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Der Streit um den Botschafter und die deutsch-polnischen Beziehungen

Der neuernannte deutsche Botschafter in Warschau, Arndt Freytag von Loringhoven, musste lange auf sein Agrément warten, was für ein verbündetes Land ungewöhnlich ist und eine Zwistigkeit zu einem diplomatischen Eklat eskalieren ließ. Man könnte das mit einem Schulterzucken quittieren, wenn die Angelegenheit nicht einige sehr verstörende Risse im deutsch-polnischen Verhältnis sichtbar gemacht hätte.

Selbstverständlich sollte eine dreimonatige Wartezeit für ein Agrément zwischen Bündnispartnern in EU und NATO nicht vorkommen. Die polnische Diplomatie hat einen Fehler, vielleicht gar einen Fauxpas begangen. Ausflüchte im Hinblick auf die Vergangenheit des Vaters des neuen deutschen Botschafters und seiner Position als stellvertretender BND-Chef können nicht als Begründung ernstgenommen werden. Denn es gilt der Grundsatz, Kinder sind nicht verantwortlich für die Sünden ihrer Väter. Eine Tätigkeit im Nachrichtendienst ist überdies kein Disqualifizierungsgrund. Polen hat schon mehrfach Personen als Botschafter entsandt, die zuvor Leitungsfunktionen in den Geheimdiensten innegehabt hatten. Noch dazu war die Art und Weise, wie Polen zunächst formlos die Kandidatur des Botschafters von Loringhoven akzeptiert hatte, dann aber das förmliche Einverständnis mit seiner Entsendung hinauszögerte, schlechterdings ein unfreundlicher Akt.

Es sei darauf hingewiesen, dass Berlin das Problem hat, keine durchlässigen Kommunikationskanäle zur polnischen Regierung zu besitzen, was bei dieser Gelegenheit sehr deutlich wurde. Es ließe sich natürlich sagen, die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) habe sich bislang nicht besonders für eine reibungslose Kommunikation eingesetzt, doch auch der deutschen Diplomatie mangelte es an Dialogbereitschaft – man glaubte sogar die Zeit der PiS-Regierungen aussitzen zu können. Diese Taktik schlug fehl. In der Diplomatie sollte auch mit einem eher widerspenstigen Partner nach einem Gesprächsweg gesucht werden. Übrigens schrieb ich in einem meiner ersten Texte für das Dialog-Forum ausführlich über die Gründe, aus denen sich die deutsche Softpower in Polen im Niedergang befindet. Das stieß bei dem langjährigen Chef der Adenauerstiftung in Polen, Roland Freundstein, auf Kritik. Wir haben unsere Meinungsunterschiede dann ganz freundschaftlich bei einem Kaffee geklärt; sie erwiesen sich eigentlich als großes Missverständnis. Aber unabhängig davon, dass wir auch heute sicher nicht in allem einer Meinung sind, ist die Tatsache, dass die Bundesrepublik drei Monate lang nicht in der Lage war zu erfahren, ob und wann ihr designierter Botschafter im Nachbarland sein Agrément erhalten würde, Anlass genug, einmal der Frage nachzugehen, wie es mit der deutschen Softpower in Polen bestellt ist. Und ich wage zu behaupten, sie bestätigt meine Annahme, dass sich die deutsche Softpower wenn nicht in einem katastrophalen, dann doch zumindest in einem kläglichen Zustand befindet.

Ebenfalls erstaunlich ist der nicht an die Öffentlichkeit gedrungene Hintergrund hinter der Affäre um das Botschafteragrément. War nämlich bislang Deutschland seit alters her ein wesentlich besser organisierter Staat als Polen, wurde in diesem besonderen Fall klar, dass in Berlin nicht alle geschlossen hinter der Kandidatur von Herrn Loringhoven standen. Nicht aus polnischen, sondern aus deutschen Quellen stammte die Behauptung, Botschafter von Loringhoven habe Tschechien [wo er von 2014 bis 2016 Botschafter gewesen war; Anm. d. Red.] aus anderen Gründen verlassen sollen, als um Chef des NATO-Geheimdienstes zu werden. Diese Gerüchte brachten seine Ausreise aus Prag mit gemeindienstlichen Aktionen in Verbindung; ich musste sie mittels tschechischer diplomatischer Quellen überprüfen, welche sie klar als Desinformation verwarfen. Es überrascht mich sehr, dass derartige, mir bisher nur aus Polen bekannte interne Kaderkämpfe, heute auch in der Bundesrepublik betrieben werden.

Viel wichtiger ist jedoch etwas ganz anderes. Solchen Gerüchten wäre wirklich jede Grundlage entzogen gewesen, hätte die deutsche Seite gewusst, wieso ihr Kandidat auf das Agrément warten musste. Aber die Deutschen wussten es eben nicht. Entgegen dem Anschein waren auch nicht die manchmal Jarosław Kaczyński zugeschriebenen antideutschen Obsessionen die Ursache für die überlange Wartezeit. Der Vorsitzende der Regierungspartei ist nämlich ein überaus pragmatischer, gelegentlich auch ausgesprochen zynischer Politiker. So setzte er nicht aus Homophobie, sondern aus Kalkül darauf, durch Hetze gegen sexuelle Minderheiten in den Meinungsumfragen besser dazustehen. Daher beruhte auch in diesem Falle die Verzögerung nicht auf seiner Abneigung gegen die Deutschen; vielmehr versprach er sich einen politischen Vorteil davon, wieder einmal einen Konflikt mit der Bundesrepublik vom Stapel zu brechen.

Es stellt sich die Frage, wieso der faktisch Polen regierende Politiker auf die antideutsche Karte setzt, um daraus politischen Vorteil zu schlagen. Es gibt dafür meines Erachtens mehrere Gründe, einige davon auf die Gegenwart, andere auf die Vergangenheit bezogen.

Aktuell ist klar zu erkennen, dass sich die Bundesrepublik in einigen zentralen Fragen sehr wenig um polnische Interessen kümmert. Bei der Erdgaspipeline Nord Stream und jetzt Nord Stream 2 stellte Berlin klar sein gutes Verhältnis zu Russland über dasjenige zu Polen. Buchstäblich in dem Augenblick, als ich diesen Satz zu Papier gebracht hatte, fiel mir ein, dass das nur logisch sei, schließlich ist Russland größer als Polen. Doch schaut man sich einmal die Wirtschaftsbeziehungen an, dann zeigt sich, dass Polen bei den deutschen Außenhandelsbeziehungen mit 123 Milliarden Euro an sechster Stelle steht, während Russland mit nur 57 Milliarden Platz 13 belegt. Und Polen, nicht etwa Russland, ist Deutschlands Partner in EU und NATO. Das sollten wir nicht vergessen.

Außerdem geht es bei Nord Stream nicht allein ums Geld. Für jeden Staat steht nationale Sicherheit an erster Stelle. Russland macht keinen Hehl daraus, dass es seine Energievorkommen als außenpolitisches Druckmittel einsetzt. Moskau macht auch keinen Hehl daraus, gegenüber Ostmitteleuropa eine aggressive Politik zu betreiben. Deutschland unterstützt Russland mit dem Bau von Nord Stream und Nord Stream 2 im Bereich Energiepolitik, womit es nicht allein Polens Wirtschaftsinteressen verletzt, sondern auch seine nationale Sicherheit beeinträchtigt. Bis zum russischen Einfall in die Ukraine war es darüber hinaus Deutschland, das sich am heftigsten der Stärkung der NATO-Ostflanke entgegenstellte, und zwar auch noch dann, als Moskau bereits daranging, seine Streitkräfte nach Westen hin zu verstärken, also insbesondere gegen Polen und die baltischen Staaten. Ich verstehe die an Bismarck anknüpfende Konzeption, wie sie der damalige deutsche Außenminister und jetzige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einem Besuch in Washington formulierte, dass nämlich Deutschland als „verantwortlicher Makler“ auftreten möchte, doch leider hat der Makler im Verhältnis zu Russland zeitweilig wohl die Ausgewogenheit aus dem Blick verloren.

Es gibt allerdings noch weitere strittige Fragen. Deutschland forciert eine Klimapolitik, die für die kohleabhängige polnische Energiewirtschaft nicht nur eine Bedrohung darstellt, sondern ihr Todesurteil ist. In allen diesen Fragen ist ein Kompromiss vonnöten. Doch das Problem ist, dass Berlin sich seit Jahren einem solchen Kompromiss mit Warschau verweigert. Zweifelsohne ist auch Warschau nicht ohne Schuld, indem es beispielsweise die Flüchtlingskrise ostentativ ignorierte. Die polnische Auffassung ist zwar richtig, dass die Krise zunächst von der westlichen Intervention in Libyen und dann von Angela Merkels sogenannter Willkommenspolitik ausgelöst wurde, aber das befreit Warschau nicht von der gesamteuropäischen Solidarität. Doch trat die Flüchtlingskrise erst ein, nachdem Warschau bereits hatte feststellen müssen, dass es auch von Deutschland keine europäische Solidarität zu erwarten hat.

Viele Kommentatoren und Experten spielten ebenfalls eine negative Rolle bei den wachsenden Spannungen zwischen Polen und Deutschland. Einerseits mangelte es in Polen nicht an jenen, die die antideutschen Stimmungen in der PiS-Partei kannten und daraus politisches Kapital schlagen wollten. Auf der anderen Seite gab es diejenigen, die eine unkritisch prodeutsche Haltung vertraten und bereitwillig in der polnischen Debatte eine ähnliche Funktion ausübten, wie der vormalige Kanzler Gerhard Schröder in der deutschen Russlanddebatte. Die Politiker in Polen sind derart zerstritten, dass sie sich praktisch in keiner einzigen Frage einigen können außer in Sachen Nord Stream 2. Wer sich von den prodeutschen Kommentatoren und Analysten in Polen für Nord Stream 2 aussprach, dessen Glaubwürdigkeit sank in den Augen der rechtsnationalen Regierung auf Null. Bei solchen Verbündeten braucht sich Deutschland nicht zu wundern, dass es in Warschau nichts ausrichten kann.

Auf polnischer Seite gibt es wiederum gewisse religiöse Fanatiker, die das heutige Deutschland als ein vom Glauben abgefallenes, der Verwahrlosung der Sitten anheimgefallenes Land sehen. Sie träumen davon, Polen möge Deutschland zum wahren Christentum bekehren und die deutschen Christdemokraten zum wahren Konservatismus.

In einem solchen Zerrspiegel nehmen manche die Gegenwart ebenso wie die Vergangenheit wahr. Offensichtlich übersehen viele Polen oder ignorieren beflissentlich, dass Deutschland und die Deutschen einen tiefgreifenden Wandel durchlaufen haben. Immer noch bringen manche Zeitschriften ab und an Angela Merkel in SS-Uniform auf ihren Titelbildern.

Ich zähle nicht zu denen, die von Deutschland auf Ewigkeiten Entschuldigungen erwarten. Ich verstehe, dass Deutschland nicht auf ewig im Schatten der Verbrechen des „Dritten Reiches“ leben möchte. Es ist nachvollziehbar, dass Deutschland 75 Jahre nach dem Krieg nach vorne schauen will. Aber selbst ich, dem Nationalismus und antideutsche Phobien völlig fernliegen, höre etwa im Zusammenhang mit dem Holocaust von der Verantwortung der Nazis und (hier wiederum werden die Nationen direkt genannt) der Polen und anderer Nationen. Das löst bei mir starken Widerspruch aus, weil Polen, unabhängig von einigen wenigen Fällen der Kollaboration, vor allem Opfer war. Und nicht die Nazis waren verantwortlich, sondern die Deutschen, die die Nazis gewählt hatten. Es ist für Polen beleidigend, wenn sie von ihrer eigenen Verantwortung hören müssen, während von Nazis anstelle von Deutschen die Rede ist. Ich erkenne natürlich an, wie der Bundespräsident von der deutschen Schuld spricht, aber dass die Deutschen als Nation immer seltener als Täter der Verbrechen des Zweiten Weltkriegs genannt werden, ist eine Folge der deutschen und nicht der polnischen Geschichtspolitik. Diese Politik ist offenkundig allzu wirksam. Kein Wunder, dass das auf Widerspruch stößt.

Die Geschichte der NS-Verbrechen wird häufig auf den Völkermord an den Juden reduziert, während die Ermordung von Millionen Polen, von anderen Nationen wie den Belarussen ganz zu schweigen, übergangen wird; auch das löst Widerspruch aus. Übrigens hoffe ich, dass eines Tages in Berlin ein Denkmal für die polnischen Opfer entsteht. Wenn dem jedoch eine langjährige Debatte vorangehen sollte, wird das keinerlei Bedeutung haben. Gesten sind dann von Bedeutung, wenn sie von Herzen kommen, nicht wenn sie diplomatisch ausgehandelt werden.

Übertreibung lässt die Waagschale immer kippen. Eine solche, antideutsche Ressentiments auslösende Übertreibung war beispielsweise, den polnischen Präsidenten zu Veranstaltungen zu Ehren den Obersten Claus von Stauffenberg einzuladen. Dabei war das wichtigste Ziel der Hitlerattentäter, zu denen Stauffenberg gehörte, die Wehrmacht vor der Niederlage im Osten und Deutschland vor weiteren Kriegsopfern und vor Gebietsverlusten zu bewahren, wie sie bei einer totalen Niederlage eintreten würden. Diese Offiziere zeigten keinerlei besondere Sensibilität dafür, was mit den Juden, Roma und Slawen geschah, mehr noch, viele von ihnen, so auch Stauffenberg, machten aus ihren antisemitischen und antipolnischen Ansichten keinen Hehl. Die meisten der Attentäter waren Offiziere aus dem preußischen Adel mit starker antipolnischer Gesinnung. Einige der schlimmsten Verbrecher wie etwa der Chef der Einsatzgruppe B, SS-Gruppenführer Arthur Nebe, machten gemeinsame Sache mit den Verschwörern. In Deutschland gab es Persönlichkeiten wie Sophie Scholl, die ihren Widerstand gegen die Nazis mit dem Leben bezahlte, oder Willy Brandt, der aus NS-Deutschland fliehen musste. Bei solchen Persönlichkeiten können wir einen gemeinsamen Nenner finden. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass uns das Andenken an einen Offizier einen soll, der die Polen als „unzuverlässiges Gesindel“ bezeichnet hat. Dieser Umgang mit Stauffenberg ist wie eine Granate, die in die deutsch-polnischen Beziehungen geworfen wird. Das hat Jarosław Kaczyński verstanden. Das haben diejenigen Polen und Deutschen nicht verstanden, die wollten, dass Polen Stauffenberg ehren.

Polen und Deutschland sind wirtschaftlich, politisch, in Sicherheitsfragen und vor allem auf menschlicher Ebene aufeinander angewiesen. Gleichgültigkeit für die Sensibilitäten und fundamentalen Interessen Polens auf der einen Seite, Taktlosigkeit und erhobener Zeigefinger von Polen in Richtung Deutschland auf der anderen, müssen Dialog und größerer wechselseitiger Offenheit Platz machen. Paradoxerweise sind die deutsch-polnischen Beziehungen trotz mangelnder politischer Ausgewogenheit ausgezeichnet. So muss es aber nicht immer bleiben, deshalb lohnt es sich zu versuchen, auch den politischen Dialog zu beleben.

 

Aus dem Polnischen von Andreas R. Hofmann

Witold Jurasz

Witold Jurasz

Journalist bei der Onlineplattform Onet.pl und der Tageszeitung Dziennik Gazeta Prawna, Vorsitzender des Zentrums für Strategische Analysen, ehemaliger Mitarbeiter der Investitionsabteilung der NATO, Diplomat in Moskau und Chargé d’affaires der Republik Polen in Belarus.

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