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Das Getöse um die Reparationen. Die polnische Regierung und der Traum vom großen Geld

Wir sind endgültig in den Wahlkampf eingestiegen. Im Kampf um die Wählerstimmen haben manche Parlamentarier eine sehr einfache, um nicht zu sagen primitive Strategie entwickelt. Immer mehr Politiker aus dem Regierungslager überbieten sich in antideutschen und antieuropäischen Äußerungen. Kein Tag vergeht, an dem die Medien nicht das nächste Beispiel dafür zitieren würden. Es scheint eine organisierte Aktion zu sein, sie wirkt fast schon wie ein absurder Amoklauf. Und falls man diese Aussagen ernst nehmen würde, dann müsste man sich sofort fragen: Wo sind diese Politiker vor einigen Jahren gewesen, warum sind sie erst jetzt aktiv geworden? Und wenn sie schon früher Ihre Behauptungen unterbreitet hatten, warum hatten sie keinen Erfolg damit?

Ein Thema, das sich oft wie ein roter Faden durch die Medien zieht, ist die Frage der Reparationszahlungen von Deutschland. Bei der geplanten Volksabstimmung sollte sogar danach befragt werden, so sinnlos es auch zu sein scheint. Anscheinend wird fest daran geglaubt, dass wenn man sich unverantwortlich zur Außenpolitik äußert, man in der Innenpolitik erfolgreich sein kann, und das ist doch am wichtigsten. Und wenn man dann keine Unterstützung auf internationaler Ebene bekommt, was soll’s. Warschaus Isolation unter der PiS-Regierung wird sich noch weiter vertiefen, was dieser Partei offenbar keine Sorgen bereitet.

Seit Jahren setzt PiS auf eine starke Polarisierung der Gesellschaft als Mittel, um Macht zu erhalten. Die Partei wirft gerne Themen auf, die große Emotionen hervorrufen und mitunter zu Konflikten unter den an den Debatten Beteiligten führen. Häufig tut sie das in einem solchen Moment, wo die Unterstützung für die regierende Rechte schwächelt oder andere Probleme vertuscht werden sollen. Eines dieser instrumentalisierten Themen ist leider das Verhältnis zu Deutschland; dazu kommen verschiedene Vorhaltungen gegen den westlichen Nachbarn. Die ständige Thematisierung der Reparationsfrage dient einzig und allein der PiS-Politik. Hätte die Regierungspartei beweiskräftige rechtliche Argumente, würden ihre Bemühungen längst ernstgemeinte Schritte, Verhandlungen und vielleicht einen Erfolg nach sich ziehen. Solche Argumente hat sie gewiss nicht.

Die deutsche Frage wird ausschließlich für innere Zwecke benutzt. Sie soll Vorurteile gegenüber Deutschland wecken und Angst vor Deutschen hervorrufen, die aus historischen Gründen bei Teilen der polnischen Gesellschaft tief verwurzelt ist. Dadurch wird unsere Aufmerksamkeit von den realen Problemen in den Beziehungen mit der Europäischen Union abgelenkt, darunter die zurückgehaltenen Gelder aus den EU-Fonds, die Polen aufgrund des Konfliktes zwischen der PiS und Brüssel nicht bekommt.

Das Regierungslager samt kleiner Unterstützergruppen ist nicht homogen. Es besteht aus verschiedenen Gruppierungen, die oft miteinander um die radikalsten Forderungen konkurrieren. Ein Teil davon vertritt seit Jahren eine antieuropäische Gesinnung und klammert sich an dem Glauben an die angebliche Hegemonie Deutschlands, die für Polen gefährlich sei. Der PiS-Vorsitzende hat diese Parolen in seine Narration komplett übernommen. Tatsächlich geht es jedoch um etwas anderes. Wie viele Beobachter der polnischen politischen Szene betonen, zielen die wiederkehrenden Vorwürfe gegen die Europäische Union und Deutschland darauf, eigene Unzulänglichkeiten, Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit oder fehlende Ideen eines positiven politischen Programms zu verbergen. Sie dienen dazu, den gesellschaftlichen Rückhalt und selbstverständlich die Macht zu erhalten. Statt den für Polen nachteiligen Konflikt mit der EU zu beenden, obgleich die strittige Justizreform die Arbeit unseres Justizwesens überhaupt nicht verbessert hat, werden die nächsten Vorwürfe laut, auch die Reparationsfrage kommt zurück, nur um die eigenen Wähler zu mobilisieren und die Umfragewerte zu verbessern. Die für den 15. Oktober geplanten Parlamentswahlen sowie ein deutlicher Rückgang der Zustimmung für PiS rufen nervöse Reaktionen hervor, die Reihen auf der Rechten werden geschlossen. Allem Anschein nach wollen die meisten Polen nicht mehr zurück zu dem Bild des Feindes hinter der Westgrenze, auch wenn sie das Drama des Krieges und die großen Verluste von vor fast 80 Jahren nicht vergessen haben. Gutnachbarschaftliche Beziehungen werden als Selbstverständlichkeit und Erfolg betrachtet, selbst wenn Teile der deutschen Politik, zum Beispiel in der Russlandfrage, sehr kritisch beurteilt werden. Die antideutsche Karte wird wahrscheinlich weiterhin eines der Elemente des politischen Treibens des PiS-Lagers bleiben, doch kaum ein entscheidendes. Allerdings können die wirtschaftlichen Probleme, vor denen Polen heute steht, die Entscheidungen der Polen beeinflussen. Immer öfter sind kritische Stimmen zu vernehmen, die mit hoher Inflation, Preissteigerungen, mit Angst vor der Energiekrise und der Kriegsgefahr zusammenhängen. Wem wird die Regierung versuchen, die Unzufriedenheit jetzt in die Schuhe zu schieben? Nur den Deutschen und jenen Polen, die den weiteren Ausbau der gutnachbarschaftlichen Beziehungen fordern? In der letzten Zeit ist ein neuer Feind aufgetaucht: unser Nachbar hinter der östlichen Grenze, die Ukraine. Das zeigt, zu welch einer Kehrtwendung die polnische Regierung fähig ist. Die meisten Polen verstehen, dass unsere Sicherheit und unser Wohlstand fest im Westen verankert sind. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Krise sollten wir danach fragen, wie sich die Regierung darauf vorbereitet habe, über welche Ressourcen und Reserven sie verfüge. Waren die Staatsverschuldung und die Mittelverschwendung für plakative Investitionen sowie umfassende Sozialtransfers von fraglicher wirtschaftlicher Bedeutung sinnvoll? Wie ist eigentlich das Anbrüllen der europäischen Partner zu verstehen, wenn heute so viel von der europäischen Einheit und Kooperation abhängt? Nur zusammen kann Putin gestoppt werden, nur zusammen können wir der Ukraine helfen und unsere eigenen Gesellschaften vor einer drastischen Senkung des Lebensstandards schützen.

Unabhängig davon, wie die Regierung in Warschau vorgehen und wie Berlin darauf reagieren wird, verlangt die Frage der Wiedergutmachung an die noch lebenden polnischen NS-Opfer eine konstruktive Lösung. Warschau verfügt de facto über keinerlei rechtliche und politische Ansprüche, um mit milliardenschweren Reparationszahlungen zu rechnen.

Gegenwärtig ist die Frage der zwischenstaatlichen Entschädigungsansprüche im Sinne des Potsdamer Abkommens rechtlich hinfällig, wie der Jurist und ehemalige Diplomat Professor Jerzy Kranz es trefflich dargelegt hatte. Es gibt keine Rechtsgrundlage, es gibt keinen innerstaatlichen oder internationalen Rechtsweg, über den heute Reparationen oder individuelle Entschädigungsforderungen von Deutschland gemäß des Potsdamer Abkommens geltend gemacht werden könnten. Die individuellen Entschädigungen wurden längs durch die Stiftung Deutsch-Polnische Aussöhnung ausgezahlt, und die Empfänger verzichteten nach der Auszahlung der Gelder auf weitere Forderungen. (vgl. Kranz, Reparationen …)

Vielleicht könnte man unter dem moralischen Aspekt die deutsche Regierung und die deutsche Gesellschaft dazu aufrufen, nach pragmatischen Lösungen zu suchen, was durchaus sinnvoll wäre. Es mangelt nicht an guten und effektiven Beispielen solcher Lösungen, die bereits praktiziert wurden.

Das Engagement für die Opfer steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Gedenken an sie. In den deutsch-polnischen Beziehungen brauchen wir keine neuen Institutionen, es reicht, die bestehenden aus deutschen, und am besten aus deutsch-polnischen Mittlen zu fördern.

Professor Barcz hat diese Option in seinem Beitrag für das Deutsch-Polnische Magazin DIALOG Nr. 143 sehr überzeugend dargestellt: „Sicher kann Deutschland mehr für noch lebende NS-Opfer tun, um ihnen würdige Lebensbedingungen in ihren letzten Jahren zu verschaffen. Wieso also nicht beispielsweise das Abkommen von 2014, das Personen, die Zwangsarbeit in Ghettos geleistet haben, eine Monatsrente gewährt auf vormalige Insassen von Konzentrationslagern erweitern; vielleicht auch auf einige Kategorien von Zwangsarbeitern. Des Weiteren bietet die pragmatische Formel nicht nur einen Weg zur Fortsetzung von humanitären Maßnahmen, sondern für weitere gemeinsame Initiativen zur Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg.“ (Barcz, Reparationen…).

Quellen:

Jan Barcz, Reparationen und Entschädigungen, „Deutsch-Polnisches Magazin DIALOG”, 2023, Nr. 143, S. 21; Jerzy Kranz, Reparationen: Inwieweit ist die Vergangenheit reparierbar? “Archiv des Völkerrechts”, Bd. 61 H. 1, März 2023, S. 24-25.

Krzysztof Ruchniewicz

Krzysztof Ruchniewicz

Historiker, Professor an der Universität Wrocław und Direktor des dortigen Willy-Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien.

3 Gedanken zu „Das Getöse um die Reparationen. Die polnische Regierung und der Traum vom großen Geld“

  1. Ich kann den Hass nicht nachvollziehen. Seit 1993 bin ich mit einer polnischen Kunstmalerin verheiratet, die nicht nur wegen meiner dt. Kinder übergesiedelt ist, sondern auch wegen der Liebe. Sie fühlt inzwischen in zwei Welten, kann die Entwicklung der PiS-Partei nachvollziehen, wie auch den Höhenflug der AfD, der hier im Westen mit oft ungläubigen Staunen wahrgenommen wird. Natürlich sind die Reparationszahlungen nur ein Mittel der Stimmungsmache für die eigenen Zwecke: Hier, seht her, wir tun was für die schreiende Ungerechtigkeit, die damals über unsere Köpfe hinweg von Siegermächten zementiert wurde. Natürlich weiß man, dass es wohl die Milliarden von € aus dt. Quellen nicht geben wird – Obwohl der Deutsche ist ja dumm, vielleicht zahlt er ja trotzdem ein paar € zur Beruhigung seines schlechten Gewissens. Das hat in der Vergangenheit ja auch immer funktioniert – warum nicht jetzt, z.B. in Form von Renten für Zwangsarbeiter oder von Kindern von Zwangsarbeitern, die einen schweren Start hatten! Das dieses Verhalten kurzsichtig ist und politisches Porzellan zerschlägt, ist der PiS leider nicht klar, sondern man sucht ehr die Freundschaft von Orban und anderen zwielichten Typen. Bin mal gespannt, wann man die AfD und ihre Führungskräfte zu politischen Gesprächen einlädt!

  2. Dass die PiS-Partei mit der deutschen Politik hadert, ist nicht oder kaum verständlich.
    Polnische NS-Opfer, Zwangsarbeiter und dergleichen bei der Aufbesserung der Renten von deutscher Seite aus zu unterstützen, wäre jedoch begrüßenswert!
    Die Arbeit der Deutsch-Polnischen Gesellschaften ist dennoch weiterhin wichtig, schon allein aus dem Grund, dass es in Polen nicht nur die PiS-Partei gibt, sondern noch viele andere gesellschaftlichen Kräfte.
    Zudem laufen zahlreiche gemeinschaftlichen Projekte, die Spuren in positiver Hinsicht hinterlassen. Auch beim Abbau eventueller gegenseitiger Vorurteile.

  3. Ich kann das Misstrauen gegenüber Deutschland gut verstehen. Arrogante Überheblichkeit, eine belehrende, herablassende Haltung, gepaart mit historischem Unwissen über Polen, alles tief verankert in sogenannten deutschen Eliten, die sich im Westen Europas heimisch fühlen, und bis heute nicht verstanden haben, was sich seit 1989 in Europa gravierend verändert hat, führen trotz aller Bemühungen auch anderer Kräfte, wie z.B. der deutsch-polnischen Gesellschaften, offenbar nicht zu einer tiefgreifenden Verbesserung der Beziehungen unserer beiden Völker, wenn es Parteien in Polen gelingt, 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung mit antideutschen Parolen für sich zu gewinnen. Ich glaube auch nicht, dass Pan Kaczynski das alles nur aus politischem Kalkül macht, Nein, er meint den Hass auf Deutschland und die Deutschen bitter ernst. Selbst wenn Deutschland die polnischen Reparationsforderungen erfüllen würde, änderte sich daran nichts.

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