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Über die Streitereien zwischen Polen und Deutschen freut sich nur Putin

30. Kongress der Deutsch-Polnischen Gesellschaften

Auf Regierungsebene kommen die deutsch-polnischen Beziehungen seit längerer Zeit nicht mehr voran. Der Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar dieses Jahres hat das Verhältnis zwischen Warschau und Berlin noch schwieriger gemacht. Die polnische Regierung verkündete am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, offiziell ihre Reparationsforderungen, womit sie noch zusätzlich Öl ins Feuer goss.

Wie ist aus dieser Sackgasse herauszukommen, wie sollen die Errungenschaften des Verständigungsprozesses der letzten fünfzig Jahre vor den Auseinandersetzungen zwischen den Regierungen geschützt werden, wie sind der deutsch-polnischen Zusammenarbeit neue Perspektiven zu verschaffen? Und welchen Einfluss hat der russische Krieg gegen die Ukraine auf die deutsch-polnischen Beziehungen?

Unlängst suchte der 30. Jahreskongress der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband e.V. und seiner polnischen Entsprechung, des Landesverbands der Polnisch-Deutschen Gesellschaften, nach einer Antwort auf diese Fragen. Zu der Tagung, die vom 7. bis 9. Oktober im südostpolnischen Rzeszów stattfand, kamen deutsche und polnische Aktive aus den Verbänden sowie Politiker und Experten. Bundestagsabgeordneter Dietmar Nietan (SPD), Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-polnische zwischengesellschaftliche und grenznahe Zusammenarbeit, hielt fest, Berlin habe Lehren aus seiner falschen Russlandpolitik gezogen, die die vom Kreml dargestellte Gefahr unterschätzt und Deutschland in Abhängigkeit von den russischen Erdgaslieferungen gebracht habe.

Der deutsche Tanker bedarf polnischer Unterstützung

Wie Nietan betonte, nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar die „Zeitenwende“ verkündet hatte, habe die Bundesregierung sich daran gemacht, ihr politisches Paradigma zu ändern. Doch sei Deutschland ein Tanker, kein Schnellboot, daher werde die „Zeitenwende“ viel Zeit brauchen und schwierig sein. Nietan warb um Vertrauen für die Deutschen, da dieser Kurs von der überwältigenden Mehrheit in allen demokratischen Parteien unterstützt werde.

Nietan unterstrich, die Deutschen benötigten die Hilfe aller ostmitteleuropäischen Freunde, die kritisch sein dürfe, aber auch Angebote zur Zusammenarbeit machen solle, was die Verbesserung der europäischen Sicherheitsarchitektur und den Wiederaufbau der Ukraine einschließe. Deutschland benötige dazu insbesondere die Hilfe Polens. Es brauche eine polnische Regierung, die trotz aller Enttäuschungen und begründeter Kritik zur Zusammenarbeit mit Deutschland bereit sei, erläuterte der Abgeordnete.

Sein polnischer Gegenpart bei der Diskussion, der Sejmabgeordnete Paweł Kowal (Bürgerkoalition, KO) entgegnete auf die Frage, ob die Polen ihrem deutschen Bündnispartner vertrauten, es handle sich nicht um eine Frage des Glaubens, sondern eine der Bewertung der Ergebnisse der von Berlin unternommenen Schritte.

Polnische Fragen zur deutschen Zeitenwende

„Sieht die deutsche Zeitenwende vor, dass es keine Kompromisse gibt, und dass dort, wo eine Grenze ist, nun einmal eine Grenze ist, dass die Grenzen in unserem Teil Europas genauso heilig sind wie die französischen, italienischen oder deutschen Grenzen? Und genauso heilig die Grenzen Georgiens und der Ukraine?“, fragte Kowal. „Gehört dazu, dass es kein imperiales Großrussland geben wird? Wird sich Deutschland endgültig den Leitsatz zu Eigen machen: Nie wieder Nord Stream? Wäre es bereit, mit Polen ein Energieabkommen zu schließen, das uns garantiert, dass es in Zukunft derartige Fehler nicht mehr geben wird?“, fragte Kowal weiter. „Umso eher sich die deutsche Führung klarmacht, dass sich die Welt verändert hat, dass die politische und strategische Konstellation anders aussehen wird, desto besser.“

Wie weiter mit der Frage der Reparationen?

In Bezug auf die Reparationen erklärte Nietan, die „absolute Mehrheit“ der deutschen Politiker lehne Reparationszahlungen durch Deutschland ab, würde aber die Frage, ob Deutschland weiter Entschädigungsleistungen auch finanzieller Art erbringen solle, mit Ja beantworten. Die Kunst der Politik bestehe nunmehr darin, einen guten Ausweg zu finden, um diese Auseinandersetzung endgültig beizulegen. Umso weniger die Reparationsfrage in Deutschland und Polen parteipolitisch noch eine Rolle spielen werde, desto schneller und besser könne man sie lösen, meinte Nietan.

Kowal stellte fest, als Politiker der jüngeren Generation werfe er den Politikern der älteren Generation vor, die Reparationsfrage nicht längst gelöst zu haben. Er schäme sich dafür, dass dieses Thema noch 2022 wieder auf die Tagesordnung gebracht werden müsse. Er werde aber rechtlich die polnischen Interessen vertreten. Gleichwohl warf der polnische KO-Abgeordnete der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) einen populistischen Zugang zu den Reparationen vor, der den Interessen Polens nur schade.

Putin freut sich über die Streitereien zwischen Polen und Deutschen

Nietan rief dazu auf, die deutsch-polnischen Streitigkeiten zugunsten des übergeordneten Ziels beizulegen, nämlich des Siegs der Ukraine im Krieg mit Russland. Er wolle die deutschen Fehler im Verhalten gegenüber Putin nicht unter den Teppich kehren, noch die Probleme bei den Waffenlieferungen an die Ukraine, noch erst recht die Frage der Entschädigungen. Doch sei Krieg, und Europa bedürfe der Einheit. Über die Streitereien zwischen Deutschen und Polen freue sich nur ein einziger, nämlich der, der im Kreml residiert.

In ähnlichem Geiste äußerte sich eine altgediente Protagonistin der deutsch-polnischen Versöhnung, die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth. Europa lasse sich nicht ohne Polen aufbauen. Die Europäer sollten nicht auf jede unüberlegte Äußerung reagieren, denn das heize nur die Spannungen an und führe zu nichts, warnte die Vorsitzende des Kuratoriums der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband.

DIALOG-Preis für einen ukrainischen Historiker

Die Ukraine und ihre Beziehungen zu Polen und Deutschland im Kontext des Krieges war das Leitthema des Kongresses. Der seit 2005 vergebene Preis des DIALOG für Tätigkeiten zur Annäherung zwischen den Völkern wurde in diesem Jahr an den Historiker Andrii Portnov vergeben, Inhaber des Lehrstuhl für Kulturwissenschaften an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder.

Portnov sei ein „kritischer Polonophiler“, der die „Sünden und Schwächen der polnischen wie der ukrainischen Kultur und Erinnerungspolitik“ kritisch bespreche, sagte in seiner Laudatio Igor Kąkolewski, Direkter des Zentrums für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN). „Sein Weg zur Aufdeckung des Palimpsests der Geschichte und des Erbes Europas führte ihn über Polen […],“ erklärte Kąkolewski die Verdienste des Preisträgers bei der „Wiederentdeckung dieses Teils der Welt, den Milan Kundera einst das ,zerrissene‘ oder auch das ,entführte‘ Europa nannte, für Deutsche, Ukrainer und Polen.“

Gegenwärtig stehe es sich nicht gut um die deutsch-polnischen Beziehungen, die immer noch nicht frei von Problemen und Stereotypen seien; doch: „Ich möchte die vorsichtige Hoffnung äußern, einen starken ukrainischen Akzent zu setzen, würde der Entwicklung des deutsch-polnischen Dialogs eine neue Chance geben,“ entgegnete Portnov in seiner Danksagung.

Die Diskussion um Probleme und Chancen des ukrainisch-polnisch-deutschen Dreiecks wurde im Expertenkreis fortgesetzt. Nach Auffassung Portnovs genießt Deutschland in der Ukraine ein sehr schlechtes Ansehen. „Deutschland wird ähnlich wie Ungarn als feindseliges Land gesehen,“ sagte der ukrainische Historiker, äußerte aber den Vorbehalt, eine so schlechte Bewertung sei nicht ganz gerechtfertigt.

Das komplizierte ukrainisch-polnisch-deutsche Dreieck

Deutschland habe sich mittelbar an der Vorbereitung des russischen Kriegs gegen die Ukraine beteiligt, meinte der deutsche politische Beobachter Andreas Umland. Denn bis 2012 sei Russland vom Transit von Rohstoffen durch die Ukraine abhängig gewesen. Erst nach der Inbetriebnahme der Gaspipeline Nord Stream 1 habe Moskau freie Hand im Umgang mit der Ukraine gewonnen.

Umland, Mitarbeiter am Stockholmer Centre for Eastern European Studies, betonte, nach dem 24. Februar hätten die Deutschen allerdings mit ihrer früheren Russophilie gebrochen, und die aktuellen Probleme seien eher eine Folge mangelnder Erfahrung Berlins mit einer Außenpolitik mit militärischer Komponente. Aus historischer Sicht sei das ein großer Fortschritt.

Portnov verwies auf die Befürchtungen in Teilen der deutschen Politik, nach dem Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union könne ein Polen und andere große Länder Mittel‑ und Osteuropas einschließender Staatenblock entstehen, der ein Gegengewicht zu Deutschland und Frankreich bilden würde. „Ich hoffe, dass dies nicht eintritt. Das wäre keine für die Ukraine positive Entwicklung.“ Auch für die deutsch-polnischen Beziehungen hätte das negative Folgen.

Nach Umlands Einschätzung ist das Gefühl der Solidarität mit der Ukraine in der deutschen Gesellschaft erstaunlich ausgeprägt. Es sei aber immer noch nicht zu den Deutschen vorgedrungen, dass dieser Krieg auch für ihr Land strategisch wichtig ist. Polen und die baltischen Ländern verstünden dies besser. Die Deutschen hätten noch nicht verstanden, dass ein Sieg der Ukraine in ihrem eigenen nationalen Interesse liegt. Wenn sie erst begriffen, dass es sich nicht um einen Regionalkonflikt zwischen slawischen Nationen um den Donbas handelt, werde die deutsch-polnische Zusammenarbeit neuen Auftrieb erhalten.

Wir werden sehen, ob die massiven russischen Raketenangriffe auf die ukrainischen Städte vom 10. Oktober, einen Tag nach Kongressschluss, diese Entwicklung beschleunigen werden.

 

Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann

Jacek Lepiarz

Jacek Lepiarz

Jacek Lepiarz ist Germanist, Historiker und Journalist. Er arbeitet mit der Deutschen Welle zusammen. Zuvor war er Berlin-Korrespondent der Polnischen Presseagentur sowie Warschau-Korrespondent der DPA.

Ein Gedanke zu „Über die Streitereien zwischen Polen und Deutschen freut sich nur Putin“

  1. Das Problem liegt doch darin, dass der deutsche Bundesverband in einer Blase aus einem überschaubaren Kreis deutscher Polenfreunde operiert, aber in der politischen Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist und sein politischer Einfluss vermutlich gegen Null tendiert. Und sein polnischer Gegenpart wird eindeutig mit der PO Tusks in Verbindung gebracht. Es ist beiden Verbänden nicht gelungen, über den Parteiengrenzen stehende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu gewinnen. Auch hat bislang hat keine Diskussion darüber stattgefunden, warum es all den deutsch-polnischen Organisationen, Institutionen und Gremien nicht gelungen ist, die antideutsche Welle aus Warschau zu stoppen oder zumindest abzumildern.

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