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Wahlbündnisse der Opposition

Sieben Monate vor den Parlamentswahlen weiß man immer noch nicht, in welcher Form die prodemokratische Opposition in Polen antreten wird. Nach langwierigen Gesprächen zwischen den Oppositionsparteien ist das Konzept, einen gemeinsamen Block zu bilden, an dem alle wichtigsten politischen Kräfte – die Bürgerplattform, Polen 2050, die Polnische Bauernpartei und die Linke – beteiligt wären, endgültig gescheitert. Eine solche Lösung hatte der Vorsitzende der Bürgerplattform (PO), Donald Tusk, während des gesamten letzten Jahres besonders stark forciert, wobei er von der Mehrheit der mit der Opposition sympathisierenden Meinungsführer unterstützt wurde. Offenbar hatte er es aber mit dem Druck übertrieben, denn je mehr drängte, desto mehr versteiften sich die kleineren Parteien. Statt der erwarteten Einigung gab es immer mehr Konflikte und der Durchschnittswähler hatte Gelegenheit zu beobachten, wie schwer es den Parteien fällt, die in Zukunft zur Kooperation gezwungen sind, zusammenzuarbeiten.

Doch die Parteivorsitzenden kamen schließlich wieder zur Vernunft und besserten ihre gegenseitigen Beziehungen ein wenig. Ein wichtiges Anzeichen dafür ist, dass sie vor ein paar Tagen einen Pakt über einen gemeinsamen Start bei den Senatswahlen geschlossen haben. Das hatte bereits bei der letzten Wahl Erfolg und war nun im Grunde genommen alternativlos, insbesondere wenn man die Mehrheitswahlordnung für den Senat berücksichtigt. Von entscheidender Bedeutung werden jedoch die Sejm-Wahlen mit ihrem Verhältniswahlrecht sein, die eine besondere Konfiguration verlangen. Unter den vielen möglichen Optionen sind im Moment die Szenarien am realistischsten, in denen die Opposition zwei oder drei Wahllisten aufstellen wird.

Warum ist das so wichtig?

Es könnte scheinen, dass diese Frage vor allem politische Technologen beschäftigen sollte. Dies gilt umso mehr, als dass die aktuellen Umfragen der jetzigen Opposition eine Mehrheit im künftigen Sejm voraussagen – eigentlich unabhängig davon, wie sie sich für die Wahl aufstellen wird. Lange Zeit erhielt die Partei Recht und Gerechtigkeit an ihrem Pol der politischen Bühne eine Unterstützung von mehr als 40 Prozent, was der Rechten bei einer zersplitterten Opposition am anderen Pol einen beträchtlichen Mandatsüberschuss und eine Mehrheit der Sitze im Sejm garantierte. Das war die Folge der Stimmenverrechnung nach d’Hondt. Aber seit zwei Jahren hat PiS keine so hohen Zustimmungswerte mehr erreichen können. Damit ist die ursprüngliche Prämisse, die mit der Forderung nach Konsolidierung innerhalb eines Blocks einherging, im Prinzip hinfällig geworden.

Zweifellos hat PiS einen Preis für die Übel der Pandemie und des Krieges bezahlt; hinzu kommt, dass sich in der Bevölkerung auch eine allgemeinere Ermüdung durch das jetzige Regierungsmodell bemerkbar macht, das sich auf permanenten Konflikt, systemische Korruption und eine aufdringliche Propaganda stützt. Auch der immer deutlicher werdende Umschwung des kulturellen Pendels, den die Rechte mit der Einführung eines radikalen Anti-Abtreibungsgesetzes und der zunehmend inakzeptablen Allianz der politischen Macht mit der mit Pädophilie-Skandalen belasteten katholischen Kirche selbst provoziert hat, tut der Rechten nicht gut. Die Verschlechterung der Zustimmungswerte mag bislang zwar nicht gravierend gewesen sein, die Partei von Jarosław Kaczyński liegt in den Umfragen immer noch vorn. Für die Wahlarithmetik ist sie jedoch durchaus von Bedeutung.

Die Befürworter einer gemeinsamen Wahlliste der Oppositionsparteien haben in vielerlei Hinsicht gute Argumente. Denn es ist nicht auszuschließen, dass es PiS im Wahlkampf gelingen wird, den ungünstigen Trend umzukehren und ihre enttäuschten Wähler noch einmal zu mobilisieren. Umfragen zeigen, dass die entschiedene Mehrheit von ihnen keine Sympathien für die Opposition entwickelt hat. Vorerst haben sie sich zwar höchstens zerstreut und stärken den Kreis der Unentschlossenen – aber sie stellen weiterhin ein potenzielles Stimmenreservoire für PiS dar. Zum anderen sollte sich der Ehrgeiz der Opposition bei der Wahl nicht nur darauf beschränken, einzig die parlamentarische Mehrheit zurückzugewinnen. Am besten wäre es, 2/3 der Plätze im Sejm zu erobern, was dazu führen würde, das Vetorecht des Präsidenten zu neutralisieren. Und auch wenn ein Sieg in dieser Größenordnung heute nicht möglich erscheint, ist es lohnenswert, sich um eine Maximierung der Ergebnisse der heutigen Opposition zu bemühen.

Zahlen oder Emotionen?

Die andere Sache ist, dass sich die Experten nie einig waren, ob ein großer Block tatsächlich das ist, was die Opposition am meisten braucht. Aus den von den Befürwortern der Integration angefügten mathematischen Berechnungen historischer Daten sowie aktuellen Umfragewerten könnte man tatsächlich den Schluss ziehen, dass eine Vereinigung aller vier Parteien das Ergebnis optimieren könnte. Und analog dazu würde die Zahl der gewonnenen Sitze mit der Registrierung jeder weiteren Liste schmelzen. In einem extrem ungünstigen Szenario würden vier Wahllisten miteinander rivalisieren und eine von ihnen die 5%-Wahlhürde nicht erreichen. Die für diese Listen abgegebenen Stimmen würden dann vor allem für die Mandate von PiS „arbeiten“, die prozentual immer noch in Führung liegen würde. Möglicherweise würden sie damit den Rechten sogar erneut die Mehrheit im Sejm ermöglichen.

Die Gegner der gemeinsamen Liste haben die arithmetischen Berechnungen meistens bagatellisiert und verwiesen auf die emotionale Ebene der Politik, die als dynamischer Prozess verstanden wird. Insbesondere in Wahlkampfzeiten, in denen die Orientierungen der Bürgerinnen und Bürger sich manchmal in einem atemberaubenden Tempo ändern können. Die Parteien kommunizieren dann vor allem mit Wählern, die unentschlossen sind und fließende Präferenzen sowie oft schwer präzise zu definierende Erwartungen haben. Und gerade deshalb darf sich die Opposition nicht in die Falle der Einheit begeben, sondern sollte – im Gegenteil – ihr Angebot erweitern und ihre ideologische Vielfalt demonstrieren.

Denn eine breite Koalition würde sich, wie die Gegner der Einheit richtigerweise argumentierten, zwangsläufig nur im Hinblick auf einige Schlüsselfragen verständigen können und dabei alle Programmnuancen verlieren. Außerdem würde sie diese auch oft gezielt ausblenden, um sich intern nicht zu zerstreiten. Was sowieso nur wenig nutzen würde, da die PiS-Propaganda sicher darauf zielen würde, ihnen Themen unterzuschieben, die Chaos im Hinterland des Feindes säen würden. So war es doch schon bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2019, als die breite oppositionelle Europäische Koalition von den Regierenden konsequent als „Regenbogenkoalition“ bezeichnet wurde, womit kulturelle Antagonismen provoziert wurden. Eine ähnliche Lektion war auch aus den letztjährigen Wahlen in Ungarn zu ziehen, bei denen die Anti-Orban-Opposition gemeinsam antrat und trotzdem gegen Fidesz verlor.

Wem nützt die Einheit?

Die Argumente der einen und der anderen Seite konnten sich nicht treffen, da sie auf unterschiedlichen Begriffsumlaufbahnen kreisten. Bisweilen hatte man den Eindruck, dass es bei diesem Streit in Wirklichkeit um etwas mehr ging als nur um die Funktionalität der Wahlen. Es ist im hohen Maße ein weiterer Aufzug eines Konflikts, der die demokratische Opposition schon seit vielen Jahren spaltet.

Die Zerstörung des demokratischen Rechtsstaates unter der PiS-Regierung hat von Anfang an dazu provoziert, die Frage nach der Ursache der populistischen Revolution zu stellen. Die von der Macht verdrängte Bürgerplattform war der Meinung, dass es sich dabei um eine infolge unglücklicher Zufälle erfolgte Havarie eines gut funktionierenden liberalen Systems handelte, allenfalls um ein Produkt der dämonischen Natur von Jarosław Kaczyński, das an sich irrational war. Daher sei es notwendig, die Populisten einfach zu entmachten und die liberale Demokratie in ihrer bisherigen Form wiederherzustellen.

Dies ist gewissermaßen die Interpretation einer Generation, die von zahlreichen Befürwortern der Dritten Republik geteilt wird, die das Jahr 1989 bewusst erlebt haben und es als eine Lebenszäsur betrachten. Nur ist während der PiS-Regierung bereits die nächste Generation erwachsen, deren Bewusstsein von einer ganz anderen historischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Realität geprägt wird. Sie lehnen das Polen von Kaczyński ab, wollen aber keineswegs zum Polen von Tusk zurückkehren. Sie wehren sich gegen seine neoliberalen Verstrickungen, seine Blindheit gegenüber zivilisatorischen Herausforderungen, seine Bigotterie und politischen Opportunismus. Manchmal war von dieser Seite zu hören, es sei im Grunde genommen die Bürgerplattform gewesen, die den Boden für die PiS-Herrschaft bereitet habe.

Aus diesem Spannungsfeld entstanden zwei miteinander rivalisierende Oppositionsmodelle. Das von der Bürgerplattform vertretene Modell ging davon aus, dass die polnische Demokratie in einen Ausnahmezustand geraten sei, man also die normalen Regeln einer demokratischen Politik außer Kraft setzen und alle Kräfte darauf konzentrieren sollte, PiS zu entmachten. Somit bestünde die einzige relevante Trennungslinie in der Haltung zur liberalen Demokratie. Die anderen Programminhalte seien dabei nicht mehr so wichtig, man könne sie sogar zweckdienlich behandeln. Eine solche Projektion des Konflikts reduziert die polnische Politik praktisch auf einen großen Kampf zwischen der Bürgerplattform und PiS und degradiert die anderen politischen Kräfte zu Statisten. Damit können die kleineren Parteien natürlich nicht einverstanden sein, weshalb sie ununterbrochen nach einer alternativen politischen Vision suchen. Einerseits überbieten sie sich ohne größeren Erfolg mit der Bürgerplattform in der Kritik der PiS-Regierung, andererseits versuchen sie, sich von ihr durch ein ausgebautes Programmangebot und eine tiefere ideologische Haltung zu unterscheiden.

In dieses Schema war auch der Streit um die Einigung der Opposition eingebettet. Vermutlich ist er unlösbar, ohne Aussichten auf einen Kompromiss. Umso mehr, als dass bei der Gelegenheit auch ein Konflikt der Persönlichkeiten zutage trat. Donald Tusk, wieder in die polnische Politik zurückgekehrt, ist den anderen Parteivorsitzenden nicht nur an politischer Erfahrung überlegen, sondern auch brutaler und rücksichtsloser im Umgang mit vorhandenen Ressourcen. Sofern man also Zweifel daran haben konnte, ob eine „vereinigte Opposition“ tatsächlich die Siegeschancen vergrößert, so muss man sagen, dass es sich sicherlich am meisten für die Bürgerplattform lohnen würde. Kleinere Gruppierungen befürchteten sogar, sie würden durch ein Bündnis mit der Bürgerplattform unwiederbringlich ihre Autonomie verlieren. Dieses Schicksal hat bereits die Partei Nowoczesna ereilt, die als liberale Alternative zur Bürgerplattform angefangen hatte, aber nach der Zusammenarbeit mit ihr heute nur noch ein fassadenhaftes Aushängeschild ist und einige Sitze im Parlament retten konnte.

Auch die Reaktion der Wähler auf die Ankündigung eines gemeinsamen Wahlblocks war schwer vorauszusehen. Vor allem die der Anhänger von Polen 2050 von Szymon Hołownia, der seit Beginn seiner politischen Karriere die „Stammesrivalität“ zwischen Kaczyński und Tusk in Frage stellt. Wenn er jetzt eine Koalition mit letzterem einginge, würde er sich gewissermaßen selbst widersprechen. Hołownias Wähler reagieren nämlich durchweg skeptisch auf Tusk und man sollte die Gefahr nicht bagatellisieren, dass sie keine gemeinsamen Wahllisten mit der Bürgerplattform unterstützen würden. Übrigens leidet Tusk generell an einem Vertrauensdefizit. Seine Führungsrolle wird von nur knapp 30 Prozent der Wähler der Bürgerplattform nicht in Frage gestellt. Aber Misstrauen gegenüber dem ehemaligen Premierminister erklären bereits etwa 65 Prozent aller Polen. Dies ist die häufigste Erklärung für die Unfähigkeit der Bürgerplattform, die „gläserne Decke“ bei der Umfragen zu durchstoßen und PiS zu überholen. In dieser Situation darf es sich Tusk nicht leisten, seine kleineren Partner zu missachten.

Wer nicht für uns ist, ist gegen uns?

Doch die von Tusk forcierte „Einheit“ ist in den Augen des harten Kerns der PO-Wählerschaft beinahe zu einem Dogma geworden. Diejenigen, die sie zu bremsen versuchten, wurden als Spalter, Verräter und heimliche PiS-Anhänger gebrandmarkt. Insbesondere Szymon Hołownia, der schon seit Monaten als Haupthindernis auf dem Weg zur Vereinigung der Opposition fungierte. Die Summe der Spannungen führte schließlich zu einer Krise, die das Thema gemeinsamer Wahllisten wohl endgültig abgeschlossen hat. Den Vorwand dafür lieferte der Parteivorsitzende von Polen 2050 selbst, mit seiner unerwarteten Kehrtwende vor der Abstimmung zum Gesetz über den Obersten Gerichtshof im Januar (das der Lösung der Blockade von EU-Geldern aus dem Wiederaufbaufonds diente). Entgegen der Vereinbarung mit den übrigen Parteivorsitzenden der „Vier“, dass sich die gesamte Opposition der Stimme enthalten würde, haben Hołownias Abgeordnete letztendlich gegen den Regierungsentwurf gestimmt. Und obwohl das schließlich keinen Einfluss auf das endgültige Abstimmungsergebnis hatte, wurde der als illoyal beschuldigte Hołownia für einige Tage zum Antihelden einer intensiven Kampagne in den sozialen Medien, die von Tusk-Anhängern organisiert wurde.

In der jungen und erst im Aufbau befindlichen Partei begannen die Reihen zu brechen. Eine der Abgeordneten von Polen 2050 verließ demonstrativ die Parteifraktion im Sejm und es gab Gerüchte, dass dies der Beginn eines größeren Exodus sei. Übrigens hat die Partei in letzter Zeit eine Pechsträhne bei den Umfragen und es fällt ihr zunehmend schwer, die früher als selbstverständlich angesehene 10-Prozent-Marke zu überschreiten. In dieser Situation griff Hołownia die Idee wieder auf, die er im letzten Jahr aufgegeben hatte, eine Zusammenarbeit mit der Bauernpartei PSL aufzunehmen. Der Zufall wollte es nämlich, dass sich die an der Fünf-Prozent-Klausel balancierende Bauernpartei immer verzweifelter nach einem Partner für die kommenden Wahlen umschaut, mit dem sie garantiert ihren Platz im Sejm erhalten würde. Man begann sogar eine riskante Koalition mit der Bürgerplattform zu erwägen, die bei einem solchen Kräfteunterschied natürlich nach Bedingungen stattfinden müsste, die Tusk diktieren würde. Das Konkurrenzangebot von Hołownia, der viel weniger verlangte, kam beinahe im letzten Moment. Vorerst hat man eine programmatische Zusammenarbeit aufgenommen, doch deren logische Weiterentwicklung sollte ein Wahlbündnis sein. Und dieses scheint ganz und gar nicht allein von den aktuellen Umständen erzwungen zu werden. Die beiden Parteien eint die ideologische Nähe zur politischen Mitte (wenn auch mit einer leichten Tendenz zum Kulturkonservatismus und Wirtschaftsliberalismus), während sie gleichzeitig mit generationsmäßig unterschiedlichen Wählergruppen kommunizieren.

Die Frage ist, ob die Konsolidierung der Opposition damit endet. Bei der Bürgerplattform ist nämlich die Erwartung deutlich, dass die gläserne Decke über Tusk zu bröckeln beginnt, je näher die Wahl kommt. Insbesondere angesichts der heute schon greifbaren Aussicht auf das Ende der PiS-Regierung, was auf die Wähler mobilisierend wirken dürfte. In dieser Situation wird ein Teil von ihnen vermutlich seine Abneigung gegen Tusk unterdrücken und einfach für die stärkste Partei in der Opposition stimmen. Sollte die Bürgerplattform die Konkurrenz noch weiter überholen, werden die Partei von Hołownia und die Bauernpartei auf der Zielgeraden, vor der Registrierung der Wahllisten, vermutlich noch einmal ihre Chancen neu berechnen und sich dann vielleicht dafür entscheiden, sich dem von Tusk mit eigenen Namen verantwortlich gezeichneten Projekt anzuschließen. Es ist kein Zufall, dass der Parteivorsitzende der Bürgerplattform jetzt unterstreicht, die Türen seien offen, obwohl er selbst niemanden mehr überreden werde. Dieses Szenario steht natürlich im Widerspruch zum emotionalen Hintergrund der jüngsten Ereignisse, ist aber unter dem Gesichtspunkt der politischen Pragmatik durchaus wahrscheinlich.

Bereits entschieden scheint dafür der unabhängige Start der Linken zu sein. Doch diese etwas abseits stehende Formation war von Anfang an am schwierigsten mit den Anderen in Einklang zu bringen. Ihre alten Eliten mit postkommunistischem Stammbaum würden gern auf gemeinsamen Listen mit der Bürgerplattform auftreten, aber der frühere Antikommunist Tusk war geneigt, sie höchstens in der breiten Formel eines großen Blocks der gesamten Opposition zu akzeptieren. In den jüngeren und biografisch unbelasteten linken Kreisen hingegen brodelt es geradezu vor Widerwillen gegen den liberalen Mainstream der Dritten Republik, dessen Hauptvertreter stets die Bürgerplattform von Tusk bleibt. Die Notwendigkeit, eine interne Steuerbarkeit bei in den letzten Monaten stabilen Umfragewerten der Linken (etwa 10 Prozent) zu halten, hat daher über den Kurs in Richtung Selbständigkeit entschieden.

Jetzt oder nie?

Und es scheint, dass die Zeit der größten Wirren im Lager der Opposition bereits zu Ende ist. Aus den Äußerungen der Parteivorsitzenden geht immer deutlicher die Erkenntnis hervor, dass eine übermäßige Konzentration auf interne Rivalitäten dem Absägen des Astes gleichkäme, auf dem man gemeinsam sitze. Die Meinungsumfragen zeigen, dass sehr viele Polen die Wahlen im Herbst für die wichtigsten seit 1989 erachten. Und diese Ansicht wird relativ häufig von Anhängern der Opposition geäußert, die zu Recht besorgt sind, dass eine mögliche dritte Regierungszeit von PiS das autoritäre politische System endgültig fixieren würde.

Gegenstand einer ebenso tiefen Sorge bleibt die antieuropäische Politik des gegenwärtigen Regierungskabinetts, sein Konflikt mit Brüssel, die immer rücksichtslosere Verbreitung antideutscher Ressentiments. Und es handelt sich nicht nur wie früher um eine Identitätsfrage, die sich aus dem bedrohten Zugehörigkeitsgefühl zur demokratischen Gemeinschaft des Westens ergibt. Die russische Aggression gegen die Ukraine hat sich auch auf die Innenpolitik ausgewirkt, insbesondere auf das Sicherheitsgefühl. Es wird nun sicherlich nicht dadurch verbessert, dass die PiS-Regierung entschieden einseitig auf die transatlantische Option setzt und Polen gleichzeitig auf Kollisionskurs gegen die europäischen Hauptstädte bringt.

Das Bewusstsein dafür, was bei den bevorstehenden Wahlen auf dem Spiel steht, sollte die Opposition dazu bringen, ihre gegenseitigen Beziehungen zu beruhigen und sich auf das Modell eines relativ konfrontationsfreien Wahlkampfes zu einigen, der in erster Linie auf eine möglichst große Mobilisierung der Wähler ausgerichtet ist. Entsprechende Anzeichen dafür sind bereits zu beobachten, auch wenn noch viel zu einer vollständigen Harmonie fehlt. Die Wahlbündnisse sind vorerst in den Hintergrund gerückt, es wird dafür mehr von festen Konsultationsmechanismen gesprochen, vielleicht in Form regelmäßigen Treffen der Parteispitzen. Von verschiedenen Seiten wird auch vorgeschlagen, vor den Wahlen ein gemeinsames Paket von Kernthemen vorzustellen, das die künftige Koalition als erstes aufgreifen sollte. Und gerade eine solche „softe“ Zusammenarbeit, die niemandes Interessen verletzen würde, scheint unter den heutigen Umständen ganz gut möglich zu sein.

 

Aus dem Polnischen von Agnieszka Grzybkowska

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Rafał Kalukin

Rafał Kalukin

Rafał Kalukin ist politischer Kommentator der polnischen Wochenzeitschrift "Polityka".

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