Zum Inhalt springen

Kein Umbruch im Weimar Dreieck

Die Begegnungen im Format des Weimarer Dreiecks wurden während des Ukrainekriegs wieder aufgenommen. Aber das bedeutet noch keinen Umbruch im polnischen Verhältnis zu Deutschland und Frankreich.

 Am 12. Juni trafen sich in Paris die Präsidenten Andrzej Duda und Emmanuel Macron sowie Bundeskanzler Olaf Scholz. Das war seit über einem Jahr der erste Gipfel der Staats‑ und Regierungschefs des Weimarer Dreiecks und der zweite, der vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine stattfindet.

Es gab einen gewichtigen Anlass für das Treffen, denn im Juli findet der NATO-Gipfel in Vilnius statt, wo die Bündnispartner über ihr weiteres Vorgehen bei der Unterstützung der Ukraine abstimmen wollen. So gesehen, gehörte das Treffen im Weimarer Format also der offenen und Geheimdiplomatie, wie sie in den vergangenen Monaten betrieben wurde und deren vorläufiger Höhepunkt der genannte NATO-Gipfel sein wird. Noch vor diesem Zeitpunkt möchten Polen, Frankreich und Deutschland ihre Ukrainepolitik so absprechen, dass sie sich mit ihren jeweiligen Eigeninteressen vereinbaren lässt. Doch ein Treffen von Duda mit Scholz und Macron und ein gemeinsames Frühstück garantieren noch keine Annäherung der Positionen und Interessen.

Was wollen Polen, Deutschland und Frankreich?

Polen bemüht sich intensiv um Sicherheitsgarantien für die Ukraine als Zwischenschritt zu ihrer vollen Mitgliedschaft in der NATO. Beim Treffen des Weimarer Dreiecks war Andrzej Duda der einzige, der ohne Vorbehalte äußerte, Kiew solle nicht nur Mitglied der EU, sondern auch der NATO werden. Darüber hinaus setzt sich Warschau für ein möglichst starkes Engagement der USA in Europa ein und für möglichst umfangreiche Waffenlieferungen an die Ukraine. Polen hat übrigens bereits 300 Panzer an die Ukraine abgegeben, von anderer Ausrüstung ganz abgesehen. Warschau verfolgt das Ziel, die Ukraine so zu bewaffnen, dass sie eine selbständige Rolle an der NATO-Ostflanke spielen kann und damit russischer Einfluss und Truppen möglichst weit von den polnischen Grenzen gehalten werden.

Deutschland verfolgt eine etwas andere Strategie. Während des NATO-Gipfels in Berlin 2008 war die Bundesregierung gegen den Beitritt der Ukraine zu dem Verteidigungsbündnis, und in dieser Hinsicht hat sich nichts geändert. Das ging damals und geht bis heute nicht darauf zurück, mit Russland auf Kosten kleinerer Länder in ein Einvernehmen treten zu wollen, sondern auf die von der Überzeugung getragene hergebrachte Denkweise, der Kreml werde auf die Aufnahme der Ukraine in westliche Organisationen aggressiv reagieren. Und nichts beunruhigt Deutschland so sehr wie Konflikte und Kriege in seiner unmittelbaren Nachbarschaft, weil sein Entwicklungsmodell ganz auf politische und wirtschaftliche Stabilität und Berechenbarkeit aufbaut.

Daher steht Deutschland heute auf dem Standpunkt, Russland müsse geschwächt werden, doch ist es überzeugt – was sich in seiner jüngst publik gemachten Nationalen Sicherheitsstrategie wiederfindet –, in Europa werde es ohne eine neue Sicherheitsarchitektur keinen Frieden und keine Stabilität geben. Damit Europa friedlich und stabil sein könne, dürfe Russland nicht vollständig ausgegrenzt werden. Deutschland unterstützt die Ukraine jetzt tatkräftig und wünscht den Erfolg ihrer Gegenoffensive, doch das ist nur ein Mittel zu einem wichtigeren Zweck, nämlich der Wiederherstellung von Stabilität und des Aufbaus einer verlässlichen europäischen Ordnung.

Ganz wie Polen und Deutschland liefert Frankreich Waffen an die Ukraine und stellt sich gegen die Anwendung von Waffengewalt zur Veränderung der europäischen Ordnung. Doch Paris bemüht sich am intensivsten um eine diplomatische Lösung in der Ukraine und spricht darüber nicht nur mit den Verbündeten in der NATO, sondern auch mit Ländern des sogenannten globalen Südens.

Wie das „Wall Street Journal“ Anfang Juni berichtete, arbeiten Deutschland, Frankreich und weitere westeuropäische Länder mit nichtwestlichen Ländern an einer Modifizierung von Wolodymyr Selenskyjs sogenannter Friedensformel. Außerdem gibt es Meldungen über gemeinsame Friedensbemühungen von Frankreich und China. Es lässt sich denken, dass Begriffe wie „territoriale Integrität“, „Sicherheitsgarantien“ und die Bedingungen für ein Ende der Kämpfe sehr unterschiedlich gesehen werden, doch hätte Frankreich sicher eine stärkere Position auf dem Vilnius-Gipfel, wenn es ihm zuvor gelänge, bei den Ländern außerhalb des Westens Unterstützung für seine Vorstellungen zu gewinnen.

Disparate Friedensvisionen

Es sind gerade die Vorstellungen von einer Nachkriegsordnung, was Polen am meisten von Deutschland und Frankreich unterscheidet.

Warschau möchte ein starkes Engagement der Vereinigten Staaten bei der weiteren Hilfe für die Ukraine und zur Gewährleistung ihrer Sicherheit. Deutschland und Frankreich wollen ebenfalls die Zusammenarbeit mit den USA, würden aber lieber einen langjährigen kalten Krieg mit Russland vermeiden, an dessen Vorfront die Ukraine stehen und der sich in gewissen Zeitabständen wieder in einen heißen Krieg verwandeln würde.

Alle drei Länder wollen Sicherheitsgarantien für die Ukraine, doch nur Polen sieht das als Schritt zur NATO-Vollmitgliedschaft. Wie die „Financial Times“ berichtet, sollen Frankreich und Deutschland gemeinsam mit den USA und Großbritannien einen Vorschlag an die Ukraine erarbeiten. Dabei gehe es jedoch nicht um „Garantien“, sondern „Zusicherungen“ der Sicherheit. Im Sinne dieses Vorschlags würden die Staaten eine Erklärung unterschreiben, und ihre Hilfe für die Ukraine würde durch bilaterale Abkommen mit Kiew formalisiert.

Das ist viel weniger, als die Ukraine und auch Polen erhoffen. Das ist viel weniger, als im vergangenen Jahr die Regierungsfachkommission unter Leitung des Selenskyj-Vertrauten Andrij Jermak und des früheren NATO-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen festgehalten hat. Die Kommission erarbeitete einen „Kyiv Security Compact“, demnach die Ukraine starke Garantieren erhalten müsse und der das Land faktisch in eine Art osteuropäisches Israel verwandeln würde.

Es ist durchaus möglich, dass das schließlich der Ukraine auf dem Vilnius-Gipfel vorgelegte Angebot ein Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Positionen sein wird, der umfassenderen polnischen, die den ukrainischen Erwartungen entgegenkommt, und der konservativeren, wie sie von Berlin und Paris bevorzugt wird.

Einen Hinweis in diese Richtung gab die Feststellung von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, es werde an der Bildung eines NATO-Ukraine-Councils gearbeitet, was einer Forderung Jermaks und Rasmussens entspricht. Andererseits sickert aus den Unterhandlungen zwischen USA, Deutschland und Frankreich durch, die Ukraine werde sich mit „Zusicherungen“ anstelle von „Garantien“ zufriedengeben müssen.

Was vermag das Weimarer Dreieck?

Unabhängig vom Ergebnis des Gipfels in Vilnius macht es nicht den Eindruck, als spielte das Weimarer Dreieck zurzeit irgendeine bedeutsame Rolle bei dem Versuch, den Krieg in der Ukraine zu beenden.

In ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie sehen die Deutschen Spielraum für zukünftige Gespräche mit Russland, und Macron behauptete in einer vielbeachteten Rede in Bratislava, die Europäer hätten sich nicht für den Sicherheitsdialog mit Russland eingesetzt und diese Verantwortung ganz an die NATO abgetreten, was vermutlich „nicht die beste Lösung“ gewesen sei. Zumindest auf rhetorischer Ebene lehnt Warschau eine Lösung völlig ab, die Selenskyjs Friedensformel widersprechen würde.

Folglich wird sich Polen auf dem Vilnius-Gipfel in vielen wesentlichen Fragen in einer Deutschland und Frankreich entgegengesetzten Position befinden. Der Ukrainekrieg hat die Wiederaufnahme der Spitzengespräche im Weimarer Format erzwungen, die auf Ebene der Staats‑ und Regierungschefs zwischen 2013 und 2022 ausgesetzt waren. Doch was konkrete Konzepte angeht, dienen diese eher der Klärung eigener Interessen als der Erarbeitung eines gemeinsamen Standpunkts. Zumal Polen im Vergleich zu Deutschland und Frankreich andere Ansätze auch zu weiteren, aktuell wesentlichen Fragen der Europäischen Union verfolgt: bei der Migrations‑ und Verteidigungspolitik ebenso wie beim Abstimmungsmodus in der Außenpolitik.

Charakteristischerweise lud Olaf Scholz vor dem Gipfeltreffen des Weimarer Dreiecks Emmanuel Macron nach Potsdam ein, wo sie Gespräche unter Ausschluss der Öffentlichkeit führten. Nach dem Gipfel sagte der polnische Vizeaußenminister Piotr Wawrzyk, in Sachen ihrer Russlandpolitik hätten Berlin und Paris „eine Veränderung durchlaufen, auch wenn diese offenbar noch nicht abgeschlossen ist“. Nach seinem Bekunden versuche Polen Frankreich zu überzeugen, keine europäische Sicherheitspolitik ohne die USA zu betreiben.

Vorerst jedoch lassen die Stoßrichtung der Friedensbemühungen Deutschlands und Frankreichs und die Unfähigkeit des Weimarer Gipfels, einen Durchbruch zu erzielen, die Ahnung aufkommen, Warschau könnte nach dem Vilnius-Gipfel noch enttäuschter davon sein, was es Berlins und Paris’ „noch nicht abgeschlossene Veränderung“ nennt.

 

Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann

Schlagwörter:
Łukasz Gadzała

Łukasz Gadzała

Łukasz Gadzała, Redakteur beim polnischen onlineportal onet.pl, Absolvent der Warschauer Universität und der University of Birmingham. Seine Interessengebiete sind die Politik der Großmächte und die Theorie der internationalen Beziehungen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Symbol News-Alert

Bleiben Sie informiert!

Mit dem kostenlosen Bestellen unseres Newsletters willigen Sie in unsere Datenschutzerklärung ein. Sie können sich jederzeit austragen.