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Von René Guénon zu Björn Höcke – Antimoderne Esoterik als Bestandteil rechtsextremer Propaganda

Was haben Geschehnisse in einem kleinen Landkreis in Thüringen mit der Geistesgeschichte der rechtsextremen und faschistischen Ideologie zu tun? Eine Einordnung des zentralen Akteurs zeigt: viel. Im Kreis Sonneberg feierte die AfD Ende Juni einen Erfolg. Mit Robert Sesselmann stellt sie nun erstmals einen Landrat. Wer Videos von der Wahlparty sieht, erkennt jedoch, dass der erste Gratulant Sesselmanns der wahre Wahlsieger ist: der thüringische AfD-Chef Björn Höcke. Einst als geduldeter Rechtsaußen angesehen, ist es seit Jahren dieser klassisch faschistische und obsessiv naturverbunden auftretende Politiker, der die Partei und ihre Agenda dominiert. Tino Chrupalla, Höckes Mann an der AfD-Parteispitze, darf Sesselmann als zweiter die Hand schütteln.

Dem verschwörungstheoretischen Onlineportal Auf1 gibt Höcke auf der Wahlparty ein triumphales Interview. Hinter ihm hat sich ein biertrinkender Mann positioniert, dahinter steht wiederum ein Raucher mit kurzem Irokesenschnitt. Der Biertrinker gibt einem Videoblogger die Hand. Es ist der bekannte antisemitische Holocaustleugner Nicolai Nerling. Der bekommt von einem dazustoßenden Parteimitarbeiter jedoch keinen Ortsverweis, sondern wird nur freundlich gebeten, aus dem Bild zu gehen. Im Vordergrund bedient sich Höcke einer schwülstigen Sprache, die neben gezielten Ausfällen in die NS-Rhetorik für seine Auftritte typisch ist. Er spricht vom „politische[n] Wetterleuchten, das hier und heute vom Rennsteig in Thüringen ausgeht und in der ganzen Republik wahrgenommen wird.“

Die Szenerie zeigt, welche Bandbreite die AfD heute bedient. Der Biertrinker und der Raucher symbolisieren eine Bierzeltnormalität, der Holocaustleugner steht für das Maximum an ideologischer Radikalität, von der man sich dann im Zweifel distanziert. Die Ausflüchte sind bekannt und je nach Thema ebenso vorhersehbar wie unglaubwürdig. Sie klingen etwa wie folgt: war irgendwer von der Presse, haben wir nicht gewusst, nichts mit zu tun, böswillige Interpretation, mit Putin haben wir nichts zu schaffen … etc.

Oberflächliche Innerlichkeit als Kitt

Als Bindeglied für diese Melange der selbsterklärten „Mosaikrechten“ fungiert in der Außenwirkung eine radikale Antihaltung – gegen die demokratischen Parteien und alle sonstigen „Eliten“. Höckes zitierter Sprechakt, der mit dem Rennsteig einen Wanderweg und mit dem Wetterleuchten ein Naturphänomen anspricht, steht jedoch auch für romantische und esoterische Bezüge. Sie dienen ebenso als Kitt, da damit weitere Rechtfertigungen für die Wahl von Antidemokraten angeboten werden. Wie Verschwörungstheoretiker, die heute gerne auf Achtsamkeit und eigenes Nachdenken verweisen, bezieht sich auch Höcke auf eine oberflächliche Innerlichkeit. Sie wird als angeblich positive Eigenschaft des Menschen präsentiert und mit den vermeintlichen Fallstricken des modernen (elitengesteuerten) Rationalismus und Technizismus kontrastiert. Eine sachliche Reflektion von Höckes Auftreten ruft bei halbwegs gebildeten Menschen die Parallele zu den 1930er Jahren hervor. Also mischt er seinen völkischen Rechtsextremismus mit Aspekten antimoderner Subjektivität, Emotionalität und Transzendenz. Dahinter können sich Wähler und Wählerinnen dann verstecken, genauso wie hinter der maßlosen Kritik am politischen Geschehen.

Höckes Interviewband „Nie zweimal in denselben Fluss“ aus dem Jahr 2018 bietet zahlreiche Belege für den bewussten Einsatz esoterischer Motive. Sie stehen in der Tradition des mythisch aufgeladenen und fundamental kulturkritischen Buches „Revolte gegen die moderne Welt“, das der italienische Faschist Julius Evola 1934 verfasste. Auch Höcke betont den Wert von Mythen. Sie seien „Kraftquellen und Orientierungshilfen“. Schließlich könne „[e]in reines Technokratentum … nie die inneren Kräfte der Menschen freisetzen, die wir für die grundlegende Erneuerung unseres Landes brauchen.“ Höcke beschwört „die romantische Tiefenhellsichtigkeit der Deutschen“, eine „lebendige Organik“ und „[d]ie mystische Versenkung“, um „dem Numinosen [gemeint ist das Übernatürliche bzw. Göttliche / M.L.] näher zu kommen“. Das klingt ganz friedlich, und dient doch nur einem radikal-destruktiven Zweck, den Höcke im Interviewband unmissverständlich benennt: „Ein paar Korrekturen und Reförmchen werden nicht ausreichen. Aber die deutsche Unbedingtheit wird der Garant dafür sein, daß wir die Sache gründlich und grundsätzlich anpacken werden. Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen. Dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt, denn die größten Probleme von heute sind ihr anzulasten.“ Hier spricht ein Wiedergänger des Nationalsozialismus.

Die esoterische Traditionslinie

Dass Faschismus und Rechtsextremismus regelmäßig mit esoterischen Motiven gekoppelt werden, haben die Veröffentlichungen von Mark Sedgwick in Erinnerung gerufen („Gegen die moderne Welt“ [2004/2019] und „Traditionalism“ [2023]). Sedgwick zeigt, dass das Werk des Traditionalisten René Guénon (1886-1951) einen großen Einfluss auf Julius Evola und seinen aus Rumänien stammenden Geistesgenossen, den Religionswissenschaftler Mircea Eliade hatte. Heute beziehen sich Alexander Dugin und Steve Bannon auf die traditionalistische Schule Guénons und Evolas. Zentrale Akteure des internationalen Faschismus und Rechtsextremismus, Menschen hinter Putin und Trump, koppeln ihre Ideologie an eine esoterische-irrationale Gedankenwelt, die jeglichen Beleg für überflüssig hält, da das Vernünftige angeblich nur wegführt von der wahren Bestimmung des Menschen. Gerade weil sich damit offensichtlich alles begründen lässt, ist die esoterische Traditionslinie für Autokraten besonders attraktiv.

Einen guten Zugang zum Werk von René Guénon, der als Franzose nach Ägypten emigrierte und zum Muslim wurde, bietet sein Buch „Die Krise der modernen Welt“ aus dem Jahr 1927. Dargeboten werden alle bekannten Versatzstücke antiliberalen und antimodernen Denkens, wobei auch Verschwörungstheorien zum Arsenal gehören. Das Wahlrecht gebe nur eine Illusion von Kontrolle, die sichtbaren Politiker seien nicht die eigentlich Herrschenden und unser Bild des Mittelalters ein Ergebnis geplanter „Geschichtsfälschung“. Außerdem befinde man sich in einem „düstere[n] Zeitalter“ und es bedürfe der „völlige[n] Erneuerung“. Diese Erneuerung besteht laut Guénon in der Ablehnung der Vielheit und in der Rückbesinnung auf ewige Wahrheiten: „[J]e höher man sich zum Geistigen hinaufschwingt, umso näher rückt man der Einheit“. Guénon spricht vielsagend vom „Tatsachenaberglauben“, von dem man sich befreien müsse. Immer wieder ist bei ihm vom „Urgrund“ die Rede, was der Rechtsextremismus leicht mit seinen völkischen Homogenitätsvorstellungen in Verbindung bringen kann. Und auch Guénon, der sich geistig und esoterisch gibt, treibt den Widerstand gegen die Moderne und ihre Ideale von Pluralismus, Freiheit und Gleichheit letztlich auf die Spitze. Analog zu Höcke schreibt er: „Man muss es mit Freimut aussprechen und soll keine Vermittlungsversuche machen, die vergeblich wären: zwischen Glaubensgeist im wahren Sinne des Wortes und modernem Geist ist nur Kampf möglich“.

Wie Guénons Traditionalismus im deutschen Rechtsextremismus fortwirkt, hat Mark Sedgwick nicht aufgearbeitet. Hinweise gibt ein Aufsatz von Cristiano Grottanelli (Revue de l’histoire des religions, Heft 3/2002). Carl Schmitt, der einflussreichste Autor des Milieus, war begeistert von Guénon. Das zeigen eine Fußnote in seinem Buch über Thomas Hobbes (1938) sowie ein Briefwechsel mit seinem Schüler Armin Mohler im Jahr 1948. In letzterem hält Schmitt fest, dass sein Hobbes-Buch „voller Esoterik ist“. Mohler, der Autor des Buches „Die konservative Revolution“, war hingegen skeptisch gegenüber Guénon.

Schmitt war es auch, der 1942 dem Schriftsteller Ernst Jünger von Guénon und dessen Gefolgsmann Mircea Eliade erzählte. Im Tagebuch vom 15. November 1942 notiert Jünger: „Lektüre der Zeitschrift ‚Zalmoxis‘ … Ich las darin zwei Aufsätze … Beide stammen von Mircea Eliade, dem Herausgeber, über den, sowie über seinen Meister René Guenon, Carl Schmitt mir Näheres berichtete.“ Zwischen 1959 und 1971 gaben Jünger und Eliade zusammen eine Zeitschrift heraus. Darin publizierte auch Julius Evola. Unter anderem erschien 1965 ein Aufsatz Evolas über den Begriff der „Initiation“, der für René Guénon von zentraler Bedeutung war. Die Zeitschrift von Jünger und Eliade trug den Namen Antaios.

Mit schönen Worten zu neuen faschistischen Mythen

Spätestens hier wird deutlich, dass das Esoterische und die Einordnung in die Traditionslinie Guénon-Evola keine Nebensächlichkeit des heutigen Rechtsextremismus in Deutschland darstellen. Antaios ist der Name des Verlags von Götz Kubitschek, dessen Institut für Staatspolitik den zentralen Ort der Neuen Rechten in Deutschland bildet. Kubitschek und sein Institut sind eng mit der Person Björn Höcke und mit dessen Umfeld verbunden. In diesen Kreisen ist man der Skepsis, die Armin Mohler gegenüber der mystischen Esoterik Guénons zeigte, nicht gefolgt. Kubitschek, der sich als Schüler Mohlers sieht, hat vielmehr erkannt, welches Potential der Antimodernismus eines Evola, Eliade oder Guénon im Zusammenspiel mit den verschlungenen Formulierungen des Säulenheiligen Ernst Jünger besitzt. Es geht um Widerstandsfiguren wie Jüngers „Waldgänger“ und in Kubitscheks Zeitschrift Sezession liest man im Dezember 2022 über Guénon: „Buchstäblich alles, worauf unsere Zeit so stolz ist, erweist sich beim näheren Hinsehen als Pervertierung und Abnormität. Aber hinter all diesen flackernden Irrlichtern ersteht nach und nach das Bild einer geistigen Wirklichkeit, wie sie größer und schöner nicht sein kann.“

Das Esoterische dient der Selbstintellektualisierung und der Verschleierung, denn die hier erwartungsfroh beschworene neue „geistige Wirklichkeit“ besteht in der Überwindung des modernen Systems aus individuellen Rechten, Gewaltenteilung, kultureller Pluralität und Demokratie. Es müssen schöne Worte her, um das rechtsextreme Programm schmackhaft zu machen. Die Esoterik Höckes hat sicherlich nur kleine Teile der Wählerschaft in Sonneberg direkt angesprochen, aber wahrscheinlich noch viel weniger Menschen abgeschreckt. Mehrheiten setzen sich schließlich aus Minderheiten zusammen und der Kandidat der AfD hatte gerade einmal 400 Stimmen mehr als sein demokratischer Kontrahent.

Auf der AfD-Wahlparty im Kreis Sonneberg hatte das rechtsextreme und verschwörungstheoretische Compact-Magazin einen exklusiven Stand. Es handelt sich um das deutsche Sprachrohr des Totalitarismus von Wladimir Putin und Alexander Dugin. Neben den üblichen Widerstandsaufrufen und Skandalisierungen finden sich durchgehend auch mythische Themen in den Heften. Regelmäßig wird gegen „Satan“ und den „Transhumanismus“ gewettert. Julius Evola und Björn Höcke werden hingegen verehrt – bzw. vergöttert.

Markus Linden

Markus Linden

außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier, zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u.a. Theorie und Empirie der Demokratie, Parteien- und Parteiensysteme, die Neue Rechte und Rechtspopulismus.

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