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Rote Karte für politische Brandstifter

Bericht: Seit einem halben Jahrhundert setzen sich deutsche Freunde Polens, organisiert in deutsch-polnischen Gesellschaften, für Verständigung und Annäherung zwischen Deutschen und Polen ein. Vom 17. bis 19. November fand in Berlin der 31. Kongress des Bundesverbandes der Deutsch-Polnischen Gesellschaften statt.

In den Kongressdiskussionen und informellen Gesprächen dominierte die Hoffnung auf eine Verbesserung der polnisch-deutschen Beziehungen nach dem Erfolg der proeuropäischen Koalition der links- und zentristischen Parteien bei den polnischen Parlamentswahlen. Die in den letzten acht Jahren regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) betrachtete Deutschland als die Hauptbedrohung für die polnische Souveränität und die polnischen Interessen. Die politischen Spannungen spiegelten sich negativ in der Arbeit der Gesellschaften vor Ort wider. Während des Wahlkampfes schonten rechtspopulistische polnische Politiker Deutschland nicht und äußerten beleidigende Bemerkungen, indem sie etwa unterstellten, Deutschland wolle ein „Viertes Reich“ aufbauen und Polen schädigen. Der ehemalige Botschafter der Republik Polen in Deutschland, Marek Prawda, bezeichnete sie als „politische Brandstifter“.

Der ehemalige Botschafter warnt

„Die polnisch-deutschen Beziehungen waren immer sehr attraktiv für politische Brandstifter. Daher sollten wir nach Argumenten suchen, die uns vor ihnen schützen und ihrem Einfluss auf die kollektive Vorstellungskraft der Gesellschaft entgegenwirken könnten“, sagte Prawda am Freitag (17.11.2023) in seiner Ansprache anlässlich des 50. Jubiläums der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Berlin (DGPB). Die Feierlichkeit bildete den ersten Teil des Kongresses, der in der Staatsbibliothek zu Berlin tagte.

Prawda verwies auf die Verschlechterung der Beziehungen zu Deutschland nach der Machtübernahme durch PiS und betonte, dass die Mitglieder der Gesellschaft in diesen schwierigen Zeiten „starke Nerven“ zeigen mussten. Der Sieg der demokratischen Opposition in Polen zeigte, dass auch Wahlen gewonnen werden können, die nicht fair sind. Wie der Diplomat hinzufügte, ist die Welle des Populismus nicht unumkehrbar.

Gegründet im April 1973 in West-Berlin gehört die DGPB zu den ältesten Organisationen dieser Art, die in der BRD seit Beginn der 1970er Jahre aufgrund des gestiegenen Interesses an Polen nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Warschau und Bonn entstanden sind. Die Hauptstadtorganisation zählt derzeit etwa 300 Mitglieder. Etwas früher entstanden bereits Deutsch-Polnische Gesellschaften in norddeutschen Städten wie Hamburg, Bremen und Kiel.

Unter den Augen westdeutscher Dienste

Der Mitbegründer der DGPB und ihr langjähriger Vorsitzender, Christian Schröter, betonte, dass die Arbeit für Verständigung mit Polen in der BRD während des Kalten Krieges nicht einfach war. Sie galten als „politisch verdächtig“, und der Verfassungsschutz interessierte sich für sie.

Schröter und andere Mitglieder der Organisation ließen sich jedoch nicht einschüchtern. Gemeinsam mit der Jugendorganisation der SPD – den Falken – organisierte er Ausflüge zum ehemaligen deutschen Konzentrationslager Auschwitz. Nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen im Dezember 1981 organisierten die Mitglieder der Berliner Gesellschaft Hilfstransporte für die Polen sowie Geldsammelaktionen.

Heutzutage gewinnt die kulturelle Arbeit an Bedeutung, was sich im seit 2018 zwischen Berlin und Breslau verkehrenden „Kulturzug“ zeigt. Auch die Ausstellung über Władysław Bartoszewski erfreut sich großer Beliebtheit und wurde bisher in 33 deutschen Städten gezeigt.

Dialog-Preis für Wiesław Smętek

Der Bundesverband der Deutsch-Polnischen Gesellschaften gibt seit 1987 die Deutsch-Polnische Zeitschrift Dialog heraus. Seit 2005 verleiht der Verband den Dialogpreis für Verdienste um die deutsch-polnische Verständigung. Der diesjährige Preisträger ist der in Deutschland lebende polnische Maler und Illustrator Wiesław Smętek.

„Smętek arbeitet seit über 30 Jahren in Deutschland, hat hier auf seine Weise Wurzeln geschlagen und ist ein Teil der deutschen Kultur geworden, dabei bleibt er ein kritischer und konstruktiver Beobachter der polnisch-deutschen Beziehungen“, sagte der polnische Historiker Krzysztof Ruchniewicz in seiner Laudatio, der Direktor des Direktor Willy Brandt Zentrums für Deutschland- und Europastudien der Universität Wrocław.

Smętek hat über 1000 Cover und mehr als 3000 Illustrationen für Zeitungen und Zeitschriften erstellt. Seine Werke erschienen auf den Titelseiten bedeutender deutscher Wochenzeitungen wie „Stern“, „Spiegel“, „Die Zeit“, „Geo“ sowie des Wirtschaftsjournals „Handelsblatt“. Seit 25 Jahren illustriert der Künstler auch die Deutsch-Polnische Zeitschrift Dialog, die in zwei Sprachen, Polnisch und Deutsch, erscheint.

Die deutsche Schuld gegenüber Polen

Bei der Eröffnung der Diskussion am zweiten Tag des Kongresses am Samstag (18.11.2023) wies der Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-polnische zwischengesellschaftliche und grenznahe Zusammenarbeit, Dietmar Nietan, auf die Notwendigkeit hin, das Vertrauen zwischen Polen und Deutschland wiederherzustellen. Nach seiner Ansicht haben die Deutschen gegenüber Polen eine „Schuld zu begleichen“. Er versicherte, dass das deutsche Außenministerium an Vorschlägen zur Zusammenarbeit mit Polen arbeite. „Es geht jedoch nicht darum, die Polen durch die deutsche Regierung in die Arme zu nehmen, da dies Wasser auf die Mühlen der PiS wäre, sondern darum, ein Angebot für Kooperationsvorschläge zu unterbreiten. Wann, was und wie umgesetzt wird, hängt von den Konsultationen mit der polnischen Regierung ab. Diese muss den Rhythmus vorgeben“, betonte der SPD-Politiker.

In Bezug auf die polnisch-deutsche Zusammenarbeit zur Unterstützung der Ukraine betonte Nietan, dass Deutschland Polen als Partner benötige, der „manchmal Deutschland in den Hintern tritt, aber nicht durch Kommentare in antideutschen Zeitungen, sondern hinter verschlossenen Türen, so wie es Partner tun“. Nach seiner Meinung sollten beide Regierungen jetzt Kraft und Geld in die Zusammenarbeit der Zivilgesellschaften und grenzüberschreitende Kooperation investieren.

Wann wird der Erinnerungsort in Berlin entstehen?

Wann wird in Berlin ein Gedenk- und Begegnungsort für die polnischen Opfer der deutschen Besatzung 1939-1945 entstehen? Diese Frage stellten sich die Teilnehmer der Diskussion über die „Abwesenheit Polens in der deutschen Erinnerungskultur“. Das derzeit als Deutsch-Polnisches Haus bezeichnete Projekt soll dazu beitragen, das unzureichende Wissen der Deutschen über das Leiden der Polen während des Krieges zu vertiefen.

Die These, dass die Deutschen zu wenig über Polen wissen, sei „gleichermaßen wahr und falsch“, sagte der Direktor des Deutschen Polen-Instituts (DPI) in Darmstadt, Peter Loew. „Es ist wahr, weil man nie genug Wissen über den Nachbarn haben kann, mit dem Deutschland über Jahrhunderte so eng verbunden war. Andererseits ist es im Vergleich zu anderen Nachbarn mit dem Wissen über Polen nicht so schlecht“, bewertete Loew.

Uwe Neumaerker, Leiter der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, bedauerte, dass für die Deutschen der Osten immer noch hauptsächlich Russland und nicht die Ukraine, Belarus oder Polen sei. „In den letzten Jahren hat sich viel geändert, aber das reicht nicht aus“, fügte er hinzu. „Der Westen hört dem Osten nicht zu“, betonte der deutsche Historiker.

Die von Neumaerker geleitete Stiftung realisiert in Zusammenarbeit mit dem DPI das Projekt des Deutsch-Polnischen Hauses. Der deutsche Historiker versicherte, dass die Funktion der Erinnerung an die polnischen Kriegsopfer angemessen in das Projekt integriert werde. „Man darf die deutsch-polnischen Beziehungen jedoch nicht auf sechs Jahre Krieg und Besatzung reduzieren. Man muss die tausendjährige Geschichte der gegenseitigen Verflechtungen zeigen“, betonte er.

Der 85. Jahrestag des Kriegsausbruchs rückt näher

Bis zum Frühjahr 2024 soll das Konzept für die Umsetzung des Deutsch-Polnischen Hauses vorgelegt werden. „Die Zeitspanne von fünf bis zehn Jahren (für die Umsetzung des Projekts) entspricht leider der Wahrheit“, sagte Neumaerker und betonte, dass das DPI unabhängig vom Zeitpunkt der Einrichtung bereits jetzt Bildungsaktivitäten für Jugendliche durchführt.

Die Generalkonsulin der Bundesrepublik Deutschland in Danzig, Cornelia Pieper, appellierte an die deutschen Behörden, „im Eilverfahren“, unabhängig von langfristigen Plänen, einen symbolischen Gedenkort zu schaffen. Sie erinnerte daran, dass im nächsten Jahr der 85. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs stattfindet. Sie schlug vor, einen Wettbewerb für ein Kunstwerk auszuschreiben, das bis zur Errichtung des Deutsch-Polnischen Hauses die Funktion eines Erinnerungsortes erfüllen könnte. „Symbolik spielt eine große Rolle im Bewusstsein der Polen“, betonte Pieper.

In dieses Szenario passt die Idee von Jakob Reinhold von der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Berlin (DPGB). Der Aktivist aus der jungen Generation möchte den 80. Jahrestag des Warschauer Aufstands mit künstlerischen Installationen in der deutschen Hauptstadt ehren, die von Workshops mit polnischen und deutschen Jugendlichen eingeleitet werden.

Wie sieht die Zukunft der polnisch-deutschen Beziehungen aus?

Die Teilnehmerinnen des letzten Kongress-Panels, das der Zukunft der polnisch-deutschen Beziehungen gewidmet war, waren sich einig, dass strittige Themen wie Migrationspolitik, Reformen der Europäischen Union oder Atomenergie auch nach einem Regierungswechsel in Polen weiterhin zu Meinungsverschiedenheiten führen werden. „Es geht darum, diese Probleme nicht eskalieren zu lassen, sondern darüber auf normale Weise zu sprechen“, forderte Anna Kwiatkowska vom Warschauer Zentrum für Osteuropastudien (OSW).

„Wir (Polen) werden uns für Erweiterung (der EU) einsetzen, Deutschland wird, ja setzt bereits auf Reformen und sieht hier einen strikten Zusammenhang – es wird keine Erweiterung ohne Reform geben. Wir sehen diesen Zusammenhang nicht“, erklärte die OSW-Analytikerin und fügte hinzu: „Wir wittern Betrug“. „Auf die Enthaltung oder die Zustimmung zur qualifizierten Mehrheit in so sensiblen Fragen wie Außen- und Sicherheitspolitik zu verzichten, wird ein Projekt sein, das die Union zerstört“, warnte Kwiatkowska.

Unter Bezugnahme auf die Pläne für die deutsch-polnische Zusammenarbeit beim Wiederaufbau der Ukraine wies Joanna Stolarek, Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau, auf die Befürchtungen der polnischen Seite hin, dass Polen von Deutschland nicht als gleichwertiger Partner behandelt werde.

Die Frage der Wiedergutmachung bleibt aktuell

„Es gibt keine Zukunft ohne Vergangenheit“, betonte Stolarek in Bezug auf die Frage der Wiedergutmachung für die Opfer des Krieges. Sie erinnerte daran, dass in einer Umfrage mehr als die Hälfte der Befragten der Meinung war, dass „Deutschland uns noch etwas schuldet“. Es müssen nicht unbedingt Reparationen sein, betonte die Vertreterin der mit den Grünen verbundenen Stiftung. „Es geht darum, dass die Perspektive der Opfer und die Perspektive des Täters unterschiedlich sind“, erklärte sie. Wie sie betonte, hat fast jede polnische Familie während des Krieges einen nahestehenden Menschen verloren.

„Wenn Tusk Premierminister wird, die Regierung übernimmt und den Haushalt verabschiedet, was es dem Präsidenten Andrzej Duda unmöglich macht, neue Wahlen auszurufen, spätestens dann würde ich gerne auf der deutschen Seite vor allem Konfetti und Feuerwerk sehen und das Knallen von Champagnerkorken hören“, sagte Viktoria Grossmann, die Warschauer Korrespondentin der „Sueddeutsche Zeitung“. „Dann müssen sich die Polen nach acht Jahren Desaster daran machen, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung wiederherzustellen“, betonte Grossmann.

 

Jacek Lepiarz

Jacek Lepiarz

Jacek Lepiarz ist Germanist, Historiker und Journalist. Er arbeitet mit der Deutschen Welle zusammen. Zuvor war er Berlin-Korrespondent der Polnischen Presseagentur sowie Warschau-Korrespondent der DPA.

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