Kaja Puto: Der „Großvater in der Wehrmacht“, das ist ein Schlagwort, das die polnische öffentliche Debatte immer noch aufmischt.
Stasia Budzisz: Aber bei uns in der Kaschubei oder in Schlesien macht der „Großvater in der Wehrmacht“ auf niemanden Eindruck. Die allermeisten unserer Großväter dienten in der deutschen Armee, weil sie entweder in den preußischen Ostprovinzen lebten oder in dem Gebiet, das 1939 an Preußen annektiert wurde. Seine Unterschrift unter die Volksliste zu setzen, geschah hier in einem völlig anderen Kontext als im Generalgouvernement, denn hier lebten viele Menschen, die sich nicht mit dem Polentum identifizierten.
Dein kaschubischer Großvater diente nicht beim Heer, sondern in der Kriegsmarine der Wehrmacht.
Als ich eine Teenagerin war, und das war in den 1990er Jahren, begann ich mich brennend für Geschichte zu interessieren, die ich in der Schule in einer polonozentrischen Ausgabe vorgesetzt bekam. Ich wusste, dass mein Großvater im Krieg gefallen war, also malte ich mir aus, er hätte zur polnischen Heimatarmee gehört und im Warschauer Aufstand gekämpft. Ich erzählte meinen Schulfreunden darüber Geschichten, die ich mir selbst ausgedacht hatte.
Es kam mir völlig selbstverständlich vor, dass es so gewesen sein musste – und zwar, obwohl ich Aufnahmen mit meinem Großvater in Naziuniform gesehen hatte. Niemand machte daraus ein Geheimnis vor mir, dass die Großmutter eine Rente in D-Mark bekam und dass wir Pakete aus der Bundesrepublik erhielten. Aber all diese Hakenkreuze, die in verschiedenen Ecken unseres Zuhauses versteckt waren, erschienen mir irgendwie durchsichtig, so als ob unsere sich von denen unterschieden, die ich im Schulgesichtsbuch zu sehen bekam.
Erst als ich den Brief fand, den sein Vorgesetzter nach seinem Tod an die Großmutter schrieb, begriff ich, dass der Großvater in der Naziarmee gedient hatte. In meinen Erzählungen kam er durch ein Torpedo um, aber in Wirklichkeit starb er unter wenig romantischen Umständen bei einer Explosion im Hafen. Er saß unter dem Schiff und reparierte Tarnnetze, und er starb an den Folgen seiner Verbrennungen. Er wurde in einem Massengrab in Kirkenes beigesetzt.
Was war dein Großvater für ein Mensch?
Wenn du nach seinem Beruf fragst, er war Fischer, so wie übrigens auch sein Vater und Großvater. Er lebte auf der Halbinsel Hel und gehörte zur maszoperëjô [seit dem Mittelalter bestehende Fischereigenossenschaft der Kaschuben; A.d.Ü.]. Wenn du nach der ethnischen Zugehörigkeit fragst – er war Kaschube. Er war in Preußen geboren, aber als das Gebiet nach dem Ersten Weltkrieg polnisch wurde, wurde er als Katholik Pole betrachtet. Und als die Deutschen wieder zurückkamen, unterschrieb er die Volksliste und wurde wieder Deutscher. Ich weiß aber nicht, was ihn dazu veranlasste und als was er sich letztlich fühlte.
Was bedeutete das damals, Kaschube zu sein?
So einfach wie möglich gesagt, sind die Kaschuben eine autochthone Bevölkerung, die an der Südküste der Ostsee lebt. Sie stammen von den westslawisch-pommerschen Stämmen ab und haben ihre eigene Sprache, die die Polen nur schwer verstehen. Die kaschubische Identität, besonders die, die eher zum Polentum neigte, entstand in den Zeiten Otto von Bismarcks, dessen Kulturkampf sich gegen den Katholizismus richtete, der für die Kaschuben sehr wichtig war.
Und da in den evangelischen Kirchen deutsch gesprochen wurde und in den katholischen lateinisch und polnisch, begannen die Kaschuben, sich zum Teil auch mit dem Polentum zu identifizieren, obwohl sie in der Schule natürlich nur deutsch sprachen. Aber nach dem Ersten Weltkrieg wollten sie sich nicht unbedingt Polen anschließen, die einen, weil das Deutsche Reich mehr Möglichkeiten anbot, die anderen, weil sie nicht in der polnischen Armee dienen wollten, denn wir dürfen nicht vergessen, dass 1919 bereits der Krieg gegen Sowjetrussland begann. Aufgrund des Versailler Vertrags verblieb ein Teil des kaschubischen Gebiets bei Deutschland, der andere fiel an Polen.
Wie wurden die Kaschuben in der Zwischenkriegszeit von den Polen behandelt?
Die Polen haben sie vorwiegend zu polonisieren versucht. Ähnlich wie nach Schlesien, kamen in die Kaschubei viele Lehrer aus anderen Teilen Polens, vor allem aus Galizien. Sie erklärten ihren Schülern, die kaschubische Sprache sei ein polnischer Dialekt. Man kann sagen, dass die Menschen damals begannen, sich des Kaschubischen zu schämen, weil das die schlechtere, die verballhornte Sprache war.
Trotzdem waren in dieser Zeit in der polnischen Kaschubei die Nationaldemokraten, die Endecja, die stärkste politische Kraft, also die polnischen Nationalisten.
Das kam vor allem daher, dass die Nationaldemokraten, die polnischen Nationalisten und Antisemiten, von der katholischen Kirche unterstützt wurden. Zudem kümmerte sich Józef Piłsudski, Gegner der Endecja und seit 1926 Chef einer autoritärstaatlichen Regierung, nicht sonderlich um Pommern, er nannte die Ostsee die „große Pfütze“. Zwar wurde unter seiner Regierung der Hafen von Gdynia [Gdingen] gebaut, aber davon abgesehen, standen die Kaschuben nicht auf der politischen Tagesordnung.
Und welche Politik betrieben die Deutschen gegenüber den Kaschuben, nachdem sie Polen überfallen und das Gebiet wieder in Besitz genommen hatten?
Abgesehen von den Juden, von denen es in Pommern nicht sehr viele gab, befanden sich vor allem die Polen im Fadenkreuz der Nazis, darunter diejenigen Kaschuben, die sich mit dem Polentum identifizierten. In den an NS-Deutschland annektierten Gebieten gab es kein Verbot der kaschubischen Sprache, aber es war verboten, polnisch zu sprechen.
Von September 1939 bis Frühjahr 1940 wurde ein Massenmord an der polnischen Intelligenzija begangen. Im Rahmen der sogenannten Intelligenzaktion wurden in Polen etwa 30-40.000 Politiker, Lehrer, Geistliche usw. ermordet. Die übrigen im pommerschen Korridor und der Freien Stadt Danzig ansässigen Polen wurden in das Generalgouvernement deportiert. Unter den einen wie den anderen waren polonisierte Kaschuben. Mein Urgroßvater mütterlicherseits wurde im Wald zusammen mit seinem jüngsten Sohn von den Deutschen ermordet. Beide liegen im Massengrab von Piaśnica.
In NS-Deutschland blieb, wer sich für die Germanisierung oder Regermanisierung eignete. Sie verbrachten die späteren Kriegsjahre in relativer Ruhe, denn Pommern war zunächst einmal nicht von Kriegsereignissen berührt. Das änderte sich erst 1945, als Flüchtlinge aus Ermland und Masuren in die Kaschubei kamen und nach ihnen die Rote Armee. Die Sowjetsoldaten behandelten die örtliche Bevölkerung als Deutsche; sie vergewaltigten, stahlen und hinterließen rauchende Trümmer.
Flohen die Kaschuben ins deutsche Kernland?
Nicht alle, aber einige flohen. An ihrer Stelle kamen Siedler aus den polnischen Ostgebieten, die nach 1945 an die Sowjetunion fielen. Sie kamen aus ärmlichen Verhältnissen in Häuser mit einer Kanalisation, Porzellangeschirr und gepflegten Gärten. Sie glaubten, dass die Einwohner zurückkommen würden, dass die Deutschen in ihre Heimat zurückkommen würden. Deshalb ließen sie ihre neuen Häuser oft verfallen, und die Folgen davon sind bis heute in den vormals deutschen Gebieten Polens zu sehen.
Unter kommunistischer Herrschaft schämte man sich wieder, Kaschube zu sein.
Paradoxerweise betrieben die polnischen Kommunisten eine nationalistische Politik. Sie flößten den Bürgern der Volksrepublik Polen das Gefühl ein, in einem monolithischen Land zu leben, in dem alle ausnahmslos dieselben Polen seien. Die polnische Sprache war noch kurz zuvor verboten gewesen, und nach dem Krieg wurde sie wieder obligatorisch. Als der Krieg zu Ende war, war mein Vater sieben Jahre alt, sprach kaschubisch und deutsch. Wenn er diese Sprachen sprach, lief er Gefahr, dafür in der Schule geschlagen und sogar an eine Spezialschule relegiert zu werden. So blieb es bis Ende der siebziger Jahre.
Die kaschubische Sprache galt dabei als Sprache der Leute vom Dorf, von ungebildeten Menschen, als Polnisch, das durch deutsche Einflüsse verunreinigt war. Besonderen Verdächtigungen waren die nach Polen zurückkehrenden „Großväter aus der Wehrmacht“ ausgesetzt. Sie durchliefen die sogenannte Rehabilitation, sie selbst oder auch ihre Kinder oder Brüder wurden zur Armee eingezogen und in Arbeitsbataillonen nach Schlesien geschickt, wo sie unter alptraumhaften Bedingungen im Uran‑ und Kohlebergbau eingesetzt wurden. Viele kamen dabei ums Leben.
Viele Kaschuben wurden gezwungen, der kommunistischen Partei beizutreten. Volkspolen verlangte, dass sie so ihre Loyalität zu ihrem Land bewiesen.
Andererseits entstand erst in Volkspolen etwas, das wir als kaschubische Folklore kennen.
Als ich an meinem Buch „Welewetka. Jak znikają Kaszuby“ [Welewetka. Wie die Kaschubei verschwindet, Poznań: Wydawnictwo Poznańskie, 2023; „Welewetka“ bezieht sich auf den in vielen kaschubischen Volksliedern auftauchenden Vers „wele wele weta“ u.ä., dessen ursprüngliche Bedeutung und Herkunft umstritten sind; eine Erklärung führt ihn auf die heidnische Gottheit Welesa und die mit dieser verbundenen Tanz‑ und Opferrituale zurück, die in der modernen kaschubischen Folklore parodiert werden; A.d.Ü.] zu arbeiten begann, ging ich im Haus umher und fragte meine Mutter, wieso wir nichts Kaschubisches da hätten. Wieso hatte sie nie eine kaschubische Tracht? Ich ging dem Thema nach und fand heraus, dass die kaschubische Folklore eine Schale ohne Inhalt ist. Die kaschubische Tracht wurde in Warschau Ende der 1940er Jahre entworfen, und die berühmte kaschubische Stickerei stammt aus der Zwischenkriegszeit, aber es handelte sich nicht um eine uralte Tradition, sondern um ein kommerzielles Produkt.
Sie war die Erfindung von Teodora Gulkowska, einer deutschen Ethnographin, die ihre Ausbildung in Berlin erhalten und einen Kaschuben geheiratet hatte. Gemeinsam mit ihrem Ehemann gründete sie ein Freilichtmuseum, übrigens das erste auf dem heutigen polnischen Staatsgebiet. Sie nahm das Blumenmuster auf den bemalten Kisten, die für die Mitgift vorgesehen waren, und propagierte es als Stickmuster für Servietten, liturgische Gewänder usw. Damit sollten die Frauen an langen Winterabenden eine Beschäftigung haben, eine Möglichkeit, das häusliche Einkommen aufzubessern.
Doch diese Art von Lokaltradition oder lokalen Besonderheiten – Volkstrachten, Lieder, Keramikverzierungen – war das Einzige, was die Kommunisten zuließen. Ähnlich wie in der Sowjetunion. Als ethnische Gruppe – zum Beispiel Georgier, Esten oder Kirgisen – könnt ihr eure Traditionen haben und sie zu Feiertagen anderen Gruppen präsentieren. Wenn ihr keine solchen Traditionen habt, helfen wir euch, welche zu erfinden. Aber ihr dürft euch nicht davon entfernen oder verabschieden, Sowjetmenschen zu sein, oder im Falle Polens – Polen.
Nach 1989 begann in Polen die Debatte über die multikulturelle Geschichte Polens. In den letzten Jahren hat sie sich verstärkt, entgegen dem nationalistischen Diskurs der Regierung von Recht und Gerechtigkeit. Von den deutschen Spuren in der polnischen Geschichte wird meist im Kontext Oberschlesiens diskutiert. Die junge Generation besinnt sich auf den schlesischen Dialekt, trägt T-Shirts mit Bildern aus der Industrie, geht auf stark besuchte Ausstellungen zur Transformation der Region… Regionalität, hier also schlesische Regionalität, ist in Mode. Doch von der Kaschubei ist viel weniger zu hören.
Das ist vor allem eine Frage der Dimension. Nach der Volkszählung von 2021 gibt es fast 600.000 Menschen, die sich als Schlesier identifizieren, dagegen als Kaschuben kaum 176.000. Doch das zeigt auch das Versagen der lokalen Verwaltungen und Vereine.
Im Gegensatz zum schlesischen Dialekt wurde das Kaschubische 2005 als gesonderte Sprache anerkannt, woraufhin Millionen für die Bewerbung und den Unterricht der Sprache an den Schulen bereitgestellt wurden. Die Verteilung dieser Gelder ließ gewisse Zweifel aufkommen. Man kann heute sein Abitur im Fach Kaschubisch machen, man kann die Sprache studieren, und trotzdem stirbt sie aus, sie wird vorwiegend von älteren Leuten gesprochen. Zugleich wird die kaschubische Kultur meistens auf eine verkitschte Folklore reduziert, die sich von der volkspolnischen Vorstellung vom kaschubischen Volk nur dadurch unterscheidet, dass eine gewisse Jesu-Herzelein-Ästhetik überwiegt.
Schlesien unterscheidet sich von der Kaschubei außerdem dadurch, dass es verstädtert ist. Die Kaschuben leben vorwiegend auf dem Lande, was nur noch ein weiterer Grund für Komplexe und Stigmatisierung ist. Natürlich heute in geringerem Grade, aber es besteht fort. Du wirst nicht nur vom rechten Mainstream als „fünfte Kolonne Hitlers“ gesehen, sondern zudem bis du auch noch ein Dorftrottel. Deshalb wollen viele Kaschuben polnischer als die Polen sein, wie zu sehen ist an den lokalen Vereinen der Kaschuben, und deshalb spielt die Kirche hier eine so große Rolle. Aus demselben Grund ziehen so viele aus der Kaschubei fort, vor allem die jungen Leute. Obwohl das Gebiet relativ wohlhabend ist.
Du bist selbst als Teenager fort aus der Kaschubei.
Damals verachtete ich nichts so sehr wie die Kaschubei. Ich zog zum Studium nach Danzig. Ich entschied mich für die Polonistik, um meine Sprache von den Anflügen des Kaschubischen zu reinigen, für das ich mich schämte. Aber die Kaschubei wollte nicht aus mir verschwinden. Ich kann immer noch nicht bestimmte abergläubische Vorstellungen loswerden, zum Beispiel die, dass zwischen dem 24. Dezember und dem 6. Januar keine Bettwäsche und Handtücher gewaschen werden dürfen, weil sonst die Krankheit ins Haus einzieht. Einmal habe ich doch gewaschen, und wie ging das aus? Ich wurde krank (lacht).
Die Kaschubei deines Buches ist eine tiefkonservative, fromme Region. Wie macht sich das in den politischen Anschauungen bemerkbar?
Sie ist konservativer, wie sicher die polnische Provinz überall, aber der Einfluss der Kirche ist für westpolnische Verhältnisse hier ganz außergewöhnlich. In einer Reportage nach den Schwarzen Protesten [die sich gegen das radikale Abtreibungsverbot richteten; A.d.Red.] erzählten die kaschubischen Heldinnen dem Journalisten, wie sie nach ihrer Teilnahme an den Demonstrationen zur Beichte gingen. In vielen Gemeinden stimmen die Leute für die rechtspopulistische Partei Recht und Gerechtigkeit oder andere kirchennahe Parteien, andererseits sind die Städte in Pommern eine Bastion der liberalen Bürgerkoalition.
Doch die deutschfeindliche Propaganda von PiS stößt hier eher auf taube Ohren. Viele der Einwohner haben einen zweiten, einen deutschen Pass, noch mehr haben Familie in Deutschland. Im kollektiven Gedächtnis werden die Deutschen eher als gute Haushälter denn als Täter gesehen, was für die Polen aus Warschau und Krakau eine mindestens umstrittene und für die Rechte vollends eine verräterische Sichtweise ist.
Im Studium hast du dich der Kaschubei geschämt, aber 2021 hast du dich bei der Volkszählung als Kaschubin definiert. Bei Lesungen deines Buches geht es dir auf die Nerven, wenn jemand aus polonozentrischer Sicht über die Kaschubei spricht. Bis du zu einer kaschubischen Nationalistin geworden?
Nein, ich hoffe doch nicht, aber die Arbeit an dem Buch hat mich dazu gebracht, dass ich mir ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zugelegt habe. Und tatsächlich habe ich manchmal defensive, nationalistische Reflexe. Mein ganzes Leben lang wurde mir beigebracht, eine hundertprozentige Polin zu sein, und ich bin erleichtert, dass in unserem Land doch etwas Platz für Verschiedenartigkeit ist. Und zwar nicht mehr die aus dem Andenkenladen, wie sie uns die volkspolnische Regierung gestattete, sondern eine, die aus unserer Andersartigkeit stammt. Aber auf diesem Feld ist noch viel zu tun. Das betrifft natürlich nicht nur die kaschubische Minderheit, sondern jede andere ebenso, die in Polen lebt.
Leider stirbt das Kaschubentum aus, kaschubische Sprache und Bräuche sterben aus, besiegt von der Globalisierung. Ich weiß nicht, wie das aufzuhalten wäre. Ich bin Reporterin, also denke ich, das Beste ist, diese Entwicklungen beim Namen zu nennen. Ich gebe mich aber keiner Täuschung hin, dass das etwas ändern oder auch nur das Verschwinden verlangsamen wird. Ich hatte aber das Gefühl, es sei wichtig, das zu benennen.
Und wenn du das Absterben aufhalten könntest – was würdest du aus der Kaschubei bewahren wollen? Doch wohl nicht diese erfundene Folklore…
Für mich beruht das Kaschubentum vor allem auf Sprache und Spiritualität, jedoch nicht ausschließlich derjenigen in der Fassung der katholischen Kirche. Ich denke an all die Reste der angestammten Kultur und der angestammten Kulte unserer Vorfahren. Wir haben diesen Brauch in der Kaschubei, dass wir heute während der katholischen Feiertage mit den Heiligenbildern tanzen, das ist natürlich kein kirchlicher Brauch, aber, oh Wunder, die Kirche in Polen verbietet uns das nicht, auch wenn sie das nicht gerade gerne sieht. Das ist ein Brauch, der von den angestammten Kulten kommt, aus Zeiten, als die Menschen mit dem Tanz beispielsweise um Regen oder eine gute Jagd baten. In der Norda, wie bei den Kaschuben der Nordteil der Kaschubei heißt, wurde noch Anfang des 20. Jahrhunderts um die Fischernetze herum getanzt, um mehr Fische zu fangen.
Ich möchte, dass die Kaschubei für junge Leute modisch und attraktiv wird, für solche, mit denen man prahlen kann. Es gibt einige Initiativen, die genau dazu passen: Die Musikgruppe Kiev Office, die mit einheimischen kaschubischen Klängen arbeitet, und die Gruppe Drёszё. Es werden hochwertige Handwerksprodukte hergestellt, Keramik, sogar kaschubische Stickerei, aber das sind alles Nischenaktivitäten und dringt kaum zum allgemeinen Publikum durch. Wer sich mit kaschubischer Kultur befasst, tut das meiner Einschätzung nach vor allem für sich und auf sich gestellt, ich habe den Eindruck, diese Leute interessiert es nicht, außerhalb ihrer kleinen Blase wahrgenommen zu werden.
Was meiner Meinung außerdem am stärksten die Kaschubei hemmt, ist die hierarchische Struktur, das immer noch bestehende Minderwertigkeitsgefühl gegenüber den besser Gebildeten, den Reicheren oder denen, die es „geschafft haben“, oder auch gegenüber den kirchlichen Amtsträgern. Die Kaschubei hat Komplexe, die Leute ziehen immer noch den Hut vor dem „Höhergestellten“, vor den Autoritäten, sie sind ständig auf den Knien. Wir müssen uns erheben. Dann wird sich vielleicht zeigen, dass es für uns nicht zu spät ist. Aber ich bin pessimistisch.
Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann
Mehr über die Kaschuben in der Ausgabe Nr. 141 unseres Magazins DIALOG
Stasia Budzisz, Freiberufliche Reporterin. Sie schreibt für OKO.press, „Krytyka Polityczna“ (Politische Kritik), „Nowa Europa Wschodnia“ (Neues Osteuropa) und „Przekrój“ (Querschnitt). Ihre Hauptthemen sind der Kaukasus, Osteuropa und die Kaschubei. 2019 veröffentlichte sie ihr erstes Buch, den Reportagenband „Pokazucha. Na gruzińskich zasadach“ (etwa: Die Protzerei. Nach georgischen Grundsätzen, Poznań: Wydawnictwo Poznańskie, 2019). 2023 erschien ihr zweites Reportagenbuch über ihre heimische Kaschubei: „ Welewetka. Jak znikają Kaszuby“ (Welewetka. Wie die Kaschubei verschwindet, Poznań: Wydawnictwo Poznańskie, 2023).