdemokraten auf Verständnis stoßen, das Anrecht auf die Mindestsicherung auf die Personen zu beschränken, die mindestens fünf Jahre lang Steuern in Österreich gezahlt haben, haben also einen gewissen Anhaltspunkt in der Realität, obwohl es dabei nicht ganz klar ist, ob sich die Einschränkung dieser Leistungen auf längere Sicht für die österreichische Gesellschaft lohnen würde. Die ungarische und insbesondere die polnische Angst, für fremde „Schmarotzer“ aufkommen zu müssen, ist jedoch reine Fremdenfeindlichkeit, getarnt als falsche Sorge um die nationalen Sozialhilfesysteme. Schaut man sich die Unterschiede zwischen den sozialen Systemen Österreichs und denen der Länder wie Ungarn und Polen genauer an, kommen die tatsächlichen Absichten sofort zum Vorschein, die hinter den vermeintlichen Analogien zwischen ihnen in der Betrachtung von Migranten stecken.
In Wirklichkeit sind es nicht Polen und Ungarn, die Österreich in der Frage der Flüchtlingspolitik ähnlich sind, sondern Österreich steht vor der Gefahr, Polen und Ungarn ähnlich zu werden. Der FPÖ-Chef, Heinz-Christian Strache, fordert schon seit langem den Beitritt Österreichs zur Visegrád-Gruppe. Strache verfolgt dabei eine bestimmte Absicht: Er will den Block der europaskeptischen Länder stärken und erweitern, die mit dem „Brüsseler Diktat“ nicht einverstanden sind. Für die polnische und die ungarische Regierung bedeutet ihre Unterstützung des rechten Kurses in Österreich das Verschachern der realen Interessen ihrer in Österreich lebenden Landsleute, die unter einer rechten Regierung ihre Sozialleistungen verlieren und deren Rechte eingeschränkt werden, für ihre Träume von einem „Europa der Nationen“.