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Polen vor den Wahlen: Populismus, Spaltung und Frustration

Die polnische Politik eint nicht, sondern spaltet. Dies ist im laufenden Wahlkampf deutlich erkennbar. Die Gesellschaft ist durch eine starke Polarisierung gekennzeichnet, und die PiS-Wähler zeigen sich resistent gegen die Skandale der Regierungspartei oder entscheiden sich zynisch für die Option, die ihnen den größten Gewinn verspricht. Trotz alledem glaubt der Soziologe Professor Przemysław Sadura nicht an das Ende der Demokratie in Polen.

 

Joanna Maria Stolarek: Wie sieht die politische und gesellschaftliche Szene vor den Wahlen in Polen aus und wie gestaltet sich die Unterstützung der Wähler?

Przemysław Sadura: Womit wir es heute nicht nur in Polen, sondern auch anderswo zu tun haben, weil es sich dabei um ein umfassenderes Problem handelt, das allerdings in Polen sehr deutlich erkennbar ist, kann man als Epidemie des Populismus bezeichnen. Das heißt, dass wenn es in einem politischen System eine Führungspersönlichkeit, eine Partei gibt, die Populismus als Mittel zur Mobilisierung der Wähler nutzt, so wird sich diese Vorgehensweise unmittelbar auch auf weitere Parteien übertragen. Seit acht Jahren betreibt Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) eine populistische Politik der Spaltung der Gesellschaft in böse Eliten und das gute Volk und führt so ethische, moralische und sogar manichäische Trennlinien ein. Darüber hinaus beeinflusste sie durch die Tatsache, dass sie vorausgegangene Wahlen durch großzügige Wahlkampfgeschenke gewann, auch die Wähler selbst. Dieser Effekt beruht darauf, dass die Wähler eine Partei auf der Grundlage der individuellen Vorteile wählen, die ihnen eine derartige Entscheidung bringen kann. In diesem Sinne sind wir zu einer populistischen Gesellschaft geworden. Natürlich waren Sozialtransfers sinnvoll, sie hatten reale Auswirkungen und beseitigten etwa das Problem der Kinderarmut, aber diese direkten Transfers gehen beispielsweise zu Lasten des Niveaus öffentlicher Dienstleistungen. Auf diese Weise wählen Menschen die Partei direkter Geldleistungen, nicht eine Partei der Reformen. Das Bild, das ich soeben skizziert habe, stammt aus dem Buch „Gesellschaft der Populisten“ (Społeczeństwo populistów, Warszawa 2023), das ich gemeinsam mit Sławomir Sierakowski geschrieben habe und das sich nach Meinung vieler als zutreffende Diagnose unserer Realität erwiesen hat. Im Buch konzentrieren wir uns auf PiS, aber auch andere Parteien haben einen populistischen Charakter angenommen. Der jüngere Bruder von PiS ist die Konföderation (Konfederacja), eine rechtsextreme Kraft mit einem Programm, das einen steinzeitlichen Neoliberalismus oder gar Sozialdarwinismus mit Fremdenfeindlichkeit, Homophobie, Frauenfeindlichkeit und allen möglichen Vorurteilen kombiniert. Die Konföderation hat deutlich an Unterstützung gewonnen und erzielt ihre Erfolge ähnlich wie PiS dadurch, dass sie nicht nur über eine Gefolgschaft verfügt, also Leute, die ihr ideologisch verbunden sind, Fanatiker, die sich mit ihren Anführern und dem Programm identifizieren, sondern zugleich Wähler anzieht, die man als zynisch bezeichnen kann. Letztere wählen eine Partei, obwohl sie sie gar nicht mögen. Sie sind zum Beispiel nicht mit dem PiS-Programm einverstanden, sie mögen Kaczyński möglicherweise nicht, haben eine skeptische Haltung gegenüber der Kirche, weisen überhaupt keine konservativen Ansichten auf und ähneln in dieser Hinsicht eher den Wähler der Opposition, aber wegen der individuellen Vorteile, die das PiS-Programm ihnen bietet, sehen sie sich veranlasst, für die Partei Kaczyńskis zu stimmen. Ebenso hat die Konföderation neue Wähler gewonnen, die überhaupt nicht sexistisch sind. Tatsächlich sind es oft sogar junge Frauen, die behaupten, sie seien Feministinnen. Das sind Wählerinnen, die für Gleichstellung eintreten, keine Vorurteile gegenüber Menschen aus LGBTQ+-Communities hegen, nicht fremdenfeindlich eingestellt sind. Sie können sich Polen nicht außerhalb der Europäischen Union vorstellen und unterstützen sogar die europäische Klimapolitik, aber unter allen Angeboten der Konföderation entscheiden sie sich ausschließlich für Steuersenkungen, weil dies genau der Slogan ist, dem die Konföderation ihren Charme verdankt. Vor diesem Hintergrund wird auch die demokratische Opposition populistisch. Sie muss sich ein populistisches Kostüm überstreifen oder diese populistischen Handschuhe anziehen und in den Ring steigen, denn andernfalls kann sie nicht gewinnen und deshalb geht es im Wahlkampf all dieser Parteien um einen Wettlauf um die größten Versprechungen. In dieser Hinsicht hat die Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska, KO) mit der Ankündigung ihres Programms „100 konkrete Punkte in 100 Tagen“ den Vogel abgeschossen. Ich sage das ironisch. Dieses Programm ist das Ergebnis einer populistischen Übertreibung, bei der die KO ihre Botschaft fragmentierte und etwas vorgeschlagen hat, was wir eher als 100 „konkrete Pünktchen“ für 100 Tage bezeichnen sollten. Sie hätte 4 konkrete Punkte für 4 Jahre vorstellen sollen, aber stattdessen haben wir nun 100 konkrete Pünktchen, die kein Politiker der KO je aus dem Gedächtnis aufzählen könnte, ganz abgesehen davon, dass diese Liste Vorschläge umfasst, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Einerseits wird eine Verdoppelung des Steuerfreibetrags vorgeschlagen, also eine wirklich erhebliche Steuersenkung, und andererseits gefordert, dass Schulkinder keine Schultaschen zur Schule schleppen müssen oder keine Hausaufgaben bekommen. So praktiziert man keinen Populismus, was dafürspricht, dass die demokratische Opposition zwar gerne populistisch werden würde, aber nicht so recht weiß, wie sie es anfangen soll.

Die starke Polarisierung und der Populismus manifestieren sich im Wahlkampf, wirken aber gleichzeitig auch in der Gesellschaft. Welche sind die treibenden Themen dieses Wahlkampfs?

Das Problem besteht darin, dass wir derzeit nicht die eine Gesellschaft oder einen Informationskreislauf haben, sondern es vielmehr mit zwei Untergesellschaften zu tun haben, die über keinen gemeinsamen Nenner verfügen. Es handelt sich also nicht um einen Kampf zwischen PiS und der demokratischen Opposition darüber, wie sie jeweils Wähler für sich gewinnen können. Vielmehr zielt die Kampagne darauf ab, die eigenen Wähler so weit wie möglich zu mobilisieren und die gegnerische Partei zu demobilisieren. Es gibt praktisch keinen gegenseitigen Informationsfluss. Aus den Untersuchungen, die Sławomir Sierakowski und ich für unser Buch durchgeführt haben, geht hervor, dass es eine recht große Gruppe von Wählern (12 %) gibt, die von PiS enttäuscht sind, also Personen, die in der Vergangenheit für diese Partei gestimmt haben und jetzt sagen, sie würden dies nicht mehr tun oder sie seien sich nicht sicher, ob sie es erneut tun würden. Auf die Frage nach den Gründen für diese Enttäuschung wurde in erster Linie eine allgemeine Ernüchterung über die polnische Politik, über PiS usw. genannt. Wenn jedoch konkrete Gründe angegeben wurden, so betraf dies die Inflation, unerfüllte Wahlversprechen, wirtschaftliche Fragen oder möglicherweise die Auffassung, dass die Flüchtlinge aus der Ukraine das Sozialsystem überlasten würden. Ausgeblendet wurden hingegen Themen wie die Haltung von PiS gegenüber Menschen aus LGBT-Communities, die reproduktiven Rechte von Frauen oder das, was die gesamte Opposition elektrisiert, also die Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien. In dieser Gruppe von 120 enttäuschten PIS-Wählern aus einer repräsentativen Stichprobe von 1.000 polnischen Männern und Frauen gab nicht ein Befragter an, dass der Angriff auf die unabhängige Justiz der Grund für die Enttäuschung über die Regierungspartei sei. Kein einziger. Daher muss die Oppositionsseite wirtschaftliche Fragen zur Demobilisierung der PiS-Wählerschaft verwenden und zugleich Fragen der Rechtsstaatlichkeit und der Frauenrechte zur Sprache bringen, um ihre eigenen Wähler zu mobilisieren.

Ein neues Thema ist der Visa-Skandal, der die Heuchelei von PiS verdeutlicht: einerseits hetzt sie die Polen gegen Flüchtlinge auf und behandelt die Menschen an der belarusischen Grenze auf unmenschliche Weise, aber andererseits hat sie Auswanderer aus eben jenen Ländern, die angeblich eine Bedrohung darstellen, die Einreise ermöglicht. Die Opposition versucht das auszunutzen, obwohl es schon seit Jahren klar ist, dass jegliche Skandale an PiS abperlen – es gab derart viele von ihnen, ob nun im Zusammenhang mit Vetternwirtschaft oder Korruption, dass im Grunde genommen jede Vorgängerregierung untergegangen wäre und eine Vielzahl von Ministern schon vor langer Zeit suspendiert worden wären, aber PiS sitzt weiter fest im Sattel. Sie bleibt an der Macht, weil sie ihre Unterstützung auf zwei Gruppen stützte: auf der einen Seite fanatische Wähler und auf der anderen Seite zynische Wähler, die in eigennützigen Kategorien denken. Die ersteren, die fanatischen Wähler, glauben einfach nicht, dass diese Skandale überhaupt stattgefunden haben, während es den zynischen Wählern schlicht völlig egal ist, weil sie doch gar nichts anderes erwartet haben. Sie haben sich von PiS keinerlei Ehrlichkeit erhofft, sondern gingen lediglich davon aus, dass sie mehr an Mitteln austeilen würde. In diesem Sinne fügen diese Skandale der PiS überhaupt keinen Schaden zu. Die Partei ist skandalresistent, weil sie über eine wahrheitsresistente Wählerschaft verfügt.

Die Gruppe der jungen Frauen bis 39 Jahre könnte für die Siegchancen der Opposition von entscheidender Bedeutung sein. Aus den verfügbaren Daten wissen wir, dass diese Gruppe viel eher bereit ist, an den Präsidentschaftswahlen teilzunehmen, aber dafür eine geringere Neigung zeigt, bei den Parlamentswahlen abzustimmen; wir wissen, dass sie liberale Ansichten haben, und dennoch nehmen sie gegebenenfalls nicht an diesen Wahlen teil. Vor ein paar Tagen, vor der nächsten Debattenreihe, habe ich mir unsere letzte Umfrage angesehen, um zu überprüfen, wie viele solcher Frauen es gibt, und tatsächlich hatten wir in einer repräsentativen Umfrage in der gesamten Bevölkerung 6 % der Frauen dieser Altersgruppe, die Pro-Choice-Einstellungen aufweisen und gleichzeitig von der Politik enttäuscht sind und sich nicht auf den Weg zum Wahllokal machen werden. Wenn diese 6 % der Frauen wählen gehen würden, könnten sie beispielsweise das Ergebnis der Linken verdoppeln, aber zunächst müsste jemand dafür sorgen, dass sie daran glauben, dass sich eine Teilnahme an den Wahlen tatsächlich lohnt.

Wir leben in Polen in zwei Welten, wir haben zwei Informationskreisläufe, private Medien und öffentliche Medien, und die bevorstehenden Wahlen werden nicht völlig frei sein, beispielsweise aufgrund des eingeschränkten Zugangs zu Medien oder der Nutzung von Pegasus. Darüber hinaus kommt es in Polen zu einer immer stärkeren Polarisierung im Zusammenhang mit dem Duopol-Konflikt zwischen Jarosław Kaczyński und Donald Tusk. All dies führt bei vielen Menschen zu tiefer Frustration. Welche Rolle wird dieser die Wahlbeteiligung fördernde Faktor bei den kommenden Wahlen spielen?

Einerseits gibt es einen Konflikt zwischen PiS- bzw. rechten Wählern und den Wählern der demokratischen Opposition. Andererseits besteht das Problem darin, dass die Opposition nicht geeint, sondern gespalten in die Wahlen geht. Überdies bestehen viele Konflikte zwischen Wählern der Opposition, zwischen denen der Bürgerkoalition und des Dritten Weges (Trzecia Droga). Da die Parteien der demokratischen Opposition die Wählerschaft von PiS nicht erreichen können, bleibt ihnen nur, untereinander um diesen begrenzten demokratischen Teil des Wahlvolks zu kämpfen. Dies ist eine sehr gefährliche Situation, da eine Polarisierung und ein klarer Konflikt zwischen PiS und sog. Anti-PiS die Wählerschaft auf beiden Seiten stärker mobilisieren als demobilisieren würden. Es gäbe wohl einige, die davon enttäuscht wären, und dies würde wahrscheinlich die Umfragewerte der Konföderation als einer Kraft, die weder PiS noch der demokratischen Opposition nahesteht, leicht verbessern, aber ein solches Vorgehen würde offensichtlich auch die Wahlbeteiligung auf Seiten der Opposition erhöhen. Doch in einer Situation, in der der Konflikt die demokratische Opposition zu spalten beginnt, startet plötzlich innerhalb der Bürgerkoalition eine Kampagne gegen sogenannte Symmetristen, also Publizisten, Wähler und Politiker, die angeblich eine Äquidistanz zu PiS und zur Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, PO – die führende Kraft innerhalb der KO) haben und überzeugt seien, dass PiS und PO ein und dasselbe Übel darstellten. Dabei handelt es sich jedoch um ein imaginäres Problem. Es gibt praktisch keine oder jedenfalls nur sehr wenige Symmetristen. Die Linke, die in der Tat diesen Pfad des Symmetrismus einschlagen wollte, hat schnell erkannt, dass ihre Wählerschaft stärker gegen PiS eingestellt war als die der Bürgerkoalition. Szymon Hołownia, Chef der Partei Polen 2050 (Polska 2050), die Teil der Koalition des Dritten Weges ist, erkannte ebenfalls, dass er unter zivilisatorischen Gesichtspunkten eine Wählerschaft hatte, die gegen PiS eingestellt ist. Kurz gesagt, es gibt also keine Symmetristen, aber das Problem des Antisymmetrismus entstand trotzdem. Wir haben in Polen eine gewisse Tradition des Antisemitismus und der Islamophobie – ohne Juden, ohne Muslime – und jetzt eben auch einen Antisymmetrismus ohne Symmetristen. Dies erinnert an die Situation in den USA während der McCarthy-Ära, als der Antikommunismus schlimmer war als der Kommunismus. Es zeichnet sich bereits ab, dass die Wahlen zwar noch nicht verloren sind, die Opposition weiterhin eine Chance hat, aber die Suche nach dem Schuldigen einer potenziellen Niederlage hat bereits begonnen. Diese Konflikte innerhalb der Opposition sind gefährlich, denn angesichts dessen, was wir über die Einstellungen jener jungen Frauen wissen, die ich bereits erwähnt habe und deren Teilnahme an den Wahlen von entscheidender Bedeutung sein wird, ist es gerade der konflikthafte Charakter der Politik, der sie von ihr fernhält. Das bedeutet: Je größer der Konflikt auf Seiten der Opposition, desto größer ist das Risiko, dass diese Gruppe der Wählerinnen nicht an der Abstimmung teilnimmt.

Mit Blick auf die Wahlen könnten junge Frauen das Zünglein an der Waage sein. Wie motiviert man sie dazu, am 15. Oktober ihre Stimme abzugeben?

Frauen muss in Fragen, die ihnen wichtig sind, insbesondere in Bezug auf reproduktive Rechte, eine klare Alternative angeboten werden. Auf eine Erhöhung der Wahlbeteiligung gerichtete Kampagnen zielen darauf ab, ein Dilemma in Form von kostenlos zugänglichen Verhütungsmitteln und Pränataldiagnostik vs. einem Schwangerschaftsregister; der Legalisierung der Abtreibung oder zumindest der Pille danach vs. des zwangsweisen Gebärens von lebensunfähigen Föten aufzuzeigen. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Darstellung von Wahlen in Form eines solchen Dilemmas das Interesse junger Frauen steigert, wohingegen das Interesse junger Männer an der Teilnahme an Wahlen wiederum abnimmt. Andere Studien zeigen uns, dass junge Männer bis 39 Jahre 40 Prozent der Wählerschaft der Konföderation, also der extremen Rechten, ausmachen. Daraus folgt, dass eine Situation, in der die Beteiligung junger Frauen an Wahlen erhöht und die Beteiligung junger Männer verringert werden könnte, ein ideales Szenario für die demokratische Opposition wäre. Allerdings ist meines Erachtens eine bessere Verständigung innerhalb der Opposition Voraussetzung für die Teilnahme junger Frauen an den Wahlen. Es war nicht möglich, eine einheitliche Wahlliste zu erstellen, aber obwohl es bereits fünf vor zwölf ist, bleibt noch Zeit, um eine Einigung über die Regeln des Fairplay im Wahlkampf zu erzielen. Ohne eine solche Übereinkunft droht der Opposition ein Konflikt, der junge Frauen vergrault.

Für die Parlamentswahlen am 15. Oktober werden zwei Szenarien für möglich gehalten. Das erste Szenario geht davon aus, dass es der demokratischen Opposition gelingt, die Wahlen zu gewinnen und gemeinsam eine neue Regierung zu bilden. Im zweiten Szenario bleibt Recht und Gerechtigkeit an der Macht und bildet zum dritten Mal die Regierung. Welche Zukunft sehen Sie in beiden Fällen?

Es scheint mir, dass beide Szenarien sehr unwahrscheinlich sind. Ich kann mir nur schwer eine Situation vorstellen, in der die Kräfte der demokratischen Opposition dazu in der Lage wären, eine stabile Mehrheitskoalition zu bilden, da die meisten Umfragen darauf hindeuten, dass einer solchen Koalition einige Sitze fehlen würden, was bedeutet, dass eine solche Einigung auch die Beteiligung der Konföderation erfordern würde. Dann hätten wir eine außergewöhnliche Zusammensetzung der Regierung, denn man sollte bedenken, dass die Bürgerkoalition, also die stärkste Kraft der demokratischen Opposition, kein einheitliches Gebilde ist, sondern ein Bündnis aus Bürgerplattform, der Partei Die Moderne (Nowoczesna) und der Grünen darstellt. Darüber hinaus ist auch die Linke kein Monolith, sondern besteht aus der Linken, die aus der Vereinigung der Parteien Frühling (Wiosna) und Demokratische Linksallianz (Sojusz Lewicy Demokratycznej, SLD) hervorgegangen ist, innerhalb der diese Spaltungen weiterhin bestehen, sowie der Partei Gemeinsam (Razem). Zu all dem wäre dann noch der Dritte Weg hinzuzurechnen, der aus dem Bündnis von Polen 2050 und der Bauernpartei PSL besteht, und schließlich noch die Konföderation. Die politikwissenschaftliche Forschung zeigt, dass die Chance auf den Abschluss einer solchen Koalition und ihre Stabilität umso größer ist, je kleiner die Zahl der sie bildenden Parteien ist. Wenn also die demokratische Opposition die künftige Regierung stellen würde, hätten wir es mit einer intern äußerst zerrissenen, fragilen und infolgedessen instabilen Mehrheit zu tun, die sich mit einer Realität auseinandersetzen müsste, in der der Staatspräsident einem anderen politischen Lager angehört und um jeden Preis versuchen wird, der Regierung das Leben schwer zu machen. Die Mehrzahl der wichtigen Institutionen im Lande sind mit PiS-Leuten besetzt, deren Absetzung recht schwierig werden dürfte. Selbst wenn es die demokratische Opposition schaffen sollte, eine Regierung zu bilden, gibt es daher keinen Grund, eine große Revolution zu erwarten, denn es würde sich hierbei um eine Regierung handeln, die jeden Tag mit Problemen zu kämpfen hätte. Ganz abgesehen von den internen Problemen dieser Koalition kommen wir auch nicht umhin, die externen, finanziellen Probleme zu erwähnen, das riesige Defizit, das Recht und Gerechtigkeit zu verbergen sucht. Sollte sich ihrerseits PiS an einer Regierungsbildung versuchen, so hat sie jedenfalls derzeit keine Möglichkeit zur Alleinregierung. Dies bedeutet, dass auch PiS gezwungen wäre, einen Partner in die Koalition einzuladen, und bei diesem Partner würde es sich aller Voraussicht nach um die Konföderation handeln, obwohl deren Unterstützung nach spektakulären Anfangserfolgen erneut Abwärtstendenzen zeigt. Überdies ist unklar, ob sich die Konföderation überhaupt für die Bildung einer Koalition entscheiden würde, da sie die einzige wirklich symmetrische Wählerschaft hat, die Tusk und Kaczyński gleichermaßen hasst. Durch den Eintritt in eine Koalition müsste die Konföderation also bis zu einem gewissen Maße ihre eigenen Anhänger verraten. Das Szenario, das meiner Meinung nach am wahrscheinlichsten ist, besteht darin, dass PiS versuchen wird, sich in Schlüsselfragen eine bedingte Unterstützung zu sichern und sich mit Hilfe des Staatspräsidenten und anderer Institutionen als Minderheitsregierung zu behaupten. Nach acht Jahren Regierung hat PiS enorme Fähigkeiten – und keinerlei Skrupel. Sie könnte versuchen, einige Abgeordnete zu bestechen und andere einzuschüchtern, weil ja jede und jeder etwas zu verbergen hat und PiS einen direkten Zugriff auf die Staatsanwaltschaft und die Geheimdienste hat. Deshalb werden wir es nicht nur mit einem sehr brutalen Abschluss eines ohnehin schmutzigen Wahlkampfs zu tun haben, sondern es kann durchaus sein, dass sich die Atmosphäre nach dem Wahlkampf überhaupt nicht abkühlt. Ebenso wird die Bildung einer parlamentarischen Mehrheit ggf. unanständig verlaufen und weit von den demokratischen Standards entfernt sein, an die wir in Europa gewöhnt sind.

Wird Polen derart gespalten, populistisch und polarisiert bleiben, oder würde ein möglicher Regierungswechsel auch zu gesellschaftlichen Veränderungen führen?

Das glaube ich nicht, jedenfalls nicht auf kurze Sicht. Eine ähnliche Situation finden wir derzeit in den Vereinigten Staaten, wo die Gesellschaft polarisiert ist und Donald Trump sogar nach seiner Niederlage der Führer des konservativen Amerikas bleibt, obwohl das dem Establishment der Republikanischen Partei selbst nicht gefällt. Trump hat im ganzen Land fanatische, ergebene Wähler, und eine ähnliche Situation wird in Polen eintreten. Wir werden auch nicht aufhören, eine populistische Gesellschaft zu sein, weil die populistische Kampagne diesen Teil einer und eines jeden von uns wertschätzen wird, und es wird nicht gelingen, die fundamentale Spaltung zu überwinden. Ich hoffe, dass sich die zuvor erwähnten Spaltungen innerhalb der Opposition nicht weiter verschärfen werden und dass die Opposition im Falle einer Wahlniederlage nicht in interne Konflikte verfällt und nach Schuldigen sucht, sondern eine Strategie für das politische Überleben entwickelt, mit der sie den Rechtspopulisten die Macht entziehen kann. Vieles deutet darauf hin, dass sowohl die demokratische Opposition als auch PiS Schwierigkeiten damit haben werden, eine stabile Mehrheit zu schaffen, was dazu führen könnte, dass die nächsten Wahlen früher als geplant stattfinden. Theoretisch ist es möglich, dass die Situation sich derart verschlimmert, dass sogar die Organisation demokratischer Wahlen in Frage gestellt wird, aber meiner Meinung nach ist das vorerst politische Fiktion. Wir sind Teil der Europäischen Union, wir leiden an Rechtspopulismus, wir haben hohes Fieber, aber das ist keineswegs eine Situation, die uns dazu zwingen würde, schon jetzt den Tod der Demokratie in Polen auszurufen.

 


Przemysław Sadura, Professor an der Universität Warschau. Dozent an der Fakultät für Soziologie der Universität Warschau. Er erforscht die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft in den Bereichen der Funktionsweise verschiedener öffentlicher Politiken.

 

 

Joanna Maria Stolarek, Journalistin, Publizistin, Direktorin der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau.

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