Tomasz Markiewicz ist Mitbegründer des Projektes „Polen aus freier Wahl. Deutschstämmige Familien in Warschau im 19. und 20. Jahrhundert“. Mit ihrer Aufarbeitung und den digitalen Angeboten holen sie nun schon seit zehn Jahren fast vergessene Geschichten deutsch-polnischer Beziehungen ans Licht.
Jerzy S. Majewski: Euer Projekt gibt es schon seit zehn Jahren. Angefangen hat es 2010 mit einer Ausstellung im Haus der Begegnung mit der Geschichte unter Beteiligung der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit. Was ist das Ziel?
Tomasz Markiewicz: Ziel unseres Projektes ist es, die etwas vergessene Geschichte der deutschstämmigen Bevölkerung in Warschau näher zu bringen. Also nicht der Deutschen, die in den letzten Jahrhunderten nach Warschau gekommen und dann wieder gegangen sind, sondern die Geschichte derer, die sich hier angesiedelt haben und mit der lokalen Bevölkerung verwachsen sind.
Inspiriert hatte mich ein Besuch im Museum des Warschauer Aufstandes, kurz nach dessen Eröffnung. Dort gab es einen eindrucksvollen Raum, der den Titel „Deutsche in Warschau“ trug. Der Raum berichtete von dem deutschen Terror der Jahre 1939–1944. Ich dachte damals, dass wenn sich jemand einprägt, dass „Deutsche in Warschau“ lediglich diese schrecklichen sechs Jahre Besatzung während des Zweiten Weltkrieges bedeutet, dies eine enorme Verzerrung der historischen Wahrheit wäre.
Schließlich haben die Deutschen schon seit der ersten urkundlichen Erwähnung Warschaus im Jahr 1300 die Stadt mitgestaltet. Damals waren viele Bürger Deutsche, auch zahlreiche Mitglieder des königlichen Hofes in Zeiten von Sigismund III. Wasa waren Deutsche, und die deutsche Sprache hatte einen gleichberechtigten Status neben der polnischen Sprache, weil König Sigismund III. Wasa besser Deutsch als Polnisch sprach. Von Anfang an gab es in Warschau deutschsprachige Ratsherren, die aus Thorn stammten. Es ist auch die Rede davon, dass die Deutschordensritter einen gewissen Anteil an der Gründung der Stadt hatten. Deutscher Herkunft waren auch Vertreter zahlreicher Warschauer Familien.
Im Jahr 2007 habe ich mich nach einem Besuch von Krzysztof Wittels bei mir auf der Arbeit dazu entschlossen, die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit, bei der ich arbeite, davon zu überzeugen, die Ausstellung „Polen aus freier Wahl“ zu machen. Wie sich herausstellte, ist er ein Nachkomme der Werners – das sind die von der Fabrik Norblin im Stadtbezirk Wola – und wollte eine Ausstellung über Warschauer Industrielle deutscher Herkunft im 19. Jahrhundert machen.
Es kommt oft vor, dass zwei Personen unabhängig voneinander und in verschiedenen Teilen der Welt auf die gleiche Idee kommen, zum Beispiel bei einer Erfindung. Hier trafen wir uns glücklicherweise in Warschau. Zur Zusammenarbeit luden wir einen bekannten Warschau-Experten und Historiker für Warschauer Familien ein, Herrn Tadeusz Władysław Świątek, Nachfahre der Familien Rode und Libelt.
Zu den bekannten Warschauer Familien mit deutschen Wurzeln gehörten zum Beispiel die Fukiers. Stammvater der Familie war Jerzy (Georg) Fugger, der sich 1515 in Warschau niederließ und dem berühmten Geschlecht deutscher Geschäftsleute aus Augsburg entstammte. Noch früher hatte das mittelalterliche Warschau enge Kontakte mit der Hanse. Ihr aber beschäftigt euch mit Familien, die etwas später kamen.
Wir beschäftigen uns mit der Geschichte von Familien, seit in Polen die Könige der Sächsischen Dynastie Wettin herrschten. Es hat sich nämlich herausgestellt, und das war für uns eine Entdeckung, dass in unserer Hauptstadt bis heute Familien leben, die ihre Warschauer Abstammung aus eben dieser Zeit nachweisen können. Zu ihnen gehörte zum Beispiel ein bekannter Historiker, ein Aktivist, Denkmalschützer und Experte für die Hauptstadtgeschichte, Herr Witold Straus. Er sagte, er sei die dreizehnte Generation, seitdem sein Vorfahre nach Warschau gekommen sei. Gründer der Warschauer Familie Straus war der aus Leipzig stammende Christian Gottlieb Straus.
Den Zustrom von Menschen deutscher Herkunft nach Warschau im 18. Jahrhundert nenne ich „sächsische Landung“. Die Wettinische Herrschaft charakterisierte sich in der Zeit der polnisch-sächsischen Union dadurch, dass verschiedene Spezialisten aus Sachsen und anderen deutschen Ländern nach Polen und Warschau kamen. Architekten, zivile und militärische Ingenieure. Im zweiten und dritten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts hing dies unter anderem mit der Notwendigkeit zusammen, die Teile der Stadt wiederaufzubauen, die nach dem katastrophalen Großen Nordischen Krieg zerstört waren.
Damals, im Jahr 1710, rief August der Zweite in Warschau das Sächsische Bauamt ins Leben, das bis 1765 tätig war. Es war eine Filiale des Dresdner Oberbauamtes und beschäftigte sich unter anderem mit der Realisierung von architektonischen Entwürfen und der Raumplanung unserer Stadt, unter anderem mit der berühmten Sächsischen Achse. An seiner Spitze standen sächsische Architekten. Viele von diesen Zuwanderern aus deutschen Ländern fassten hier Fuß. Sie blieben in Warschau, heirateten Polinnen. Einer von ihnen war Jan Christian Schuch, ein sächsischer Gärtner, der von König Stanisław August Poniatowski für die Umgestaltung der Grünanlagen des Łazienki-Parks in einen Englischen Landschaftsgarten angestellt war. Seines Wirkens für Warschau gedenkt die heutige Szucha-Allee im Stadtzentrum (es wurde die polnische Schreibweise seines Namens benutzt).
Das heißt, nach der Wahl von Stanisław August zum König von Polen blieben viele Teilnehmer dieser „sächsischen Landung“ in der Stadt. Bald darauf gab es wohl weitere Phasen des Zuflusses von Deutschen nach Warschau.
Dazu kam es zuerst nach der dritten Teilung Polens (1795). Warschau wurde dem preußischen Reich angeschlossen und zur Hauptstadt von Südpreußen degradiert. Es kamen massenweise deutsche Beamte nach Warschau. Unter anderem der in Königsberg geborene E. T. A. Hoffmann, Autor der Erzählung „Nussknacker und Mausekönig“, Lyriker, Schriftsteller und Literaturkritiker. Seine Frau war Polin – Marianne Thekla Michaelina Rorer, auch Rorer-Trzcińska, genannt „Mischa“. Er verliebte sich in Polen.
In Warschau lebte er ab 1804 in einem Haus in der Freta-Straße. Neben seiner Tätigkeit als Richter nahm er gleichzeitig aktiv am Leben der deutschen aber auch der polnischen Bevölkerung teil. Unter anderem begeisterte er sich für Musik, er war Mitbegründer der Musikgesellschaft „Harmonia“, des ersten Vereins dieser Art in unserer Stadt, und einer seiner engen Bekannten war der in Schlesien geborene Józef Elsner, späterer Lehrer von Frédéric Chopin.
Aber Hoffmann verließ Warschau, nachdem Napoleon das Herzogtum Warschau errichtet hatte.
Ja. Aber viele andere sind geblieben und wurden mit der Zeit zu Polen. Da kann man allein schon die Stammväter Kolberg, Minter und Beyer nennen.
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Verbindung mit Sachsen im Herzogtum Warschau aufrechterhalten wurde. Zum Staatsoberhaupt und Großfürsten wurde der König von Sachsen, Friedrich August, ernannt. Aber auch gebildete Zuwanderer aus deutschen Ländern begannen zahlreich nach Warschau einzureisen, auch nachdem Napoleon abgedankt hatte.
Dies geschah in der Zeit, als das konstitutionelle Kongresspolen existierte, das 1815 entstanden war. Auf Initiative des ab 1820 amtierenden Finanzministers, Franciszek Ksawery Drucki-Lubecki, wurden Experten in verschiedensten Bereichen aus dem Westen nach Warschau und in das Königreich eingeladen. Von Handwerkern über Ingenieure und Künstler, bis hin zu gut ausgebildeten Beamten, solche wie zum Beispiel Baron Julius von den Brinken. Er wurde zum Generalforstmeister ernannt. Sehr viele von den damaligen Zuwanderern entstammten deutschen Ländern.
Was zog die Deutschen an? Sicherlich die Arbeitslosigkeit bei ihnen, die aus einem Überfluss an Fachleuten in den jeweiligen Branchen resultierte, aber auch die Perspektive des schnellen Aufstiegs, des ökonomischen Erfolgs im Königreich und des vielversprechenden riesigen russischen Marktes. Diese Chance nutzten Fachleute verschiedenster Spezialgebiete.
Der Lithograf Karl Minter kam 1822 aus Berlin nach Warschau und leitete erst den Lithografie-Betrieb der Kommission für Religiöse Bekenntnisse und Öffentliche Aufklärung. Später leitete er im Auftrag der Armee Arbeiten an Landkarten des Polnischen Königreichs, mit der Zeit aber gründete er eine eigene Fabrik für Metall-Abgüsse. Jan Gottfried Temler aus Sachsen eröffnete 1819 in Warschau eine Gerberei, das war die Grundsteinlegung für eine Firma, die es bis 1948 gab. Solche Migranten aus deutschen Ländern blieben sehr oft für immer in Warschau.
Diese Prozesse der Assimilation mit der polnischen Bevölkerung, der freiwilligen Assimilation, wurden nicht einmal vom Scheitern des Novemberaufstands unterbrochen.
Menschen wie Drucki-Lubecki waren nicht zu Unrecht der Meinung, dass in den Zuwanderern, in den Fachleuten in der zweiten und dritten Generation bereits polnische Herzen schlagen werden.
Dazu kam es entgegen der Annahmen der russischen Besatzungsmacht, die damit rechnete, dass die deutschen die polnischen Eliten aufweichen würden. Sie kamen weiterhin, von den Russen mit verschiedenen Ködern gelockt, wie beispielsweise die Befreiung von der Steuer oder dem Wehrdienst, der in den damaligen Zeiten um die zwanzig Jahre dauern konnte. Die Russen waren der Meinung, dass die Deutschen Dank dieser Privilegien loyale prorussische Bürger sein würden. Doch es kam anders.
Die Zuwanderer aus Deutschland ließen sich in hohem Maße von der polnischen Kultur einverleiben, sie waren von der polnischen Sache, dem Kampf der Polen um ihren Staat, fasziniert. Für sie waren die polnischen Eliten, insbesondere die aristokratischen Kreise, sehr attraktiv. Sie verschmolzen mit der lokalen Bevölkerung. In Warschau war es anders als beispielsweise in Łódź, wo bis 1945 eine feste und organisierte deutsche Minderheit existierte, und die polnische Kultur, die in dieser Stadt keine starken Eliten hatte, war nicht so attraktiv wie in Warschau.
Aber zurück zu Warschau. Die meisten Zuwanderer aus Deutschland waren Handwerker, Industrielle und Fabrikeigentümer. Weil sie Handelskontakte mit den Polen brauchten, lernten sie Polnisch. Ihre Nachkommen der zweiten oder dritten Generation sprachen kein Deutsch mehr.
Die Deutschen, die „Polen aus freier Wahl“, nahmen an den Nationalaufständen teil: Am Kościuszko-Aufstand (1794), am Novemberaufstand (1830) und am Januaraufstand (1863). Später beteiligten sich ihre Nachkommen am Kampf für ein unabhängiges Polen. Unter anderem im Ersten Weltkrieg und auch im Polnisch-Sowjetischen Krieg (1919-1921) und während des Zweiten Weltkrieges, in den Polnischen Streitkräften im Westen, aber auch in den Strukturen des Polnischen Untergrundstaates und in der Heimatarmee.
Mit dem Projekt „Polen aus freier Wahl – deutschstämmige Familien in Warschau im 19. und 20. Jahrhundert“ seid ihr im Januar 2010 mit der Eröffnung einer zweisprachigen Ausstellung im Haus der Begegnungen mit der Geschichte gestartet. Die Ausstellung war eine zeitlich begrenzte Veranstaltung, aber das Projekt selbst lebt und entwickelt sich weiter.
Ein Jahr nach Beendigung der Ausstellung haben wir sie zu einer Wanderausstellung umgearbeitet. Sie wurde 2011 im Roten Rathaus in Berlin gezeigt und im Jahr 2012 im Kraszewski-Museum in Dresden. Wir haben sie auch in Warschau gezeigt. Im Jahr 2012 erschien ein Album unter dem gleichen Titel mit zahlreichen Illustrationen.
Besonders wichtig war die Erstellung der Internetseiten polacyzwyboru.pl und polenausfreierwahl.de und unserer Facebook-Seite im Jahr 2014. Die polnische und die deutsche Internetseite werden systematisch mit Informationen über weitere Familien ergänzt. Doch das ist nicht alles. Im Jahr 2015 haben wir ein Bildungspaket erstellt. Es ist Grundlage für Unterrichtsstunden in Schulen und für zwei Wettbewerbe in Schulen geworden, die 2015 und 2018 durchgeführt wurden.
Aber außer, dass unser Projekt bewusst macht, welchen Beitrag deutschstämmige Familien bei der Mitgestaltung von Warschau und beim Aufbau des polnischen Staates geleistet haben, hat es auch noch andere Ergebnisse gebracht. Es lag uns viel daran, die Nachfahren der Familien dazu zu ermuntern, ihre Geschichten zu erzählen und verschiedenste Zeugnisse und Dokumente zur Verfügung zu stellen. Ohne das hätte es die Ausstellung nicht gegeben.
Man hat wohl lange Zeit nicht mit seiner deutschen Herkunft geprahlt. In der Familie meiner Schwiegermutter hielt sich zu Zeiten der Volksrepublik Polen die Meinung, dass ihre Ahnen, die aus dem Elsass stammten, trotz des deutschen Nachnamens eher Franzosen waren.
Jahrelang wurde die deutsche Herkunft eher geheim gehalten. Polen mit deutschen Wurzeln stellten, insbesondere gleich nach dem Krieg, eine Gruppe dar, die sich für Repressionen besonders anbot, und ein leichtes Ziel für Angriffe seitens des kommunistischen Regimes war. Im zerstörten Warschau herrschte Angst vor allem, was deutsch war. Wenn Ende der vierziger und in den fünfziger Jahren jemand einen deutschen Namen trug, war er automatisch verdächtig. Außerdem gehörten Bürger mit deutscher Herkunft größtenteils zur bourgeoisen Elite Warschaus. Das kommunistische System konnte sie nicht ausstehen und wollte sie zerstören. Und wenn Menschen konspirativ tätig wurden, dann bestimmt nicht mit kommunistischen Zielen, sondern im Zusammenhang mit dem polnischen Untergrundstaat und der polnischen Exilregierung in London. Das war ein weiterer Grund für ihre Unterdrückung, insbesondere in den stalinistischen Jahren.
Deshalb gingen Mitglieder solcher Familien mit ihrem Deutschsein nicht gerade hausieren. Denn das half nicht bei der Karriere und konnte nur schaden. Und so war es praktisch bis zum Ende des Kommunismus. Erst in den achtziger Jahren wurden die ersten Erinnerungen publiziert, deren Autoren sich zu ihren deutschen Wurzeln bekannten. Als der berühmte Buchhändler Jan Gebethner im Jahr 1977 seine Familiengeschichte niederschrieb, dementierte er sicherheitshalber die deutsche Abstammung seiner Familie. Die Situation änderte sich erst in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre. Schon bevor unsere Ausstellung entstand, sind Präsentationen und Publikationen über deutschstämmige Warschauer Familien erschienen, wie zum Beispiel die Ulrychs, die hier bereits zur Sachsenzeit hergekommen und vor 1944 die bekanntesten Warschauer Gärtner waren.
Auf eurer Internetseite kommen immer mehr Namen dazu.
Wir haben mit der Geschichte von 26 Familien begonnen. So viele haben wir bei der Ausstellung gezeigt. Jetzt werden auf unserer Seite schon über 30 Familien und an die 200 Biogramme präsentiert. Dank unseres Projektes sind bei der Gelegenheit neue Publikationen entstanden, und der von mir erwähnte Witold Straus hat vor seinem Tode 2011 für das Archiv für gesprochene Geschichte im Haus der Begegnungen mit der Geschichte einen über vierstündigen Bericht aufgenommen. Er hat auch einen umfangreichen Text über seine Familie im „Almanach Muzealny“ des Museums von Warschau hinterlassen.
Die Publikationen sind neben der Ermunterung, die Geschichte der jeweiligen Familie zu erzählen und sich zu den deutschen Wurzeln zu bekennen, ein wichtiges Ergebnis unseres Projektes. Ihnen ist es zu verdanken, dass die Hauptstadtbewohner erfahren können, welche Gebäude in Warschau von Architekten mit deutschen Wurzeln entworfen wurden, wie zum Beispiel Simon Gottlieb Zug. Sie können sich bewusst machen, dass Wedel eine Firma ist, die von einer deutschstämmigen Familie gegründet wurde. Bezeichnend ist, dass im Jahr 2019 Schüler der Schule im Stadtteil Tarchomin in der Ceramiczna-Straße den letzten Eigentümer der nach dem Krieg nationalisierten Wedel-Fabrik, Jan Wedel, als ersten „Polen aus freier Wahl“ zum Namenspatron ihrer Schule gewählt haben.
Es freut uns auch, dass dank unseres Projektes in der Publizistik und in der Umgangssprache der Begriff „Polen aus freier Wahl“ üblich geworden ist, und zwar nicht nur für Deutsche, sondern auch für andere Ausländer, die freiwillig Polen zu ihrer Heimat gewählt und es wissenschaftlich, wirtschaftlich und kulturell bereichert und oft ihr Leben für Polen gegeben haben. Ich denke auch, dass unsere „Polen aus freier Wahl“ beweisen, dass Warschau seit Jahrhunderten eine multikulturelle Stadt war, und dass es gut ist, dass es wieder zu einer solchen wird.
Wie sieht die Zukunft des Projektes aus?
Das Projekt ist lebendig. Bewiesen hat dies ein Treffen zum 10. Jahrestag der Vernissage für die erste Ausstellung, den wir am 23. Januar im Haus der Begegnung mit der Geschichte in der Karowa-Straße gefeiert haben. Es kamen massenweise Familienmitglieder. Die Menschen suchen weiter nacheinander. Beispielsweise kam ein Herr mit einem Schild, auf dem stand, dass er Mitglieder der Familien Diehl, Lange und Knauff suche. Deshalb erweitern wir unsere Internetseite. Wir versuchen, aus ihr eine Art Kontakt-Briefkasten für Familien zu machen, die nach ihren Wurzeln suchen. Neuheiten im vergangenen Jahr waren Spaziergänge auf den Spuren von „Polen aus freier Wahl“, die in deutscher Sprache durchgeführt wurden. Wir machen solche Spaziergänge auch auf Polnisch. Es ist nicht ausgeschlossen, dass unsere Ausstellung bald einen Teil von Westdeutschland besucht, wo sie bisher noch nicht gezeigt wurde.
Vielleicht versuchen wir in diesem Jahr auch noch, die Teilnahme von „Polen aus freier Wahl“ am Polnisch-Sowjetischen Krieg festzustellen. Eine besonders spannende Gestalt scheint uns Oberst Ignacy Boerner zu sein. Er wurde in Zduńska Wola geboren, und seine Eltern, die noch deutschsprachig waren, schickten ihre Kinder auf polnische Schulen. Dort lernten sie polnischen Patriotismus. Im Jahr 1914 trat Ignacy den Legionen von Piłsudski bei. Im November 1918 spielte er eine bedeutende Rolle. Als Gesandter von Piłsudski verhandelte er mit den Deutschen, die Warschau besetzt hatten. Das Resultat dieser Verhandlungen war, dass die Deutschen das Königreich Polen friedlich verließen und Waffen zurückließen, mit denen später für die Unabhängigkeit gekämpft werden konnte. In späteren Jahren trug er dann als Minister für Post- und Fernmeldewesen zur Entstehung der Wohnsiedlung für Postangestellte bei, die sogenannte Siedlung Boernerowo. Seine Familie lebt noch immer dort. Wir wünschen uns, eine Veranstaltung zum Thema Boerner zu organisieren und sogar einen Dokumentarfilm über ihn zu drehen. Zum Ende des Jubiläumsjahres 2020 bereiten wir für das Warschauer Publikum eine polnisch-dänisch-deutsche Überraschung vor – Einzelheiten darf ich aber jetzt noch nicht verraten.
Aus dem Polnischen von Antje Ritter-Miller
Das Gespräch würde zuerst veröffentlicht in Warszawski Magazyn Ilustrowany Stolica, Nr. 3-4, März-April 2020 (www.warszawa-stolica.pl)
Tomasz Markiewicz ist Journalist, Historiker und Publizist. Er beschäftigt sich mit der Geschichte Warschaus des 19. und 20. Jahrhunderts, ist Vorsitzender des Vereins Betreuerteam für das Kulturelle Erbe Warschaus „ZOK“ und Mitbegründer des Bürgerforums Schöne Architektur für Warschau „FOPA“. Er ist Koordinator wissenschaftlicher und historischer Projekte der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit.
Jerzy S. Majewski ist Journalist, Publizist, Warschau-Experte und Kunsthistoriker. Als Journalist arbeitet er für die „Gazeta Stołeczna“, der Warschauer Beilage der Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ und das Monatsblatt „Stolica“.