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Wie weiter im Ukrainekrieg?

Nach zwei Jahren ist kein Ende des Kriegs in der Ukraine in Sicht. Mehr noch, es ist nicht zu erkennen, wie das Problem gelöst werden könnte, dessentwegen er geführt wird.

Der zweite Jahrestag des Beginns des ungehemmten Kriegs in der Ukraine bietet eine gute Gelegenheit, darüber nachzudenken, ob es den wichtigsten Akteuren des Kriegs gelungen ist, ihre Ziele zu erreichen. Als Russland seine Invasion begann, ging es von einem schnellen Sieg aus. Es wollte die Führung des ukrainischen Staats unter Wolodymyr Selenskyj beseitigen und sie zur Erfüllung bestimmter Forderungen zwingen. Diese Erwartungen zerschlugen sich sehr rasch an den Realitäten. Die russischen Truppen blieben bei ihrem Vormarsch stecken, nach einiger Zeit bildete sich eine klare Frontlinie heraus, die lediglich von Zeit zu Zeit Änderungen unterlag. Unverändert halten intensive Kämpfe an, doch lässt sich nicht mit irgendeiner Gewissheit sagen, dass einer der Gegner die Positionen des anderen in naher Zukunft durchbrechen und damit den eigenen Sieg wahrscheinlicher machen könnte. Gleichwohl scheinen gegenwärtig die Chancen dafür eher bei der russischen Seite zu liegen.

Es ist eine Binsenweisheit, dass von der Lage auf dem Schlachtfeld abhängt, zu welchen Bedingungen der Krieg beendet werden wird. Wenn die gegenwärtige Situation Ausgangspunkt für eine Verständigung zwischen Russland und der Ukraine wäre, verlöre Kyjiw Gebiete im Süden und im Osten und gewänne auch die Krim nicht zurück. Russland und die USA gewännen größten Einfluss auf die ukrainische Innenpolitik, eine Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO wäre ausgeschlossen, doch wäre es weiterhin möglich für westliche Länder, mit der Ukraine militärische Abkommen zu schließen und diese in die Europäische Union aufzunehmen. Würde dieses Ergebnis eine der Kriegsparteien zufriedenstellen?

Was will Russland?

Von Anfang der Invasion an war es Russlands Ziel, nicht zuzulassen, dass die Ukraine ein militärisches Bündnis mit dem Westen eingehen könne, also NATO-Mitglied werde. Vor dem Februar 2022 machte Russland klar: Die Ukraine müsse darauf verzichten, sich um die NATO-Mitgliedschaft zu bemühen, einen neutralen Status annehmen und zusichern, dass keine westlichen Truppen auf ihrem Gebiet stationiert würden, noch militärische Ausrüstung, die der Kreml als Bedrohung auffasst.

Die Ukraine beabsichtigte nicht, diese Forderungen zu erfüllen, und die westlichen Staaten, allen voran die USA, vergewisserten Kyjiw, es sei nicht dazu verpflichtet. Die Ukraine und der Westen lehnten Russlands im Dezember 2021 erhobene Forderungen ab, woraufhin Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine angriff, um seine Ziele mit Gewalt durchzusetzen.

Nach zwei Kriegsjahren hat Russland sein vorrangiges Ziel nicht vollständig erreicht, die militärische Verbindung der Ukraine mit dem Westen zu unterbrechen. Kyjiw erhielt viele Milliarden an Hilfsgeldern von den USA und der Europäischen Union. Es wurde ein neues Format gebildet, in dem einige Dutzend Länder zusammengefasst sind, welche die Ukraine unterstützen. Großbritannien, Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland unterschrieben Vereinbarungen mit Sicherheitsgarantien für Kyjiw, die Europäische Union unternahm die ersten Schritte auf dem langen Weg zur Aufnahme der Ukraine. Diese gehört zwar immer noch nicht den westlichen Staatenbündnissen an, doch ist sie auch ohne formale Zugehörigkeit in militärischer und politischer Hinsicht inzwischen näher am Westen, als sie es vor dem Krieg war.

Entgegen den russischen Erwartungen ist die Ukraine nicht zu einem neutralen Staat geworden. Auch wenn ihr Sicherheitsstatus heute ungeklärt ist, kann von Neutralität keine Rede sein. Die Ukraine war schwer enttäuscht, als ihr der Vilnius-Gipfel keinen klaren Weg zur NATO-Mitgliedschaft auswies, hat aber von diesem Ziel nicht Abstand genommen. Dieses ist weiterhin ein explizites Ziel der ukrainischen Verfassung.

Genauso wenig ist es den Russen gelungen, die ukrainische Regierung zu verändern, nachdem diese die Erfüllung ihrer Forderungen verweigert hatte. Wolodymyr Selenskyj hat Kyjiw nicht verlassen, die ukrainische Führung verfolgt unverändert dieselben Ziele unter denselben Voraussetzungen wie vor zwei Jahren.

Mithin hat Russland nach zwei Kriegsjahren seine unmittelbaren Ziele in der Ukraine nicht umsetzen können. Es bleibt jedoch ungewiss, ob es seine weit wichtigeren und weitreichenderen Ziele wird erreichen können. Denn es geht Russland darum, Einfluss auf die europäische Politik zurückzugewinnen und in Angelegenheiten Europas zu entscheiden. Nicht in demselben Maßstab, wie dies im 18., 19. und 20. Jahrhundert der Fall war, weil das heute nicht mehr möglich ist, aber in größerem Maße als bisher. Mit dem Angriff auf die Ukraine zeigte Russland, dass es bereit ist, für dieses Ziel Methoden einzusetzen, die in Europa seit 1945 sonst kein Staat mehr angewendet hat.

Noch ist es schwierig zu beurteilen, ob sich diese Vorgehensweise bezahlt machen wird. Vorläufig gilt jedoch, dass Russland mit seiner Invasion der Ukraine in Europa mehr verloren als gewonnen hat. Dem ist jedoch hinzuzufügen, dass sich erstens die Auseinandersetzungen viele Jahre hinziehen dürften und dass Russland zweitens seine Position nicht nur in Europa, sondern auch andernorts in der Welt ausbaut.

Was will die Ukraine?

Das Ziel der ukrainischen Regierung ist, dem Land Überleben und Sicherheit zu gewährleisten, was ihrer Auffassung nach durch den Beitritt zur NATO und andere westliche Bündnisse geschehen soll. Abgesehen von einem kurzen Augenblick ganz am Anfang des Kriegs, lehnt es die Ukraine ab, einen Neutralitätsstatus anzunehmen und auf den NATO-Beitritt zu verzichten. Sie ist der Auffassung, sie selbst solle über ihre Politik entscheiden können, während ihr der Kreml nichts vorzuschreiben habe. Deshalb hat sie die von Russland vor dem Krieg gestellten Bedingungen zurückgewiesen und führt heute den Krieg zur Verteidigung ihrer Ziele.

Nach zwei Kriegsjahren sehen wir, dass die Ukraine ihre Unabhängigkeit hat verteidigen können, während die westlichen Staaten ihr dabei helfen, territorial und politisch von Russland gesondert zu bleiben. Damit ist die Ukraine jedoch nicht zu einem Teil des Westens geworden; ihr wurde kein schnellerer Weg in die Europäische Union eröffnet, sie wird nicht in die NATO aufgenommen werden und hat sich, abgesehen von der militärischen Integration, nicht an den Westen assimiliert. Mit Blick auf die unerbittlichen Realitäten von Geographie und Politik bleibt die Ukraine ein östliches Land. Sie hat zwar die Absicht, sich nach Westen zu orientieren, doch ist sie dabei zu erfahren, dass dieses Ziel praktisch nicht wird in vollem Umfang umgesetzt werden können.

Trotz ihrer Ambitionen ist die Ukraine heute noch nicht völlig souverän in ihren Entscheidungen über sich selbst. Sie ist auf die Hilfe aus den USA und der EU angewiesen, und zwar in höherem Grade als vor dem Krieg. Zudem besteht auf einem Teil des ukrainischen Staatsgebiets eine russische Verwaltung. Die ukrainische Souveränität ist damit gegenwärtig stärker eingeschränkt als vor dem Krieg.

Nach zwei Kriegsjahren ist die Ukraine ein Land mit einer zerstörten Wirtschaft und einer zerstörten Gesellschaft. Die weitere Mobilisierung kostet viele junge Ukrainer das Leben, viele reisen ins Ausland aus, um dem Armeedienst zu entgehen. Die Korruption feiert erneut fröhliche Einstände, nachdem sie im ersten Kriegsjahr zurückgedrängt worden war. Dem Land droht eine demographische Katastrophe, und der anhaltende Krieg verursacht immer weitere materielle und infrastrukturelle Verluste. Zudem schwindet im Westen die Unterstützung für die Ukraine, der US-Kongress hält Hilfslieferungen für Kyjiw zurück, und am Horizont dräut die Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus. Ein Schreckgespenst, das die ukrainische Regierung in Angst versetzt.

Wann wird der Krieg enden?

Da keine der beiden Seiten ihre Ziele (vollständig) verwirklicht hat, ist nicht zu erwarten, dass der Krieg, ganz zu schweigen von dem ihm zugrundeliegenden Konflikt, bald enden wird. Wenn wir die Frontkämpfe einmal getrennt von dem weiteren politischen Kontext betrachten, könnte der Krieg noch viele Jahre dauern, ohne eine endgültige Entscheidung herbeizuführen.

Die Kämpfe spielen sich jedoch nicht in einem Vakuum ab. Wie lange der Krieg noch dauern wird, hängt nicht allein von Russland und der Ukraine ab. Kyjiw kann so lange kämpfen und sich verteidigen, wie es Bargeld und Waffen von den Vereinigten Staaten bekommt. Russland behauptet, es könne solange kämpfen, bis es seine Ziele erreicht. Und selbst wenn die USA die Ukraine nicht länger in dem Ausmaß unterstützen wollen wie im ersten Kriegsjahr, heißt das nicht, dass Russland leicht wird Kyjiw einnehmen und die Ukraine in einen neutralen Staat verwandeln können.

Dem Anschein nach wird in absehbarer Zukunft keiner der direkt an dem Ukrainekonflikt beteiligten Staaten seine Ziele vollständig erreichen können. Die Ukraine geht erschöpft, Russland entschlossen in das dritte Kriegsjahr. Die Ukraine kann sich der weiteren Hilfe aus Washington nicht sicher sein, Russland zählt seine Rubel, die es im Handel mit dem sogenannten globalen Süden einnimmt. Die Ukraine bleibt eine Geisel ihrer Ambitionen und ihrer nicht zu realisierenden Träume von voller Souveränität. Russland will sich dem Kreis der Länder anschließen, die über die europäische Politik entscheiden, erleidet aber, wie in den letzten mehr als dreißig Jahren, vorerst eine Niederlage.

Wenn die essentiellen Ziele beider Länder oder zumindest des siegreichen Landes nicht befriedigt werden, wird der Konflikt, und zwar nicht nur der aktuelle Krieg, der Ukraine mit Russland und Russlands mit dem Westen noch lange andauern.

Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann

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Łukasz Gadzała

Łukasz Gadzała

Łukasz Gadzała, Redakteur beim polnischen onlineportal onet.pl, Absolvent der Warschauer Universität und der University of Birmingham. Seine Interessengebiete sind die Politik der Großmächte und die Theorie der internationalen Beziehungen.

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