Als Ryszard Kapuściński Ende 1975 im Auftrag der staatlichen polnischen Presseagentur PAP nach Angola kam, war er bereits zwei Jahrzehnte als Auslandsreporter in der ganzen Welt unterwegs. Er wurde seit den 1950er Jahren Zeuge der Dekolonisierung in Afrika und Asien, hatte von der Euphorie der ersten Unabhängigkeitserklärungen und dem erbitterten Kampf der Befreiungsbewegungen im Zeichen des Ost-West-Konflikts berichtet. Mehrere Bücher mit gesammelten Reportagen waren von ihm bereits erschienen, als er nun in die bisherige portugiesische Kolonie reiste, die nach dem Chaos des Abzugs der Europäer direkt in einen blutigen und langandauernden Bürgerkrieg hineingezogen wurde, in dem die USA – via Südafrika – und die Sowjetunion – mit Hilfe Kubas – bis zum Zusammenbruch des osteuropäischen Staatssozialismus um ihre Einflussgebiete kämpften. Er fand hier vor, was er bereits zuvor in vielen anderen Ländern der Dritten Welt gesehen hatte. Und so schrieb er nach seiner Rückkehr nach Polen sein erstes großes Buch, das nicht aus einer Sammlung einzelner – überarbeiteter – Reportagen bestand, sondern als Gesamtkomposition ein in sich geschlossenes Werk darstellte, das den Fall Angolas unter dem Titel Wieder ein Tag Leben (Jeszcze dzień życia) zum Sinnbild des Befreiungskampfs und Bürgerkriegs überhaupt machte.
Zusammen mit den beiden „Parabeln der Macht“, dem Buch König der Könige (Cesarz, 1978) über das Regime des jahrzehntelangen Alleinherrschers Ägyptens, Haile Selassie, sowie Schah-in-Schah (Szachinszach, 1982) über den Sturz des letzten Schahs Persiens, waren es diese drei Bücher, die später seinen weltweiten Ruhm begründen sollten. In ihnen entwickelte er seine Verfahren der „literarischen Reportage“ zur Perfektion, die aus dem unmittelbar Erlebten eine existenzielle Erfahrung, aus dem Alltagsdetail ein einprägsames Symbol und aus den beschriebenen Personen, Orten und Handlungen eine Allegorie fürs Leben machten, so wie er es sah. Während in König der Könige und Schah-in-Schah diese Verfahren bereits stilistisch deutlich markiert sind, werden in Wieder ein Tag Leben die Konventionen der Reportage scheinbar noch weitgehend befolgt. Die klare Lokalisierung und Zuordnung seiner Gewährsleute, der Geschehnisse und Informationen sowie die umfassende historische Kontextualisierung des zuvor Geschilderten am Ende des Buches signalisieren Objektivität und Authentizität.
Allerdings ist vom ersten Kapitel des Buches an deutlich, dass es sich hierbei um eine fiktionalisierte Wirklichkeit handelt. Das Hotel Tivoli und die Hauptstadt Luanda als Mikrokosmen des Verfalls öffentlicher Ordnung, der Abzug der Portugiesen als surreal-absurder Exodus, die Typisierung der geschilderten Personen als Repräsentanten bestimmter Facetten des Konflikts sowie die lakonische Beschreibung heroischer Selbstinszenierung und grausamer Gewalt oder auch seine pointierte Akzentuierung flüchtiger Stimmungen und atmosphärischer Spannungen zeichnen ihn als stilsicheren und sprachgewandten Erzähler aus. Nun ist es aber gerade diese Kunstfertigkeit seiner „literarischen Reportagen“, die Kapuściński seit den 1980er Jahren vielfache Kritik einbrachte, hat er doch hier die etablierten Regeln des journalistisch Erlaubten längst hinter sich gelassen, aus der traurigen Erfahrung des angolanischen Bürgerkrieges eine visionäre Parabel über Menschen angesichts des Zusammenbruchs gesellschaftlicher Ordnung gemacht.
Der Dokumentarfilmer Raúl de la Fuente und der Animationsfilmer Damian Nenow haben auf Grundlage von Kapuścińskis Buch den Film Another Day of Life produziert, der im Mai 2018 auf dem Filmfestival von Cannes seine Premiere hatte und seit einigen Wochen auch in synchronisierter Fassung in deutschen Kinos zu sehen ist. Er macht den Reporter zu seinem Protagonisten, der mit Notizbuch, Kugelschreiber und Kamera bewaffnet in die angolanische Hauptstadt kommt, gutgelaunt und neugierig sich in der „Confusão“ des Übergangs zurechtfindet, zielstrebig und forsch die Warnungen und Weisungen von Politikern und Militärs ignoriert, sich ein Auto besorgt und auf eigene Faust an die Front fährt, sein Leben riskiert und am Ende mit der Mission betraut wird, als einziger weißer Pressevertreter vor Ort die Wahrheit über die südafrikanische Intervention ans Licht der Welt zu bringen.
In circa 60 Minuten Animationsfilm im Stil der Graphic Novel wird so Kapuściński in wunderschön anzuschauenden Bildern in Szene gesetzt, Close-Ups, Totale, Kamerafahrten, subjektive Perspektiven sind perfekt auf die Dialoge und Dramaturgie der Geschehnisse abgestimmt, immer untermalt von Mikel Salas‘ Musik, die als unfehlbarer Seismograph der drohenden Gefahren und inneren Gefühle funktioniert. Dabei überfordern die Bilder die Zuschauenden in keinem Moment, hat man sie doch alle schon irgendwie einmal gesehen – seien es die wunderschönen Landschaften Angolas, die flüchtende Frau mit Baby im Arm, die Unabhängigkeitskämpferin mit Maschinengewehr oder auch die wie Magnolienblätter durch die Luft schwebenden Patronenhülsen. So ist Another Day of Life eine Hommage an den furchtlosen Kriegsreporter, der aus Leidenschaft für den Beruf sein Leben riskiert und durch seinen exklusiven Zugang zur Front auch eine enorme moralische Verantwortung trägt, ist es doch sein Wort, dass das Weltgeschehen verändern kann und die Erinnerung an die Gefallenen des Konflikts für die Nachwelt bewahrt.
Doch die Regisseure haben es nicht bei dieser animierten Hommage belassen. Denn neben den eindringlichen und bestechenden Bildern vom Bürgerkrieg wollten sie offensichtlich auch die vielfach gegen Kapuściński vorgebrachte Kritik, er habe in seinen Reportagen die Wirklichkeit verfälscht, widerlegen. So wird die Handlung immer wieder von animierten Szenen unterbrochen, die den Reporter nach seiner Rückkehr aus Angola als Universitätsdozenten in Warschau zeigen, wo er Journalistik-Studierenden das Berufsethos des Reporters näherzubringen versucht. Dabei wird er mit kritischen Fragen hinsichtlich der Wahrhaftigkeit und Objektivität seiner eigenen Berichte konfrontiert, die in ihm fantastische Erinnerungsbilder apokalyptischer Angst- und Schreckensvisionen des Krieges hervorrufen, aber auch kritische Reflexionen des Protagonisten darüber provozieren, was er wie und warum als Nachricht weitergegeben hat.
Zudem hat de la Fuente den Film mit dokumentarischem Material ergänzt, das mit Fotos und Filmausschnitten in Schwarz-Weiß Originalaufnahmen der Protagonisten, von Massakern und des Kriegsgeschehens zeigt, die häufig in direkter Überblendung auf die animierten Bilder folgen. Außerdem hat er Zeitzeugen des Bürgerkriegs aufgesucht, die Kapuściński bei seinem Angolaaufenthalt kennengelernt haben und von denen einige – wie der Reporter Artur Queiroz oder General Farrusco – auch in seinem Buch auftreten. Diese Interviews sind in die Filmhandlung hineinmontiert und bestätigen das zuvor Gezeigte oder kommentieren als Off-Stimme die animierten Bilder. An keiner Stelle gibt es dabei einen Widerspruch zwischen Originalaufnahme oder Erinnerungstext und dem animierten Film, sondern jene haben einzig und allein die Funktion, die Wahrhaftigkeit und Authentizität des Gezeigten zu beglaubigen. Wenn also Kapuściński aus seinem faktographischen Material, das er für seine Berichte für die polnische Nachrichtenagentur gebrauchte, in seinem Buch eine literarische Fiktion machte, nimmt der Film nun ausgerechnet diese Fiktion als Vorlage, um sie als authentische Begebenheit zu inszenieren.
Was dabei aber letztlich herauskommt, ist keine Ehrenrettung Kapuścińskis als leidenschaftlicher und gewissenhafter Reporter, sondern ein zum Klischee geronnenes Bild des von Chaos und Bürgerkrieg erschütterten Afrikas nach der Kolonisierung, in der einzig der weiße Mann die Durchsicht und den Überblick behält. Am deutlichsten wird dies an einem weiteren Material, das der Film – neben den animierten Bildern, den Originalaufnahmen aus den 1970er Jahren und den Zeitzeugeninterviews – verwendet, bei dem es sich um in der Gegenwart aufgenommene Filmsequenzen handelt. Sie zeigen mal in Luftaufnahmen die prächtigen Wiesen und Wälder Angolas, mal in Nahaufnahmen schöne schwarze Frauenkörper, die zu beschwingter Musik im Dämmerlicht tanzen. In dieser Mischung von Exotik und Erotik kommt aber ein maskuliner, kolonialer Blick zum Vorschein, der über 50 Jahre postkoloniale Theorie und Dekolonisierungskritik kaum zur Kenntnis genommen hat und für den Afrika immer noch ein ‚schwarzer Kontinent‘ aus Abenteuer und Sinnlichkeit ist. Wenn Kapuścińskis literarische Fiktion in der Form einer Reportage noch heute als aufrüttelnder Bericht über die Apathie und Agonie eines Landes im globalen Bürgerkrieg geopolitischer Interessensphären lesbar ist, dann ist aus ihm im Medium des ‚dokumentarischen‘ Animationsfilms bestenfalls noch brauchbares didaktisches Material für den Schulunterricht geworden, anhand dessen sich diskutieren lässt, welche Afrikarepräsentationen problematisch sind, oder auch einfach nur: Kitsch.
„Another Day Of Life“, Raúl de la Fuente & Damian Nenow, 85 min, Animationsfilm (2017) PL/ES/B/D, Trailer